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Dreimal Liebe, dreimal Tod
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Jung Der Tod des Kindes ist der Beginn der Tragödie. Mit dem gemeinsamen Kind stirbt auch die Liebe von Giorgetta zu ihrem Mann Michele, der mit seinem Lastkahn auf der Seine um das wirtschaftliche Überleben zu kämpfen hat, und der seinen Hilfsarbeiter Luigi erwürgt, als ihm dessen Affäre mit Giorgetta bewusst wird. Szenenwechsel: Die Nachricht vom Tod ihres unehelichen Kindes treibt Ancelica in den Selbstmord, nachdem sie sieben Jahre lang ohne jede Nachricht von außen im Kloster verbringen musste als Strafe für die folgenreiche Liebe. Noch ein Szenenwechsel: Jetzt ist es nicht ein Kind, das stirbt, sondern der alte und schwerreiche Buoso Donati, der allerdings sein immenses Vermögen der Kirche und nicht der geldgierigen Familie hinterlassen hat und dessen Testament daher kurzerhand neu diktiert werden muss von dem bauernschlauen Gianni Schicchi, der sich als todkranker Donati ausgibt und das Erbe neu - und durchaus zu eigenen Gunsten - verteilt (und gleich noch die Liebesheirat seiner Tochter Lauretta ermöglicht). Il Tabarro: Michele und Giorgetta
Etwa seit der Uraufführung der Tosca 1900 beschäftigte sich Giacomo Puccini damit, drei einaktige Opern zu komponieren und zu einem abendfüllenden Trittico, einem "Triptychon", zusammenzufügen. Zunächst sollten es drei Episoden aus Dantes Göttlicher Komödie sein, die drei Teile Inferno (Hölle), Purgatorio (Fegefeuer) und Paradiso (Paradies) repräsentierend; später dachte er wohl kurz an Erzählungen Maxim Gorkis. Die Pläne scheiterten u.a. am Widerspruch seiner Verlegers Giulio Ricordi, der auf die immensen aufführungspraktischen Schwierigkeiten etwa bei der Besetzung hinwies. Sehr berechtigt, wie Dramaturg Christian Schröder mit Blick auf diese Essener Neuproduktion in seinem kurzen Einführungsvortrag unterstrich. Auch das Publikum hat nicht nur bei der New Yorker Uraufführung verhalten reagiert. Drei jeweils rund einstündige Werke ohne konkrete inhaltliche Querbezüge und in musikalisch recht unterschiedlichem Stil, das kann bei aller Qualität der Musik eben doch ein langer und zäher Abend werden. Es geht aber auch anders - das demonstriert das Ensemble um Regisseur Roland Schwab und Dirigent Roberto Rizzi Brignoli in dieser bewegenden Neuproduktion (tatsächlich wohl der ersten am Essener Theater, die sich an den kompletten Trittico wagt). Suor Angelica: Angelica, umgeben von Mitschwestern (am Rand des Beckens)
Schwab lässt die ersten beiden Werke, die düstere Kriminalstory Il Tabarro (Der Mantel) und die frömmelnde Klostergeschichte Suor Angelica (Schwester Angelika) ohne Pause und (fast) ohne Szenenwechsel nacheinander spielen. Das abstrakte Bühnenbild (Piero Vinciguerra) besteht aus einem beinahe bühnenfüllenden Wasserbecken als Spielfläche, über der ein schräg gestellter Spiegel hängt. Im Wasser liegt der leblose Körper eines Jungen. Giorgetta (mit leuchtendem, eindrucksvoll um Liebes- und Lebensglück ringendem Sopran: Annemarie Kremer) im rosafarbenen Kleid unterläuft Puccinis sozialkritische Milieuzeichnung (Kostüme: Gabriele Rupprecht), und dieser Trick der Regie geht blendend auf: Text (und auch die Musik) zeichnen in allen drei Kurzopern die Atmosphäre derart genau, dass die Bildebene das nicht zusätzlich unterstreichen muss, sondern sich in abstrakten Räumen bewegt, ohne das - bei Puccini fast immer notwendige - Kolorit zu verlieren. Der eifersüchtige Michele ist eine faszinierende Charakterzeichnung zwischen von den sozialen Umständen hart gewordenen Rauhbein und verletzlichem und verletzten Ehemann (stimmlich wie szenisch eindrucksvoll: Heiko Trinsinger). Giorgettas Liebhaber Luigi (mit geschmeidigem, leicht eingedunkeltem Tenor und wehmütigen Zwischentönen: Sergey Polyakov) im Unterhemd ist realistischer gezeichnet, und damit setzt die Regie auch einen klaren Akzent. Im Zentrum steht Giorgetta, die Geschichte drumherum ist ihre (Traum-)Perspektive. Schwab erzählt konkret genug, um die Opernhandlung zu verdeutlichen, und offen genug, um die seelischen Zustände in den Mittelpunkt zu stellen. Suor Angelica: Verklärung Angelicas nach dem Selbstmord
Suor Angelica (mit intensivem Sopran: Jessica Muirhead) trägt ein ganz ähnliches Kleid wie Giorgetta, die Farbe hat Signalwirkung. Die langen Haare der Giorgetta sind unbeholfen abgeschnitten, Angelica ist unverkennbar die Büßerin. Schwab spielt hier deutlich mit den Motiven der Göttlichen Komödie, mit Hölle/Strafe im Tabarro und Buße/Reinigung in der klösterlichen Welt der Suor Angelica. Duftig-leichte Vorhänge grenzen das Wasserbecken jetzt ab, die Mitschwestern bleiben am Rand oder jenseits der Vorhänge - auch hier stellt sich die Regie in die Perspektive der Frau. Frappierend ist aber vor allem der musikalische Clou, wenn auf die düstere Atmosphäre des Tabarro unvermittelt die helle und lichte Musik der Suor Angelica folgt. Dirigent Roberto Rizzi Brignoli und den ausgezeichneten Essener Philharmonikern gelingt es ganz hervorragend, jedem der drei Einakter ein sehr deutliches Profil zu geben, innerhalb des jeweiligen Werkes Zusammenhänge zu betonen und tatsächlich einen "Triptychon" zu zeichnen, dessen Teile durch ganz spezifische Klangfarben gekennzeichnet sind. Hier wird akustisch sinnfällig, was Puccini bei der Konzeption im Sinn hatte. Das individuelle Drama der Suor Angelica tritt ein wenig dahinter zurück, die direkte Handlung mit dem Erscheinen der bösen Tante (Bettina Ranch bleibt in der tiefen Lage recht blass) erscheint beinahe nebensächlich. Das Finale mit der Verklärung Angelicas nach ihrem Selbstmord hat Ulrich Schreiber in seinem legendären Opernführer für Fortgeschrittene als "Kitsch mit Methode" bezeichnet, und der Dirigent verleugnet keineswegs, dass die Nähe zur Filmmusik hier groß ist. Auf eine Marienerscheinung verzichtet die Regie, stattdessen setzen die Nonnen unzählige schwimmende Kerzen auf die Wasserfläche, deren Bild im Spiegel darüber zum Sternenhimmel wird. Die Wirkung ist betörend. Schwab stellt damit den Schluss raffiniert infrage: Vielleicht ist nach dem realitätsnahen Sozialdrama des Tabarro die Flucht in Religion (oder Ersatzreligionen) nur eine schöne Illusion. Damit ist er hier ziemlich nahe bei Puccini. Gianni Schicchi: Leider haben (von links) La Ciesca, Nella und Zita nichts geerbt; Gianni Schicchi soll's richten
Ganz bruchlos gelingt der Wechsel zur Komödie Gianni Schicchi dann nicht, auch wenn die junge und jung verliebte Lauretta (stimmlich etwas zu leicht: Lilian Farahani) wieder in ebenjenem rosafarbenen Kleid auftritt, dass schon Giorgetta und Angelica optisch hervorhob - aber sie ist halt nur eine Randfigur in diesem brillanten Ensemblestück, das immer stärker auf die Figur des Gianni Schicchi fokussiert (außerordentlich Präsent und hinreißend in der Mischung aus Witz und latenter Gewalt: noch einmal Heiko Trinsinger). Aus dem Florenz des Jahres 1299 wird Schicki-Micki-Gegenwart, wobei die Wasserfläche im vorderen Teil mit Plexiglasplatten überbaut und im hinteren mit Springbrunnen zum dekorierenden Beiwerk degradiert ist - man mag darin auch einen Verlust am Bedürfnis nach Transzendenz in unserer von Geldgier getriebenen Gesellschaft erkennen. Der reiche Donati ist offenbar bei bester Gesundheit und erschießt sich, vermutlich aus Überdruss; und überhaupt ist alles nur noch Spiel, bei dem auch der eilig gerufene Notar brav mitmacht. Ob man sich aber an diesem "Paradies" erfreuen kann? Aber viel Interpretation braucht es gar nicht - maßvoll slapstickhaft überzogen "funktioniert" die Oper von alleine. Und dann liefert Schwab noch einmal ein überwältigendes Schlussbild, bei dem man sich nicht zu sicher sein darf, wie viel davon wahr sein kann. Gianni Schicchi: Finale
Aus dem blendend aufgelegten Ensemble hervorzuheben sind noch Bettina Ranch als lebenstüchtige "Frugola" im Tabarro (die Partie liegt ihr deutlich besser als die dämonische Tante in Suor Angelica und Christoph Seidl als Simone sowie Carlos Cardoso mit schlankem Tenor als Laurettas Liebhaber Rinuccio in Gianni Schicchi. Chor und Kinderchor (Einstudierung: Patrick Jaskolka) singen in Suor Angelica ausgesprochen klangschön.
Mit großen Bildern und Klangbildern erhält Puccinis schwieriger Trittico hier eine faszinierende Form. Szenisch wie musikalisch eine herausragende Produktion. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor und Kinderchor
Dramaturgie
SolistenIl Tabarro
Michele
Luigi`
Il Tinca`
Il Talpa
Giorgetta
La Frugola
Ein Liedverkäufer
Due amanti
Suor Angelica
Die Tante (Fürstin)
Die Äbtissin
Schwester Eiferin
Die Lehrmeisterin der Novizinnen
Schwester Genovieffa
Schwester Osmina
Schwester Dolcina
Almosensucherinnen
Laienschwestern
Novizin
Gianni Schicchi
Lauretta
Zita
Rinuccio
Gherardo
Nella
Betto di Signa
Simone
Marco
La Ciesca
Spinelocchio
Amantino de Nicolao
Pinellino
Guccio
Gherardino
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