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60er-Jahre-Revue mit Ruhrgebiets-Flair Von Thomas Molke / Fotos von Matthias Jung Am 8. Februar 2020 feierte in Essen die "Ruhrgebiets-Revue" Yesterdate Premiere, die Marie-Helen Joël, langjähriges Ensemble-Mitglied des Aalto-Theaters, gemeinsam mit Heribert Feckler zusammengestellt hatte. Doch die Chance, mit beliebten Songs der 60er Jahre ein Kultstück im Aalto Theater zu etablieren, blieb zunächst aus, weil die Corona-Pandemie die Theater bereits einen Monat später zwang, den Spielbetrieb komplett einzustellen. Die zaghaften Versuche im Sommer 2020, zumindest Auszüge des Stückes auf der Terrasse zu zeigen, wurden dem Stück leider auch nicht gerecht. Nun wütet die Corona-Pandemie seit fast zwei Jahren, und man ist weit entfernt von der ersehnten Normalität. Dennoch gibt es jetzt endlich eine Wiederaufnahme der kompletten Revue, die das Publikum im Saal zumindest für kurze Zeit den Frust des Alltags vergessen und in eine "Flower-Power"-Traumwelt eintauchen lässt, in der es mit Konfetti und Luftballons im Saal so richtig knallt. Musikalische Zeitreise in die 60er Jahre: vorne: Kenneth (Henrik Wager), hinten von links: Bärbel (Marie-Helen Joël), Penny (Christina Clark), Gunda (Brigitte Oelke), Alexander (Thomas Hohler) und Lutz (hier: Albrecht Kludszuweit) Dabei benötigt das Stück aber ein bisschen Zeit, bis es das Publikum in Feierstimmung versetzt, genau genommen den kompletten ersten Teil bis zur Pause. Hier wird eine Geschichte erzählt, die eigentlich nur sehr lose mit der fetzigen Revue im zweiten Teil verknüpft ist und leider einige Längen aufweist. Joël, die die Geschichte konzipiert und inszeniert hat, hat ihre Inspiration bei Menschen in Essen gesucht, die die 60er Jahre in dieser Stadt aktiv miterlebt haben und sich an ein legendäres "Bravo-Beatles-Blitztournee"-Konzert 1966 in der Grugahalle erinnerten, das zu den letzten Konzerten zählte, die die Beatles live gegeben haben, bevor sie sich komplett ins Plattengeschäft zurückgezogen haben. Unter anderem gab es zu dieser Zeit in Essen eine Band mit dem Namen "Dropping Softice". Um diese Band entwickelt Joël nun eine fiktive Geschichte. 30 Jahre später, 1996, planen die ehemaligen Band-Mitglieder Bärbel, Lutz, Rolf, Kenneth und Gunda ein Revival. Dazu haben Bärbel und Lutz, die mittlerweile verheiratet sind, ihre Freunde eingeladen. Rolf ist mittlerweile mit Penny verheiratet, die eine erfolgreiche Jazzsängerin ist, Kenneth ist Single und betreibt einen Klamottenladen in London in der Carnaby Street, den er von seinem Vater geerbt hat, und Gunda ist eine erfolgreiche Unternehmensberaterin und reist mit ihrem fast 30-jährigen Sohn Alexander an, der, wie sich herausstellt, wohl in einer heißen Liebesnacht mit Kenneth gezeugt worden ist, ohne dass Kenneth bisher von dessen Existenz gewusst hat. Da Alexander ebenfalls von der Musik der 60er Jahre begeistert ist, werden er und Penny in das Revival der Band integriert. "Bridge Over Troubled Water": Gunda (Brigitte Oelke) und Kenneth (Henrik Wager) Joël, die auch für die Bühne verantwortlich zeichnet, fängt mit der Ausstattung und den Farben der Wohnung von Bärbel und Lutz, in der der erste Teil spielt, das Flair der 60er Jahre gut ein. Über den Orchestergraben führt ein Holzsteg, der den leicht hochgefahrenen Graben mit zahlreichen abstrakten Seerosen fast als Anspielung auf den Baldeney-See verstehen lässt, an dessen Ufer wohl Bärbel und Lutz wohnen. Als Ouvertüre spielt das United Rock Orchestra unter der Leitung von Heribert Feckler aus dem Off ein Medley aus zahlreichen bekannten Songs der 60er Jahre. Da klingen bereits "Pinball Wizard" aus der Rock-Oper Tommy, "Venus" und Beatles-Songs an, die später in der Revue auch noch vom Ensemble präsentiert werden. Dazu sieht man auf einer Leinwand alte Fotos aus den 60er Jahren, die bei dem einen oder anderen Besucher wahrscheinlich Erinnerungen an die 60er Jahre wecken dürften. Dies sind die Bilder, die sich Bärbel, Lutz, Rolf, Penny und Kenneth über einen Dia-Projektor vor ihrem erneuten Auftritt als "Dropping Softice" anschauen, bevor Gunda mit ihrem Sohn Alexander auftaucht. Eingestreut in die Dialoge sind einzelne Songs, die aber in diesem Teil noch nicht so richtig zünden wollen. Vielleicht verlieren sich die Darsteller*innen in der Weite der Bühne und die Distanz zum Publikum ist zu groß, vielleicht liegt es an der teilweise mangelhaften Abmischung des Tons - zeitweise fallen einzelne Mikros aus -, vielleicht sind die Dialoge zu belanglos. Die einzige interessante Geschichte ist die um Gundas Sohn Alexander. Kenneth erfährt zwar, dass er Alexanders Vater ist und singt im zweiten Teil zwei Duette mit Alexander. Ob es aber zu einer menschlichen Annäherung zwischen Vater und Sohn kommt, lässt das Stück offen. Vater (Kenneth Wager, links) und Sohn (Thomas Hohler, rechts) Wenn also Lutz dem Publikum rät, jetzt in der Pause etwas trinken zu gehen, um anschließend in guter Stimmung für das Konzert zu sein, mag diese Bemerkung zwar als Gag gedacht sein, löst aber vielleicht auch leichte Unsicherheit aus, ob es im zweiten Teil genauso weitergeht. Das ist jedoch nicht der Fall. Auch die Band, die jetzt auf der Bühne steht, ist wesentlich präsenter. Der gelbe VW-Bus, den die Darsteller*innen in bunten Kostümen als "Yellow Submarine" über die Bühne schieben, wirkt vielleicht noch ein bisschen bemüht. Aber im Anschluss daran entfachen die Solist*innen ein Feuerwerk der guten Laune, das sich auch auf das Publikum überträgt, das begeistert mitgeht. Dabei liegt es nicht nur an der guten Auswahl der Songs, sondern auch an den Bearbeitungen, die teilweise recht ungewöhnlich sind und die Lieder in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen. So präsentiert beispielsweise Christina Clark als Penny gemeinsam mit Martin Sommerlatte als Rolf eine Jazz-Version von "Hard Day's Night", die das Leben der Jazz-Sängerin und ihres Gatten, der gleichzeitig ihr Manager ist, trefflicher beschreibt, als wenn - wie in der Version der Beatles - ein hart arbeitender Mann nach einem langen Tag erschöpft von der Arbeit nach Hause zurückkehrt. Interessant klingt auch eine Bearbeitung der drei Beatles-Songs "Yesterday", "I Wanna Hold Your Hand" und "Let it Be", die Joël als Bärbel, Brigitte Oelke als Gunda und Clark als Penny in einer Art Kanon regelrecht ineinander fließen lassen. Dabei werden sie sehr einfühlsam von Feckler am Klavier begleitet, der für das Arrangement verantwortlich zeichnet. Henrik Wager, den man bereits an mehreren NRW-Bühnen als Frank N. Furter in der Rocky Horror Show gefeiert hat, gibt auch den Kenneth leicht exaltiert und mit enormer Bühnenpräsenz. Mit Thomas Hohler als seinem Sohn Alexander präsentiert er dann ein stimmlich wunderbar aufeinander abgestimmtes "Sound of Silence" von Simon & Garfunkel und überzeugt auch in "Father & Son", was der einzige erkennbare Rückbezug zum ersten Teil ist. Ein weiterer Höhepunkt ist das Duett "Bridge Over Troubled Water" mit Brigitte Oelke als Gunda und Wager. Natürlich darf auch ein bisschen deutscher Schlager nicht fehlen. "Schuld war nur der Bossa Nova" und "Ich will keine Schokolade" bleiben aber in der Interpretation von Clark und Joël ein wenig blass. Da darf Ruud van Overdijk als Lutz beim berühmten "Marmor, Stein und Eisen bricht" schon ein bisschen mehr abgehen. Neben den bekannten Songs hat Feckler auch zwei Eigenkompositionen zum Abend beigesteuert. In dem Song "I Need You, Girl", den Hohler als Alexander präsentiert, beweist Feckler, dass er den Stil der Beatles wunderbar imitieren kann, da man diesen Song durchaus für einen Song der berühmten Band halten könnte. Ob seine Hymne auf die Zeche Zollverein aber wirklich Kult-Charakter entwickeln kann, bleibt fraglich. Offen bleibt auch, was diese Songs mit der Band "Dropping Softice" zu tun haben, wenn es sich dabei nicht nur um eine Cover-Band handeln soll. Die bunten Mikrofone, die die Solist*innen bei sich tragen, erinnern an Eiskugeln, die bisweilen auch vom Ständer herabfallen. Das alles stört das Publikum aber gar nicht, das sich mittlerweile im 60er-Jahre-Fieber befindet und lautstark Zugaben fordert, die dann auch erfolgen, bevor sich das Ensemble und die Band vom jubelnden Publikum verabschieden. FAZIT Die Revue benötigt ein bisschen Zeit, um in die Gänge zu kommen, entfacht aber im zweiten Teil ein Feuerwerk an guter Laune mit einem wunderbar aufgelegten Ensemble. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung und Bühne Kostüme Dramaturgie
United Rock Orchestra Klavier und Keyboard Gitarre 1 Gitarre 2 Bass Schlagzeug
Solisten*rezensierte Aufführung
Penny
Bärbel Gunda Alexander Lutz Rolf Kenneth
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