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Drei Frauen, drei EpochenVon Joachim Lange / Fotos von Lutz Edelhoff / © Theater ErfurtSo politisch aufgeladen, wie jetzt in der Oper Erfurt, sieht man Hoffmanns Erzählungen von Jaques Offenbach (1819-1880) wirklich nicht oft. Meistens geht's ja um das verkorkste Frauenbild eines Künstlers in der Krise, der sich seine Traumfrau aus drei ganz verschiedenen zusammenreimt, daran in der Realität scheitert und sich dann - im günstigsten Fall in seine Kunst, im weniger günstigen in den Alkohol - rettet oder flüchtet. Regisseur Balázs Kovalik startet szenisch nicht mit einem studentischen Saufgelage, sondern mit dem auf einer deutschen Bühne denkbar kühnsten Auftakt: In der Finsternis des 20. Jahrhunderts, die nur durch die Flammen öffentlich brennender Bücher gespenstisch erleuchtet wird. Dann findet sich der Künstler Hoffmann in einem Verhör, bei dem auf Lindorfs Geheiß so auf ihn eingeschlagen wird, dass das Blut spritzt. Im Knast inszeniert ein Chor von Gefangenen in orangenen Overalls mit klirrenden Kochgeschirren ein kleine Revolte. Dass es hier nicht nur ums Essen geht, wird klar, wenn jeder von ihnen beim Klein-Zack-Lied ein T-Shirt unter der Anstaltskluft präsentiert, das die regierenden Autokraten und Rechtspopulisten dieser Welt zeigt. Vor diesem Hintergrund und emphatisch assistiert von der Gefängnispsychologin (als seiner Muse) beginnt Hoffmann dann seine drei Erzählungen. An der Oberfläche handeln die von seinen Begegnungen mit Olympia, Antonia und Giulietta. Tatsächlich sind es von Hermann Feuchter (Bühne) und Sebastian Ellrich (Kostüme) opulent ausgestattete Studien über das Verhältnis von Kunst und Macht im Faschismus, Kommunismus und in der neoliberalen Freiheit eines anything goes. Auftakt im Gefängnis: Lindorf (links) Muse und Hoffmann
Auf einer imperialen Bühnenarchitektur mit Freitreppe und Säulen wird zum Stichwort "Olympia" von einem Sportler im Arierlook einer Leni-Riefenstahl-Parodie die Olympiaflagge geschwenkt, eifern die Offiziellen in ihren weißen Uniformen Hermann Goehring nach, gleitet die Erschaffung der Olympia schnell in Menschenexperiment ab, das Spalanzani stolz den Machthabern präsentiert. Als ihm der aufkreuzende Finsterling Coppelius, der vor allem Brillen verteilt, mit denen man die Welt ganz anders sieht, als sie in Wahrheit ist, das streitig macht, gleitet der schnell in Chaplins Parodie des Großen Diktators. Dass das nicht nur lustig ist, wird allein schon durch das geschickte Spiel mit einer kontaminierten Ästhetik der Farben und verfremdeten Symbolik klar. Olympia-Akt: Coppelius verkündet seine "Wahrheiten"
Im Antonia-Akt beherrscht dann ein von Bananen und Orangen umrahmter Sowjetstern über einem köstlich überzeichneten Friede-Freude-Eierkuchen-Wandbild mit den zentralen Motiven des sozialistischen Realismuskitsches die Szene. Die besteht aus einer typischen Dreizimmer Neubau-Plattenwohnung. Die Tochter hat eine US-Fahne in ihrem Zimmer. Das Telefon ist verwanzt, die Geheimpolizei wachsam. Bei der Haussuchung wird eine Antenne (fürs Westfernsehen, was sonst) entdeckt. Das Singverbot für diese Antonia ist nicht auf ihre lebensbedrohliche Krankheit, sondern auf die des Systems, in dem sie lebt, zurückzuführen. Wenn sie als Ikone des Widerstandes, entgegen Hoffmanns Rat, doch auf einer "Love not War"-Demo dennoch singt, wird sie von den Schergen des Systems erschossen. Auf Deutschland bezogen zum Glück eine Pointe, die die reale Geschichte kontrafaktisch zuspitzt. Hoffmann und Antonia
Im Giulietta-Akt leitet die berühmte Barcarole einen Szenenwechsel in den Glamour des Filmfestivals von Venedig ein. Mit lauter schrägen Typen, inclusive zwei Klischee-Schwuler und einem perfiden Intrigenspiel, um den aufmüpfigen Hoffmann zur Räson zu bringen. Er wird zusammen mit einem Mann im Bett "erwischt", gefilmt und im Internet bloßgestellt. Das wirkt zwar etwas an den Haaren herbeigezogen, gleichwohl wird damit ein Sprung aus der Geschichte in die Utopie eingeleitet. Erst die Auflösung der Szene als solche, bei der die Bühne als Bühne zu sich selbst kommt. Für das Resümee Hoffmanns und die letzte Strophe des Klein-Zack im "Duell" mit Lindorf. Danach findet sich der Titelheld - in einem Ambiente wie bei einer Uno-Veranstaltung - als Redner am Pult wieder. Ein Bild, das sich in eine Utopie der möglichen Personalunion von Macht und Kunst flüchtet, die allem, was wir bis dahin gesehen haben und hoffen dürfen, widerspricht. Hoffmann und Giulietta
Stefano Cascioli am Pult und das durch Musiker der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach verstärkte Philharmonische Orchester Erfurt müssen mit krankheitsbedingten Ausfälle im Graben auskommen, kosten aber die Möglichkeiten zum Schwelgen in der Offenbachschen Musik dennoch voll aus. Da blitzt auch hinter dem parodierten Ernst der Szene der musikalische Witz auf. Klar, dass Máté Sólyom-Nagy allen finsteren Rollen im Stück (ob nun als Lindorf, Coppelius, Mirakel oder Dapertutto) vokal und darstellerisch Gewicht verleiht. Brett Sprague gibt einem mitunter weltfremden Hoffmann lyrischen Schmelz, ohne ihn zu denunzieren. Alexandra Kadurina setzt auf die vokale Präsenz einer szenisch etwas abgedrängten Muse. Dana Kontora (Olympia), Daniela Gerstenmeyer (Antonia) und Jessica Rose Cambio (Giulietta) überzeugen jede auf ihre Art als "Traumfrau" Hoffmanns. Bei den übrigen Rollen nutzt vor allem Julian Freibott die Chance, seinen Spalanzani zu profilieren. FAZIT Musikalisch und vokal ist da alles höchst geschmeidig und macht Spaß. Die Szene verblüfft mit ihrem kühnen Zugriff. Der bietet eine opulent aufbereitetes Angebot zum Nachdenken. Die Erfurter Oper geht bei ihren Produktionen immer mit Material und der Einladung an Lehrer offensiv auf den Publikumsnachwuchs zu. Diesmal hätten neben den Musiklehrern auch die für Geschichte jede Menge Stoff. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Solisten
Hoffmann
Muse, Nicklaus
Olympia
Antonia
Giulietta
Lindorf, Coppelius, Dapertutto,
Nathanael, Cochenille, Pitichinaccio
Frantz Luther, Krespel, Amadeo
Spalanzani
Stimme von Antonias Mutter
Wilhelm, Schlemihl
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