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Musiktheater
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Die Nacht vor Weihnachten

Eine wahre Geschichte und ein Lied zur Wintersonnenwende
Oper in vier Akten
nach der Erzählung von Nikolai W. Gogol
Musik und Text von Nikolai A. Rimski-Korsakow

in russischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere in der Oper Frankfurt am 5. Dezember 2021



Oper Frankfurt
(Homepage)
Die etwas andere "Vorweihnachts-Oper"

Von Thomas Molke / Fotos von Monika Rittershaus

Oper in der Vorweihnachtszeit verbindet man auf den deutschen Bühnen häufig mit Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel. Die Oper Frankfurt schlägt in diesem Jahr einen anderen Weg ein und stellt ein relativ unbekanntes Werk des russischen Komponisten Nikolai Rimski-Korsakow auf den Spielplan, der hierzulande vor allem durch den berühmten "Hummelflug" aus der Oper Das Märchen vom Zaren Saltan und die sinfonische Dichtung Scheherazade populär geworden ist. Die am 10. Dezember 1895 in St. Petersburg uraufgeführte Oper Die Nacht vor Weihnachten fristet hingegen auch in Russland ein Schattendasein und konnte die Bühnen zu keiner Zeit erobern. Zum einen war es die Zensur, die verbot, dass in einer kleinen Szene eine namentlich nicht genannte Zarin auftrat, und eine Streichung bzw. Änderung der Szene verlangte, was zur Folge hatte, dass Rimski-Korsakow selbst der Premiere fernblieb. Zum anderen nahm das Publikum es dem Komponisten übel, dass er die beliebte Vorlage des russischen Schriftstellers Nikolai Gogol um mythologisch-heidnische Elemente erweiterte, was vor allem der russischen Staatskirche im Zusammenhang mit dem Weihnachtsfest missfiel. Auch in der späteren Sowjetunion konnte das Werk nicht überzeugen, weil Rimski-Korsakow von den sozialistischen Machthabern als folkloristischer Märchenerzähler betrachtet wurde. Von daher ist es der Oper Frankfurt hoch anzurechnen, dass sie diesem musikalisch zu Unrecht vernachlässigten Werk mehr Aufmerksamkeit schenkt.

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Wakula (Georgy Vasiliev, links) fliegt mit dem Teufel (Andrei Popov, rechts) zum Zarenhof.

Rimski-Korwakow hat den Text zu dieser Oper selbst geschrieben und orientiert sich dabei an einer Geschichte aus Nikolai Gogols Sammlung Abende auf dem Weiler bei Didanka, mit der Gogol Anfang der 1830er Jahre der literarische Durchbruch gelang. Peter Iljitsch Tschaikowsi hatte die Erzählung bereits 1874 in seiner Oper Der Schmied Wakula verarbeitet. Rimski-Korsakow nahm sie sich erst nach dem Tod seines Kollegen vor. Die Geschichte spielt am Vorabend der Weihnachtsnacht im ukrainischen Dorf Didanka. Der Schmied Wakula liebt Oksana, die Tochter des wohlhabenden Bauern Tschub. Oksana will ihren Verehrer aber nur erhören, wenn er ihr die Schuhe der Zarin bringt. Wakula verbündet sich mit dem Teufel und fliegt zur Zarin, die von seiner Bitte gerührt ist und ihm ein Paar goldene Schuhe für Oksana schenkt. Oksana macht sich mittlerweile Vorwürfe, weil sie sich eingestehen muss, dass sie Wakula liebt, und nun fürchtet, ihn für immer verloren zu haben. Umso glücklicher ist sie, dass er am Weihnachtsmorgen zurückkehrt und nicht nur bei ihrem Vater um ihre Hand anhält, sondern auch noch sein Versprechen eingehalten hat. Die Frage, ob er die Schuhe wirklich von der Zarin erhalten hat, will er aber nicht beantworten. Die Geschichte werde er nur dem Imker Rudi Panjko erzählen, hinter dem sich niemand anderes als Gogol verbirgt, der die Sammlung zunächst unter diesem fiktiven Namen herausgab.

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Die Hexe Solocha (Enkelejda Shkoza) versteckt ihre Männer: links auf dem Sofa: Tschub (Alexey Tikhomirov), in der Mitte: der Teufel (Andrei Popov), rechts: der Diakon Ossip (Peter Marsh).

Das Regie-Team um Christof Loy interessiert sich sowohl für die märchenhaft-fantastischen als auch für die folkloristischen Elemente der Vorlage und trägt diesen vor allem im Bühnenbild von Johannes Leiacker Rechnung. So sieht man in der ersten Szene vor der Bühne einen dunklen Prospekt, der ein fantasievolles Bild des Kosmos zeigt. Hinter diesem durchscheinenden Prospekt lässt Loy den Teufel aus dem Schnürboden auf die Erde hinabfliegen, wo die Hexe Solocha, Wakulas Mutter, ihn schon sehnsüchtig auf dem Kamin ihres Hauses erwartet. Gemeinsam planen sie, den Mond und die Sterne zu verstecken und in vollkommener Dunkelheit einen Schneesturm auf der Erde zu entfachen, um damit zum einen den Zyklus der Jahreszeiten aufzuhalten und zum anderen ein Treffen zwischen Wakula und Oksana zu verhindern. Auf einem Besen fliegt dann auch Solocha in die Lüfte empor, und zusammen vollziehen sie einen beeindruckenden Teufelsritt. Der Bühnenraum hinter dem Prospekt ist in sterilem Hellgrau gehalten und stellt das Bild des Weltalls gewissermaßen als Negativ dar. Die Dunkelheit wird durch das Gegenteil, recht helles Licht, dargestellt, so dass es seltsam anmutet, dass die Menschen in dieser Welt nichts sehen. Der tobende Schneesturm wird von Balletttänzerinnen und Tänzern umgesetzt, die wie vom Wind getrieben über die Bühne wirbeln. Die einzelnen Szenen werden durch wenige Bühnenelemente angedeutet, die die ukrainische Dorfgemeinde recht naturalistisch charakterisieren. So darf bei der Hexe Solocha beispielsweise der große Samowar nicht fehlen, der neben dem bunten Bauernschrank steht, in dem Solocha die Kohlensäcke aufbewahrt.

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Wakula (Georgy Vasiliev) bei der Zarin (Bianca Andrew)

Während die Kostüme von Ursula Renzenbrink in ihrer Einfachheit die Dorfgemeinschaft von Didanka recht naturalistisch einfangen, wird die kleine Szene am Zarenhof in opulenten Kostümen angelegt, die die Epoche von Katharina der Großen zitieren. Auch die Saporoger Kosaken, die von der Zarin empfangen werden und ihr Anliegen nicht vorbringen können, weil Wakula ihnen mit seiner Bitte zuvorkommt, orientieren sich optisch an russischen Malereien der damaligen Zeit. Mit viel Liebe werden auch die Ballettszenen um die jungfräuliche Göttin Koljada gestaltet, die schwanengleich auf Spitze über die Bühne gleitet. Nach ihr sind auch die Gesänge, Koljadki, benannt, die an russische Volksmusik erinnern und dem Stück neben der fantastischen Ebene einen folkloristischen Anstrich geben. Ayelet Polne begeistert als Koljada mit akkuratem Spitzentanz und großer Eleganz. Große Komik entfaltet sie im Pas de deux mit dem Bären (Pascu Ortí), der zunächst recht tapsig daherkommt und eine unfreiwillige Komik verbreitet, bevor Ortí aus dem Bärenkostüm schlüpft und sich so in einen adäquaten Tanzpartner verwandelt. Der Frühlingsgott Owsen (Gorka Culebras), der zur Zeit der Wintersonnenwende die Menschen mit Korn bestreut, um für eine reiche Ernte im nächsten Jahr zu sorgen, schwebt aus dem Schnürboden herab und verbindet sich in der Luft in bewegender Innigkeit mit der jungfräulichen Göttin. Im Gegensatz hierzu sieht man Oksana, die vom Teufel, der Hexe Solocha und der Dorfgemeinschaft gejagt wird, was wohl schlussendlich zu ihrem schlechten Gewissen führt, das sie wegen Wakula hat.

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Großer Jubel in Didanka: Wakula (Georgy Vasiliev, Mitte) gewinnt das Herz seiner geliebten Oksana (Julia Muzychenko, Mitte) (links daneben in der Mitte: Tschub (Alexey Tikhomirov), rechts daneben in der Mitte: Solocha (Enkelejda Shkoza), ganz links von links nach rechts: Bär (Pascu Ortí), Owsen (Gorka Culebras), Koljada (Ayelet Polne), Bürgermeister (Sebastian Geyer) und Diakon (Peter Marsh), dahinter: Opernchor, rechte Seite: Panas (Anthony Robin Schneider) und Frau mit gewöhnlicher Nase (Barbara Zechmeister) mit dem Opernchor).

Musiziert, gesungen und gespielt wird auf hohem Niveau. Da ist zunächst das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zu nennen, das unter der Leitung von Sebastian Weigle den vielschichtigen Klang von Rimski-Korsakows Musik differenziert herausarbeitet. In den großen Chortableaus kann schon vorweihnachtliche Stimmung aufkommen, wenn der von Tilman Michael gut einstudierte Chor der Oper Frankfurt  vor einem pittoresken Sternenhimmel posiert. Weigle lotet mit dem Orchester die unterschiedlichen Facetten der Musik, die mal ganz komödiantisch, dann wieder etwas schwermütig und schließlich auch ein wenig skurril daherkommt, großartig aus. Georgy Vasiliev gestaltet den Schmied Wakula nicht nur mit kräftiger Mittellage und sauber angesetzten Spitzentönen, sondern beweist auch bei seinem Flug durch die Luft enorme Höhensicherheit. So schlägt er beispielsweise mit scheinbarer Leichtigkeit einen Salto, wenn er mit dem Teufel die Reise zum Zarenhof antritt. Andrei Popov steht ihm als Teufel in nichts nach. Ihm gelingt es sogar an einer schrägen Hauswand hinabzusteigen. Auch er verfügt über große Beweglichkeit in der Stimme und gibt dem Teufel besonders im Zusammenspiel mit Solocha eine sehr komödiantische Note, scheint sie doch diejenige zu sein, die ihn völlig im Griff hat. Enkelejda Shkoza kann ebenfalls als Idealbesetzung für die Rolle der Hexe Solocha bezeichnet werden. Mit sattem Mezzosopran gibt sie stimmlich und darstellerisch ein absolutes Rasseweib, dem sowohl der Bürgermeister als auch der Diakon und der Bauer Tschub erliegen. Mit großartiger Komik verfrachtet sie einen Liebhaber nach dem nächsten in riesige Kohlensäcke, die anschließend von ihrem Sohn Wakula vor das Haus gebracht werden.

Julia Muzychenko verfügt als Oksana über einen lieblichen Sopran, der in den Höhen enorme Strahlkraft entfaltet. Während sie sich in ihrer ersten Arie sehr kokett mit spielerischen Koloraturen präsentiert, gewinnt ihre Rolle im weiteren Verlauf des Stückes an Tiefe. Im letzten Akt weist ihre Arie regelrecht dramatische Züge auf, wenn sie befürchtet, Wakula in den Tod getrieben zu haben. Shkoza und Barbara Zechmeister begeistern in dieser Szene gemeinsam als keifende Frauen, die angeblich genau wissen, welchen Tod der Schmied gestorben ist. Witzig ist auch die Rollenbezeichnung der beiden, die keinen Namen tragen, sondern nur "Frau mit violetter Nase" und "Frau mit gewöhnlicher Nase" genannt werden. Alexey Tikhomirov verfügt als Oksanas Vater Tschub über einen profunden Bass und begeistert mit komödiantischem Spiel. Auch Peter Marsh und Sebastian Geyer entfalten als lüsterner Diakon Ossip und Bürgermeister in der Szene mit Solocha großartige Komik. Anthony Robin Schneider, Bianca Andrew und Thomas Faulkner runden als Panas, Zarin und Pazjuk das Ensemble überzeugend ab, so dass es am Ende großen Jubel und verdienten Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Es muss nicht immer Hänsel und Gretel sein. Auch Rimski-Korsakows Oper lässt beim Publikum vorweihnachtliche Stimmung mit ein bisschen Wärme aufkommen, was bei den steigenden Corona-Zahlen und zunehmenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens gar nicht hoch genug geschätzt werden kann.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sebastian Weigle

Inszenierung
Christof Loy

Bühnenbild
Johannes Leiacker

Kostüme
Ursula Renzenbrink

Licht
Olaf Winter

Choreographie
Klevis Elmazaj

Flugchoreographie, Stundkoordination
Ran Arthur Braun

Chor
Tilman Michael

Dramaturgie
Maximilian Enderle

 

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester

Chor der Oper Frankfurt


Solistinnen und Solisten

Wakula
Georgy Vasiliev

Oksana
Julia Muzychenko

Solocha
Enkelejda Shkoza

Tschub
Alexey Tikhomirov

Teufel
Andrei Popov

Panas
Anthony Robin Schneider

Der Bürgermeister
Sebastian Geyer

Der Diakon Ossip
Peter Marsh

Die Zarin
Bianca Andrew

Pazjuk
Thomas Faulkner

Frau mit violetter Nase
Enkelejda Shkoza

Frau mit gewöhnlicher Nase
Barbara Zechmeister

Tänzerinnen und Tänzer

Koljada, die Jungfräuliche Göttin
Ayelet Polne

Owsen, der Frühlingsgott
Gorka Culebras

Der Bär
Pascu Ortí

Odarka
Clara Cozzolino

Swerbigus
Haizam Fathy

Pazjuks Sklavin
Paola Ghidini

Monsieur Flic-Flac
Guillaume Rabain

Kammerdiener der Zarin
Nicky van Cleef

Der Portugiese
Mário Branco

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







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