Die etwas andere "Vorweihnachts-Oper"
Von Thomas Molke /
Fotos von Monika Rittershaus
Oper in der
Vorweihnachtszeit verbindet man auf den deutschen Bühnen häufig mit Engelbert
Humperdincks Hänsel und Gretel. Die Oper Frankfurt schlägt in diesem Jahr
einen anderen Weg ein und stellt ein relativ unbekanntes Werk des russischen
Komponisten Nikolai Rimski-Korsakow auf den Spielplan, der hierzulande vor allem
durch den berühmten "Hummelflug" aus der Oper Das Märchen vom Zaren Saltan
und die sinfonische Dichtung Scheherazade populär geworden ist. Die am
10. Dezember 1895 in St. Petersburg uraufgeführte Oper Die Nacht vor
Weihnachten fristet hingegen auch in Russland ein Schattendasein und konnte die Bühnen
zu keiner Zeit erobern. Zum einen war es die
Zensur, die verbot, dass in einer kleinen Szene eine namentlich nicht genannte
Zarin auftrat, und eine Streichung bzw. Änderung der Szene verlangte, was zur
Folge hatte, dass Rimski-Korsakow selbst der Premiere fernblieb. Zum anderen
nahm das Publikum es dem Komponisten übel, dass er die beliebte Vorlage des
russischen Schriftstellers Nikolai Gogol um mythologisch-heidnische Elemente
erweiterte, was vor allem der russischen Staatskirche im Zusammenhang mit dem
Weihnachtsfest missfiel. Auch in der späteren Sowjetunion konnte das Werk nicht
überzeugen, weil Rimski-Korsakow von den sozialistischen Machthabern als
folkloristischer Märchenerzähler betrachtet wurde. Von daher ist es der Oper
Frankfurt hoch anzurechnen, dass sie diesem musikalisch zu Unrecht
vernachlässigten Werk mehr Aufmerksamkeit schenkt.
Wakula (Georgy Vasiliev, links)
fliegt mit dem Teufel (Andrei Popov, rechts) zum Zarenhof.
Rimski-Korwakow hat
den Text zu dieser Oper selbst geschrieben und orientiert sich dabei an einer
Geschichte aus Nikolai Gogols Sammlung Abende auf dem Weiler bei
Didanka, mit der Gogol Anfang der 1830er Jahre der literarische Durchbruch
gelang. Peter Iljitsch Tschaikowsi hatte die Erzählung bereits 1874 in seiner
Oper Der Schmied Wakula verarbeitet. Rimski-Korsakow nahm sie sich erst
nach dem Tod seines Kollegen vor. Die Geschichte spielt am Vorabend der
Weihnachtsnacht im ukrainischen Dorf Didanka. Der Schmied Wakula liebt Oksana,
die Tochter des wohlhabenden Bauern Tschub. Oksana will ihren Verehrer aber nur
erhören, wenn er ihr die Schuhe der Zarin bringt. Wakula verbündet sich mit dem
Teufel und fliegt zur Zarin, die von seiner Bitte gerührt ist und ihm ein Paar
goldene Schuhe für Oksana schenkt. Oksana macht sich mittlerweile Vorwürfe, weil
sie sich eingestehen muss, dass sie Wakula liebt, und nun fürchtet, ihn für
immer verloren zu haben. Umso glücklicher ist sie, dass er am Weihnachtsmorgen
zurückkehrt und nicht nur bei ihrem Vater um ihre Hand anhält, sondern auch noch
sein Versprechen eingehalten hat. Die Frage, ob er die Schuhe wirklich von der
Zarin erhalten hat, will er aber nicht beantworten. Die Geschichte werde er nur
dem Imker Rudi Panjko erzählen, hinter dem sich niemand anderes als Gogol
verbirgt, der die Sammlung zunächst unter diesem fiktiven Namen herausgab.
Die Hexe Solocha (Enkelejda
Shkoza) versteckt ihre Männer: links auf dem Sofa: Tschub (Alexey Tikhomirov),
in der Mitte: der Teufel (Andrei Popov), rechts: der Diakon Ossip (Peter Marsh).
Das Regie-Team um
Christof Loy interessiert sich sowohl für die märchenhaft-fantastischen als auch
für die folkloristischen Elemente der Vorlage und trägt diesen vor allem im
Bühnenbild von Johannes Leiacker Rechnung. So sieht man in der ersten Szene vor
der Bühne einen dunklen Prospekt, der ein fantasievolles Bild des Kosmos zeigt.
Hinter diesem durchscheinenden Prospekt lässt Loy den Teufel aus dem Schnürboden
auf die Erde hinabfliegen, wo die Hexe Solocha, Wakulas Mutter, ihn schon
sehnsüchtig auf dem Kamin ihres Hauses erwartet. Gemeinsam planen sie, den Mond
und die Sterne zu verstecken und in vollkommener Dunkelheit einen Schneesturm
auf der Erde zu entfachen, um damit zum einen den Zyklus der Jahreszeiten
aufzuhalten und zum anderen ein Treffen zwischen Wakula und Oksana zu
verhindern. Auf einem Besen fliegt dann auch Solocha in die Lüfte empor, und
zusammen vollziehen sie einen beeindruckenden Teufelsritt. Der Bühnenraum hinter
dem Prospekt ist in sterilem Hellgrau gehalten und stellt das Bild des Weltalls
gewissermaßen als Negativ dar. Die Dunkelheit wird durch das Gegenteil, recht
helles Licht, dargestellt, so dass es seltsam anmutet, dass die Menschen in dieser
Welt nichts sehen. Der tobende Schneesturm wird von Balletttänzerinnen und
Tänzern umgesetzt, die wie vom Wind getrieben über die Bühne wirbeln. Die
einzelnen Szenen werden durch wenige Bühnenelemente angedeutet, die die
ukrainische Dorfgemeinde recht naturalistisch charakterisieren. So darf bei der
Hexe Solocha beispielsweise der große Samowar nicht fehlen, der neben dem bunten
Bauernschrank steht, in dem Solocha die Kohlensäcke aufbewahrt.
Wakula (Georgy Vasiliev) bei der
Zarin (Bianca Andrew)
Während die Kostüme
von Ursula Renzenbrink in ihrer Einfachheit die Dorfgemeinschaft von Didanka
recht naturalistisch einfangen, wird die kleine Szene am Zarenhof in opulenten
Kostümen angelegt, die die Epoche von Katharina der Großen zitieren. Auch die
Saporoger Kosaken, die von der Zarin empfangen werden und ihr Anliegen nicht
vorbringen können, weil Wakula ihnen mit seiner Bitte zuvorkommt, orientieren
sich optisch an russischen Malereien der damaligen Zeit. Mit viel Liebe werden
auch die Ballettszenen um die jungfräuliche Göttin Koljada gestaltet, die
schwanengleich auf Spitze über die Bühne gleitet. Nach ihr sind auch die
Gesänge, Koljadki, benannt, die an russische Volksmusik erinnern und dem Stück
neben der fantastischen Ebene einen folkloristischen Anstrich geben. Ayelet
Polne begeistert als Koljada mit akkuratem Spitzentanz und großer Eleganz. Große
Komik entfaltet sie im Pas de deux mit dem Bären (Pascu Ortí), der zunächst
recht tapsig daherkommt und eine unfreiwillige Komik verbreitet, bevor Ortí aus
dem Bärenkostüm schlüpft und sich so in einen adäquaten Tanzpartner verwandelt.
Der Frühlingsgott Owsen (Gorka Culebras), der zur Zeit der Wintersonnenwende die Menschen mit
Korn bestreut, um für eine reiche Ernte im nächsten Jahr zu sorgen, schwebt aus
dem Schnürboden herab und verbindet sich in der Luft in bewegender Innigkeit mit
der jungfräulichen Göttin. Im Gegensatz hierzu sieht man Oksana, die vom Teufel,
der Hexe Solocha und der Dorfgemeinschaft gejagt wird, was wohl schlussendlich
zu ihrem schlechten Gewissen führt, das sie wegen Wakula hat.
Großer Jubel in Didanka: Wakula
(Georgy Vasiliev, Mitte) gewinnt das Herz seiner geliebten Oksana (Julia
Muzychenko, Mitte) (links daneben in der Mitte: Tschub (Alexey Tikhomirov),
rechts daneben in der Mitte: Solocha (Enkelejda Shkoza), ganz links von links
nach rechts: Bär (Pascu Ortí), Owsen (Gorka Culebras), Koljada (Ayelet Polne),
Bürgermeister (Sebastian Geyer) und Diakon (Peter Marsh), dahinter: Opernchor,
rechte Seite: Panas (Anthony Robin Schneider) und Frau mit gewöhnlicher Nase
(Barbara Zechmeister) mit dem Opernchor).
Musiziert, gesungen
und gespielt wird auf hohem Niveau. Da ist zunächst das Frankfurter Opern- und
Museumsorchester zu nennen, das unter der Leitung von Sebastian Weigle den
vielschichtigen Klang von Rimski-Korsakows Musik differenziert herausarbeitet.
In den großen Chortableaus kann schon vorweihnachtliche Stimmung aufkommen, wenn
der von Tilman Michael gut einstudierte Chor der Oper Frankfurt vor einem
pittoresken Sternenhimmel posiert. Weigle lotet mit dem Orchester die
unterschiedlichen Facetten der Musik, die mal ganz komödiantisch, dann wieder
etwas schwermütig und schließlich auch ein wenig skurril daherkommt, großartig
aus. Georgy
Vasiliev gestaltet den Schmied Wakula nicht nur mit kräftiger Mittellage und sauber
angesetzten Spitzentönen, sondern beweist auch bei seinem Flug durch die Luft
enorme Höhensicherheit. So schlägt er beispielsweise mit scheinbarer
Leichtigkeit einen Salto, wenn er mit dem Teufel die Reise zum Zarenhof
antritt. Andrei Popov steht ihm als Teufel in nichts nach. Ihm gelingt es sogar
an einer schrägen Hauswand hinabzusteigen. Auch er verfügt über große
Beweglichkeit in der Stimme und gibt dem Teufel besonders im Zusammenspiel mit
Solocha eine sehr komödiantische Note, scheint sie doch diejenige zu sein, die
ihn völlig im Griff hat. Enkelejda Shkoza kann ebenfalls als Idealbesetzung für
die Rolle der Hexe Solocha bezeichnet werden. Mit sattem Mezzosopran gibt sie
stimmlich und darstellerisch ein absolutes Rasseweib, dem sowohl der
Bürgermeister als auch der Diakon und der Bauer Tschub erliegen. Mit großartiger
Komik verfrachtet sie einen Liebhaber nach dem nächsten in riesige Kohlensäcke,
die anschließend von ihrem Sohn Wakula vor das Haus gebracht werden.
Julia Muzychenko
verfügt als Oksana über einen lieblichen Sopran, der in den Höhen enorme
Strahlkraft entfaltet. Während sie sich in ihrer ersten Arie sehr kokett mit
spielerischen Koloraturen präsentiert, gewinnt ihre Rolle im weiteren Verlauf
des Stückes an Tiefe. Im letzten Akt weist ihre Arie regelrecht dramatische Züge
auf, wenn sie befürchtet, Wakula in den Tod getrieben zu haben. Shkoza und
Barbara Zechmeister begeistern in dieser Szene gemeinsam als keifende Frauen,
die angeblich genau wissen, welchen Tod der Schmied gestorben ist. Witzig ist
auch die Rollenbezeichnung der beiden, die keinen Namen tragen, sondern nur
"Frau mit violetter Nase" und "Frau mit gewöhnlicher Nase" genannt werden.
Alexey Tikhomirov verfügt als Oksanas Vater Tschub über einen profunden Bass und
begeistert mit komödiantischem Spiel. Auch Peter Marsh und Sebastian Geyer
entfalten als lüsterner Diakon Ossip und Bürgermeister in der Szene mit Solocha
großartige Komik. Anthony Robin Schneider, Bianca Andrew und Thomas Faulkner
runden als Panas, Zarin und Pazjuk das Ensemble überzeugend ab, so dass es am
Ende großen Jubel und verdienten Beifall für alle Beteiligten gibt.FAZIT
Es muss nicht immer Hänsel und Gretel sein. Auch Rimski-Korsakows Oper
lässt beim Publikum vorweihnachtliche Stimmung mit ein bisschen Wärme aufkommen,
was bei den steigenden Corona-Zahlen und zunehmenden Einschränkungen des
öffentlichen Lebens gar nicht hoch genug geschätzt werden kann.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Sebastian Weigle Inszenierung
Christof Loy Bühnenbild
Johannes Leiacker Kostüme Ursula
Renzenbrink
Licht
Olaf Winter
Choreographie
Klevis Elmazaj
Flugchoreographie, Stundkoordination
Ran Arthur Braun
Chor
Tilman Michael Dramaturgie
Maximilian Enderle Frankfurter Opern- und
Museumsorchester Chor der Oper Frankfurt
Solistinnen und Solisten
Wakula
Georgy Vasiliev
Oksana
Julia Muzychenko
Solocha
Enkelejda Shkoza
Tschub
Alexey Tikhomirov
Teufel
Andrei Popov
Panas
Anthony Robin Schneider
Der Bürgermeister
Sebastian Geyer
Der Diakon Ossip
Peter Marsh
Die Zarin
Bianca Andrew
Pazjuk
Thomas Faulkner
Frau mit violetter Nase
Enkelejda Shkoza
Frau mit gewöhnlicher Nase
Barbara Zechmeister
Tänzerinnen und Tänzer
Koljada, die Jungfräuliche Göttin
Ayelet Polne
Owsen, der Frühlingsgott
Gorka Culebras
Der Bär
Pascu Ortí
Odarka
Clara Cozzolino
Swerbigus
Haizam Fathy
Pazjuks Sklavin
Paola Ghidini
Monsieur Flic-Flac
Guillaume Rabain
Kammerdiener der Zarin
Nicky van Cleef
Der Portugiese
Mário Branco
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