Frau zwischen Extremen
Von Thomas Molke /
Fotos von Barbara Aumüller
Umberto Giordano gehört neben Pietro Mascagni, Ruggero Leoncavallo und Francesco
Cilea zu der Riege der Verismo-Komponisten, die heute mit noch genau einem Werk
im Standardrepertoire vertreten sind. Bei Giordano ist es die 1896 uraufgeführte
Oper Andrea Chenier. Aus dem zwei Jahre später komponierten Melodramma
Fedora kennt man eigentlich nur noch die berühmte Tenorarie "Amor ti
vieta", mit der Enrico Carusos Weltkarriere begann. Die Uraufführung am 17.
November 1898 im Teatro Lirico in Mailand war dank der Besetzung mit Gemma
Bellincioni in der Titelpartie und Caruso als Graf Loris Ipanow ein großer Erfolg und
führte schnell zur Verbreitung der Oper, bis das Werk nach dem Zweiten Weltkrieg
allmählich von den Spielplänen verschwand. Der Entstehungsprozess war sehr
langwierig. Schon als Giordano 1885 eine Theateraufführung von Victorien Sardous Stück
in Neapel mit Sarah Bernhardt als Fedora gesehen hatte, war er von dem Stoff so
begeistert, dass er die Geschichte vertonen wollte. Doch zunächst wollte Sardou
dem Vorhaben nicht zustimmen. Schließlich hatte Giordano in der Opernwelt zu
diesem Zeitpunkt noch keinen Namen. Als Giordano dann 1892 mit Mala vita
seine erste Oper zur Aufführung gebracht hatte, waren die Tantiemen, die Sardou
forderte, immer noch so horrend, dass das Projekt noch nicht in Angriff genommen
werden konnte. Erst der durchschlagende Erfolg von Andrea Chenier ließ
Giordano und Sardou handelseinig werden.
Fedora (Nadja Stefanoff) als
mondäne Fürstin in St. Petersburg (rechts: Kammerdiener Desiré (Peter Marsh))
Giordanos
Librettist Arturo Colautti verdichtete die vier Akte von Sardous Tragödie auf
drei und strich einige Personen. Die Geschichte beginnt im Winter in St.
Petersburg. Die wohlhabende Fürstin Fedora Romazow ist heimlich mit Wladimiro,
dem Sohn des russischen Polizeichefs, verlobt, ohne zu ahnen, dass er sie
hintergeht und nur an ihrem Geld interessiert ist. Als er eines Abends tödlich
verwundet nach Hause kommt, vermutet Fedora zunächst ein politisches Attentat
und schwört Rache. Als Täter wird schnell Graf Loris Ipanow ausfindig gemacht,
der aber nach Paris fliehen kann. Fedora begibt sich nach Paris, um dort Ipanows
Vertrauen zu gewinnen. Auf einem Fest umgarnt sie ihn und entlockt ihm ein
Geständnis. Der russischen Geheimpolizei gegenüber gibt sie Ipanows Bruder als
Verbündeten an und verspricht, Ipanow selbst auf ein geheimes Zeichen der
Polizei auszuliefern. Bei einer weiteren Aussprache mit Ipanow erkennt sie aber,
dass Wladimiro sie mit Ipanows Frau Wanda betrogen hat und Ipanow Wladimiro in
Notwehr getötet hat. Von ihren Gefühlen überwältigt rettet sie Ipanow vor der
Polizei und begibt sich mit ihm in die Schweizer Berge. Dort führen die beiden ein paar
Wochen ein sorgloses Leben, bis die Vergangenheit sie einholt. Ipanow
erfährt, dass sein Bruder aufgrund der Denunziation einer Spionin in Paris
verhaftet worden ist und nun in seiner Zelle, die regelmäßig von der Newa
überflutet wurde, ertrunken ist. Seine Mutter ist daraufhin vor Kummer
gestorben. Ipanow will nun alles daran setzen, diese Spionin zu entlarven.
Fedora gesteht ihm verzweifelt, dass sie ihn verraten hat, um den Tod ihres
Verlobten zu rächen, und bittet um Vergebung. Als Ipanow sie töten will, nimmt
sie Gift und stirbt in seinen Armen.
Fedora (Nadja Stefanoff, links)
und der Polizeikommissar Gretch (Jasper Leever, Mitte hinten) verhören den
Kutscher Cirillo (Thomas Faulkner, Mitte vorne) (auf der rechten Seite: De
Siriex (Nicholas Brownlee) mit dem Opernchor).
Das Regie-Team um
Christof Loy interessiert sich vor allem für die Widersprüchlichkeit der
Titelfigur, die sich immer zwischen Extremen bewegt. Einerseits beherrscht sie
die Manipulation, wenn sie Ipanow ein Geständnis entlockt und ihn sofort verrät.
Andererseits setzt sie unverzüglich alles daran, ihn zu retten, wenn sie erkennt,
dass Wladimiro keineswegs der ehrenhafte Liebhaber war und Ipanow nur in Notwehr
gehandelt hat. Loy nutzt hier die Möglichkeit des Films, um Fedoras Gesicht in
Großaufnahme zu zeigen und somit einen Einblick in ihre Gedanken zu gewähren.
Herbert Murauer hat einen hohen Einheitsraum geschaffen, in dem alle drei Akte
spielen und der von einem riesigen Bilderrahmen auf der Rückwand dominiert wird.
Hier sieht man im ersten Akt in Filmeinspielungen neben Fedora auch
Wladimiro, der verwundet in sein Haus gebracht wird und im Nebenzimmer der Bühne
seinen Verletzungen erliegt. Nadja Stefanoff glänzt in der Titelpartie bei den
Videoeinspielungen mit großartiger Mimik, die in den Schwarz-Weiß-Bildern nahezu
Stummfilmcharakter hat. Im zweiten Akt befindet sich hinter dem Bilderrahmen der
Salon, in dem der Pianist Boleslao Lazinski die
Pariser Gesellschaft unterhält. Im dritten Akt sieht man in diesem Rahmen ein
surreales Idyll für die Schweizer Berge, in die sich Fedora mit Ipanow und ihrer
Freundin Olga zurückgezogen hat. Wenn die Idylle zu bröckeln beginnt, wird der
Prospekt, der mit einer pittoresken Landschaft den Hintergrund dieses Exils
markiert, emporgezogen, und grelles weißes Licht zeigt an, dass nun die Wahrheit
ans Licht kommt.
Fedora (Nadja Stefanoff)
entlockt Ipanow (Jonathan Tetelman) ein Geständnis (im Hintergrund: Opernchor
als Pariser Gesellschaft).
Hervorzuheben ist vor allem, wie
unterschiedlich Giordano musikalisch die drei Orte der Handlung zeichnet. Der
erste Akt in St. Petersburg changiert zwischen schwermütigen, melancholischen
Melodienbögen, die ein wenig an Tschaikowsky erinnern, und recht harten Tönen,
wenn Fedora Rache für den Tod ihres Verlobten schwört und der Polizeiapparat
eine gnadenlose Aufklärung des Verbrechens einfordert. Ganz anders wird dann der
zweite Akt in Paris angelegt. Er mutet mit dem Klavierspiel nahezu
kammermusikalisch an und versprüht mit den Walzertakten und tänzerischen
Elementen französische Leichtigkeit. Ein musikalischer Höhepunkt ist, wie Fedora
zum Klavierspiel Ipanow das Geständnis entlockt, und anschließend zum
auftrumpfenden Orchester erneut Rachepläne schmiedet. Der dritte Akt wirkt mit
den leicht hohl klingenden Hörnern und dem Gesang des Jungen über das verlorene
Glück regelrecht surreal. Hier wird auch musikalisch deutlich, dass es für
Fedora und Ipanow keine glückliche Zukunft geben kann und dass die Flucht in die
Schweizer Berge zwecklos ist, da die beiden der Wahrheit nicht entfliehen
können. Diese unterschiedlichen Klangfarben werden vom Frankfurter Opern- und
Museumsorchester unter der Leitung von Lorenzo Passerini, der mit dieser
Produktion sein Haus-Debüt in Frankfurt gibt, großartig herausgearbeitet.
Vergeblicher Traum vom Glück in
den Schweizer Bergen: Fedora (Nadja Stefanoff) und Ipanow (Jonathan Tetelman)
(im Hintergrund: Dimitri (Bianca Andrew), vorne links: Basilio (Dominik Betz)).
Die Hauptpartien sind hochkarätig
besetzt und lassen keine Wünsche offen. Da ist zunächst Nadja Stefanoff in der
Titelpartie zu nennen. Mit blonder Perücke wirkt sie in ihrer kostbaren
Garderobe zunächst ein wenig wie die junge Greta Garbo
und ist ganz Diva, bis sie Ipanow das Geständnis entlockt hat. Wenn sie sich
ihre eigenen Gefühle für ihn eingestehen muss, bröckelt die Fassade. Die Perücke
hat sie dann abgelegt und auch ihre Garderobe ist nicht mehr so mondän.
Stimmlich glänzt sie mit hochdramatischem Sopran und kommt auch mit Leichtigkeit
über ein aufbrausendes Orchester. Großartig gestaltet sie Fedoras inneren Kampf,
wenn sie um Ipanows Vergebung ringt, und geht entschlossen in den Freitod. Wenn
Fedora dann ihr Leben aushaucht, findet Stefanoff ganz zarte, nahezu
zerbrechliche Töne. Jonathan Tetelman ist ebenfalls eine Idealbesetzung für die
Partie des Loris Ipanow. Mit kraftvollem Tenor lässt er in den Höhen
tenoralen Glanz verströmen. Seine Bravourarie "Amor ti vieta" stellt einen
weiteren musikalischen Höhepunkt des Abends dar. In den kleineren Partien lassen
vor allem Nicholas Brownlee, Bianca Tognocchi, Jasper Leever und Bianca Andrew
aufhorchen. Brownlee legt den französischen Diplomaten De Siriex mit profundem
Bassbariton an. Tognocchi gestaltet Fedoras Freundin Olga mit leichtem Sopran
und mädchenhaftem Spiel. Jasper Leever punktet als Polizeikommissar Gretch mit
autoritären Tiefen, und Bianca Andrew überzeugt als Laufbursche Dimitri mit
dunkel gefärbtem Mezzo. So gibt es zu Recht großen Beifall für alle Beteiligten.FAZIT
Giordanos Fedora hätte musikalisch durchaus einen festen Platz im
Standardrepertoire neben Andrea Chenier verdient. Die Frankfurter
Inszenierung sollte man sich daher nicht entgehen lassen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Lorenzo Passerini Inszenierung
Christof Loy Szenische Leitung
Anna Tomson Bühnenbild und Kostüme
Herbert Murauer
Licht
Olaf Winter
Videodesign
Velourfilm AB
Chor
Tilmann Michael Dramaturgie
Thomas Jonigk Frankfurter Opern- und
Museumsorchester Chor der Oper Frankfurt
Besetzung
*Premierenbesetzung
Fedora Romazow, Fürstin
*Nadja Stefanoff /
Asmik Grigorian
Loris Ipanow, Graf
*Jonathan Tetelman /
Giorgio Berrugi
De Siriex, französischer Diplomat
Nicholas Brownlee
Olga Sukarew, Gräfin
Bianca Tognocchi
Gretch, Polizeikommissar
*Jasper Leever /
Frederic Jost
Dimitri, Laufbursche
Bianca Andrew
Desiré, Kammerdiener
Peter Marsh
Rouvel, Baron
Michael McCown
Cirillo, Kutscher
*Thomas Faulkner /
Anthony Robin Schneider
Borow, Arzt
Gabriel Rollinson
Lorek, Chirurg
Pilgoo Kang
Nicola, Diener
Leon Tchakachow
Sergio, Diener
Lukas Schmidt
Michele, Portier
Damjan Batistić
Boleslao Lazinski, Pianist
Mariusz Kłubczuk
Ein Junge
Samuel Preisenberger /
*Rocco Schulz
Basilio, Hausangestellter
Dominik Betz
Dr. Müller
Kobe Linder
Assistent des Kommissars
Henri Holland-Letz
Ein Polizist
Lauritz Jordan
Wladimiro
Joakim Stephenson
Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)
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