Skurrile Geschichte in abstrakter Optik
Von Thomas Molke /
Fotos von Monika Rittershaus
Obwohl Domenico Cimarosa Ende des 18. Jahrhunderts zu den am meisten
aufgeführten Komponisten in ganz Europa zählte - Joseph Haydn dirigierte
beispielsweise in Esterháza zwischen 1783 und 1790 dreizehn seiner Opern -,
stehen seine Werke heute fast gar nicht mehr auf den Spielplänen der
Opernbühnen. So kennt man von dem letzten Vertreter der
"neapolitanischen Schule", der als wichtiges Bindeglied zwischen Mozart und
Rossini gilt und von dem Schwan von Pesaro außerordentlich geschätzt wurde,
eigentlich nur noch das Dramma giocoso Il matrimonio segreto, das ab und
zu noch im Repertoire zu erleben ist und zu seinen größten Erfolgen
zählt. Den internationalen Durchbruch erlangte Cimarosa allerdings schon einige
Jahre früher mit seiner zwölften Oper, dem Intermezzo in musica L'italiana in
Londra. Nach der erfolgreichen Uraufführung 1778 am Teatro Valle in Rom war
das Werk bald in vielen Städten Europas zu erleben, auch in Frankfurt in einer
deutschen Bearbeitung. Nun hat man sich in Frankfurt entschieden, im Rahmen des
ersten Premierenwochenendes auch Cimarosas L'italiana eine neue Chance zu
geben und dem Vergessen zu entreißen. Und so viel lässt sich direkt zu Beginn
sagen: Musikalisch ist es wirklich traurig, dass diese Oper nur in den Archiven
schlummert.
Die Italienerin Livia (Angela
Vallone, auf dem Tresen) zwischen Sumers (Theo Lebow, links), Arespingh (Iurii
Samoilov, rechts auf dem Boden) und Polidoro (Gordon Bintner, rechts) (rechts
hinter dem Tresen: Madama Brillante (Bianca Tognocchi))
Erzählt wird
die Geschichte der jungen italienischen Adeligen Livia aus Genua, die sich einst
in den englischen Milord Arespingh verliebt hatte. Doch der Vater des Lords
durchkreuzte die Pläne der beiden Liebenden und holte seinen Sohn zurück nach
England, um ihn dann nach Jamaica zu schicken. Livia folgte dem Geliebten nach
London und konnte ihn natürlich nicht finden. So landete sie schließlich im
Hotel von Madama Brillante und entwickelte sich zu ihrer Vertrauten. Zu Beginn
der Oper kehrt nun Arespingh aus Jamaica zurück, da sein Vater ihn mit einer
englischen Lady verheiraten will. Arespingh ist verzweifelt, da er Livia immer
noch liebt, allerdings nicht weiß, dass sie mittlerweile in London ist. Im Hotel
hat Livia auch noch die Aufmerksamkeit zweier anderer Herren auf sich gezogen.
Da ist zunächst der Neapolitaner Don Polidoro, der der englischen Lebensart gar
nichts abgewinnen kann und sich nach dem "Dolce vita" in Italien sehnt. Auch der
niederländische Kaufmann Sumers, der beklagt, dass die Zeitungen nur von Kriegen
berichten, ist an der schönen Italienerin interessiert. Als dann Arespingh im
Hotel auftaucht, kommt es zu einigen Verwicklungen und Rivalitäten zwischen den
Männern. Madama Brillante, die selbst ein Auge auf Don Polidoro geworfen hat,
bringt auch noch einen vermeintlichen magischen Stein, einen Heliotrop, ins
Spiel, der seinen Besitzer angeblich unsichtbar macht. Damit versucht Don
Polidoro, sich Livia zu nähern. Doch schlussendlich kann Arespingh Livia
überzeugen, dass er sie immer geliebt hat und die Trennung nur durch eine
Intrige seines Vaters verschuldet wurde. Don Polidoro muss erkennen, dass der
Heliotrop nicht unsichtbar macht und er das Herz der schönen Livia nicht
gewinnen kann, und tröstet sich mit Madama Brillante. Sumers geht zwar leer aus,
freut sich aber mit den beiden anderen Paaren.
Arespingh (Iurii Samoilov,
links), Polidoro (Gordon Bintner, Mitte) und Sumers (Theo Lebow, rechts) buhlen
um Livias Gunst.
Das Regie-Team um
R. B. Schlather setzt die verrückte Geschichte temporeich und mit viel
Slapstick-Komik um. Bühnenbildner Paul Steinberg gestaltet das Hotel als einen
abstrakten kreisrunden Raum, der durch den Einsatz der Drehbühne zwischen einer
weißen Seite mit schwarzen geometrischen Formen und einer schwarzen Seite mit
weißen geometrischen Formen wechselt. Die Figuren kreisen um diesen Raum, aus
dem es wohl kein Entkommen gibt. Türen entpuppen sich als Täuschungen und führen
weder hinein noch hinaus. Die einzige Verbindung zur Außenwelt scheint eine
Telefonzelle auf der rechten Bühnenseite darzustellen. Hier kommuniziert
Arespingh mit seinem Vater, um sich dessen Plänen zu widersetzen. Die Kostüme von Doey Lüthi spielen mit Stereotypen. So tritt der
englische Lord mit schwarzer Melone auf, und der italienische Lebemann protzt
mit zahlreichen Goldkettchen und einer stark behaarten Brust, die er stolz zur
Schau trägt. Der Kaufmann kommt recht bieder in einem farblich unattraktiven
Anzug daher. Der durch das Bühnenbild staksende Ritter in seiner silbernen
Rüstung ist ebenso absurd wie die ganze Handlung. Madama Brillante setzt
farbliche Akzente und macht durch ihre optisch auffallenden Kostüme deutlich,
dass sie eigentlich hier die Szene beherrscht. Livia schwebt zunächst von
diversen Flaggen eingehüllt an der Wand. Im Anschluss wirkt sie in ihrem schwarzen Kostüm eher
unscheinbar, bevor sie sich schließlich in einem pinkfarbenen ausladenden Kleid
mit ihrem Geliebten in der Telefonzelle aussöhnt. Dass Arespingh dabei seine
Hose verliert und sich schließlich Sumers' Hose borgt, stellt einen weiteren
pikanten Regie-Einfall dar.
Heftiger Streit vor
leidenschaftlicher Versöhnung: Livia (Angela Vallone) und Arespingh (Iurii
Samoilov)
Das Ensemble glänzt
auch in der Personenregie mit überbordender Komik. Da ist zunächst Bianca Tognocchi
als Madama Brillante zu nennen, der es wunderbar gelingt, Polidoros Interesse an
der schönen Livia auf sie umzulenken. Mit Kostümen, die ihre Rundungen betonen,
macht sie sehr deutlich, dass sie alles daran setzen wird, den heißblütigen
Italiener für sich zu gewinnen. Hinzu kommt Tognocchis wunderbar komödiantische Mimik. Schon während der Ouvertüre spielt sie wunderbar mit der Musik, wenn
sie beispielsweise im Takt den Tresen reinigt oder mit den Fingern in der Luft
tanzt, während sie in einem Buch blättert, das offensichtlich aus ihrer
italienischen Heimat stammt. Die Geschichte mit dem Stein, der angeblich
unsichtbar macht, spielt sie glaubhaft aus. Stimmlich begeistert Tognocchi durch
einen vollen Sopran. Angela Vallone legt die Titelpartie zunächst sehr leidend
und mit weichem Sopran an. Erst als sie erfährt, dass Arespingh zurückgekehrt
ist, zeigt sie sich kampfbereiter, zumal sie merkt, dass sie theoretisch ja auch
bei anderen Männern gute Chancen hätte. Besondere Komik entfaltet sie im Streit
mit Arespingh, wenn sie abwechselnd einander Vorwürfe machen und immer wieder
dann den Streit beginnen, wenn der andere gerade einlenkt. Dabei punktet Vallone
mit beweglichen Koloraturen.
Madama Brillante (Bianca
Tognocchi) schwärmt für Don Polidoro (Gordon Bintner).
Iurii Samoilov
punktet als verliebter Milord Arespingh mit kräftigem Bariton und legt die Figur
zunächst recht verzweifelt an. Mit großer Komik buhlt er mit den anderen Männern
um Livia und benötigt einige Anläufe, bis er sie endlich von seiner Treue
überzeugen kann. Auch Theo Lebow verfügt als Sumers über großes komisches Talent.
Dabei legt er den Kaufmann recht skurril an und macht deutlich, wieso er als
einziger am Ende leer ausgehen muss. Wenn er zum Duellieren einen Kamm
hervorholt, mit dem er sich anschließend die Haare frisiert, wird deutlich, dass
er um die Gunst Livias keine große Gefahr für Arespingh darstellen wird. Die
größte Komik kann Gordon Bintner als Don Polidoro entfalten. Die Buffo-Partie
bietet aber auch Vergnügen pur. Wenn er vermeintlich unsichtbar zunächst um
Livia und Madama Brillante und später um alle vier herumschleicht, dabei auch
noch einen Purzelbaum schlägt, führt das im Publikum zu großer Erheiterung.
Wunderbar steht ihm auch der selbstgefällige Macho, mit dem er bei den Frauen
landen will. Sein Bariton ist dabei markant viril und unterstreicht, wie sehr er
von sich selbst überzeugt ist. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester
zaubert unter der Leitung von Leo Hussain aus dem Graben einen frischen Klang,
der in den Läufen stark an Mozart erinnert, und macht deutlich, wieso Cimarosa
eigentlich zu Unrecht auf den Bühnen derart vernachlässigt wird. So gibt es für
alle Beteiligten am Ende begeisterten Beifall, in den sich auch das Regie-Team zu
Recht einreiht.FAZIT
Die Oper Frankfurt hat mit L'italiana in Londra eine Rarität ausgegraben,
die musikalisch und inhaltlich einen Platz im Repertoire verdienen würde.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Leo Hussain Inszenierung
R. B. Schlather Bühnenbild
Paul Steinberg Kostüme Doey Lüthi
Licht
Joachim Klein Dramaturgie
Mareike Wink Frankfurter Opern- und
Museumsorchester Statisterie der Oper Frankfurt
Solisten
Livia
Angela Vallone
Madama Brillante
Bianca Tognocchi
Sumers
Theo Lebow
Milord Arespingh
Iurii Samoilov
Don Polidoro
Gordon Bintner
Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)
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