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Wen der Brachvogel ruft
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Björn Hickmann
Es ist nicht das erste Mal, dass das Musiktheater im Revier (MiR) in die St.-Georgs-Kirche umzieht: Als das Theater 2009 sanierungsbedingt geschlossen war, gab es in der nur ein paar Schritte entfernten, zwischen 1906 und 1908 erbauten neoromanischen Basilika Puccinis Manon Lescaut konzertant zu hören, trotz der Akustik mit langem Nachhall eine sehr erfolgreiche Produktion seinerzeit. Jetzt kommt ein Werk zur Aufführung, das explizit für einen Kirchenraum geschrieben wurde. Benjamin Britten komponierte die "Kirchenparabel" Curlew River unter dem Eindruck des japanischen Nô-Theaters (die Handlung greift ein japanisches Werk aus dem 15. Jahrhundert auf), verschmolz dabei die asiatische Form mit dem europäischen mittelalterlichen Mysterienspiel. Das Orchester besteht aus nur sieben Instrumenten (Flöte - auch Piccolo, Violine, Harfe, Horn, Kontrabass, Schlagzeug und kleine Orgel), die Darsteller sind ausnahmslos Männer. Die dramaturgische Idee: Eine Gruppe von Mönchen zieht, einen gregorianischen Choral singend, in die Kirche ein und führt dort der Gemeinde ein erbauliches Theaterstück auf.
Der Fährmann und (hinten) der Reisende. Das Kirchenfenster allerdings ist Fake: Die Fenster in der St.-Georgs-Kirche sind das jedenfalls nicht. Offenbar wurden alle Fotos im Foyer des Theaters aufgenommen, die hier gezeigten Kirchenfenster sind Projektionen.
In der St.-Georgs-Kirche findet das Spiel in der Vierung statt, während das Orchester seitlich platziert ist - was zu einer großen Dominanz der Stimmen führt, während der Instrumentalpart, der mit vielen Glissandi, mit der Flöte als "asiatischem" Leitinstrument und den rhythmischen und tonalen Verschiebungen gegenüber den eher "klassischen" Vokallinien in den Hintergrund rückt und ein wenig zu sehr zur Neben- oder Begleitsache gerät (Dirigent Peter Kattermann leitet souverän durch die Aufführung). Der Herrenchor des MiR singt, eingehüllt vom Hall, sehr klangschön, bleibt aber in der Intonation oft eine Spur zu ungenau. Wo Britten kirchentonal abweicht von der gewohnten Harmonik, müsste dies noch klarer hörbar werden, bleibt aber unscharf in der mulmigen Akustik. Michael Heine als Abt singt zurückhaltend unauffällig.
Die verwirrte Frau
Die Geschichte: Eine namenlose verwirrte Frau möchte über den "Curley River", den "Brachvogel-Fluss", übersetzen. Sie beweint ihren Sohn, der ein Jahr zuvor von einem Sklavenhändler entführt und seitdem verschwunden ist. Der Fährmann erzählt, vor genau einem Jahr habe er hier einen kranken Knaben, von einem Sklavenhändler geführt, übergesetzt; der Knabe sei an Erschöpfung gestorben, und an seinem Grab geschähen Wunder. Die Frau erkennt in der Erzählung ihr Kind, dessen Stimme darauf hin aus dem Jenseits ertönt und alle segnet. Petro Ostapenko gibt einen imposanten Fährmann, und auch Urban Malmberg als ein alter Reisender imponiert mit großer Stimme. Die Frau wird von Tenor Adam Temple-Smith gesungen, dessen baritonale Stimmfärbung sich recht wenig von den beiden tiefen Männerstimmen abhebt und der über die hohen Töne gerne schnell hinweghuscht - dadurch fehlt die helle Klangfarbe, und seinen "Duetten" mit der Flöte, oft den Brachvogel imitierend, mangelt es an entsprechendem Gewicht. Und für die Schlusssequenz mit der Stimme des Kindes hätte man sich schon einen Knabensopran gewünscht. Hier singt Sopranistin Dongmin Lee zwar mit mädchenhaft "reiner" Stimme, aber die Wirkung ist eben doch eine andere.
Der Reisende
Trotz solcher Abstriche macht die insgesamt solide musikalische Umsetzung die Reize von Brittens Partitur hörbar. Die Probleme liegen stärker in der szenischen Realisierung. Erst einmal ist die St.-Georgs-Kirche, nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und einer Sanierung 1988 in hellen Farben und mit Kassettendecke kein wirklich mystischer Ort, auch wenn sie im Dämmerlicht schon ihren Charme hat. In der Inszenierung von Carsten Kirchmeier und den Kostümen von Karin Gottschalk wirken die in mittelalterlich anmutenden Kutten einziehenden Mönche reichlich museal und ein bisschen komisch. Kirchmeier setzt den Akzent mehr auf die christliche als auf die asiatische Tradition. Die Frau trägt weite graue Hosen und wirkt sehr männlich; ein zerschlissenes Wolltuch um die Hüften macht sie zur Frau. Der Reisende dagegen trägt Rock und eine mit Haarnadeln als "weiblich" markierte Frisur. Geschlechterrollen sollen offenbar aufgehoben oder zumindest aufgeweicht werden, was vielleicht im Blick auf das Brittensche Gesamtwerk, weniger auf die hier verhandelte Mutter-Sohn-Geschichte passt.
Die Geschichte wird mit wenigen Requisiten angedeutet, wogegen das ritualisierte Spiel zurücktritt. Der so gewählte Mittelweg zwischen abtrahierendem Mysterientheater und szenischem Spiel führt wie so viele Mittelwege in die irgendwie korrekte Langeweile: Das ist ja alles nicht falsch, aber es fehlt das Mystische, Fremde, Irritierende, das ein Interesse an der Geschichte wecken könnte, die so zur kitschigen katholischen Legende verkürzt wird. Um Curlew River gegenwartstauglich zu machen, bräuchte es mutigere, radikalere Lösungen.
So katholisch hat Britten das vermutlich gar nicht gemeint: Schöne und interessante Musik, aber die allzu brave szenische Umsetzung führt das Stück nahe an den Erbauungskitsch.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
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Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Madwoman
Ferryman
Abbot
Traveller
Spirit
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