Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Auf der ewigen
Suche Von Thomas Molke / Fotos:© Sascha KreklauAls John Cameron Mitchell Anfang der 1990er Jahre als Sänger von Stephen Trasks Band "Cheaters" im New Yorker Drag Punk Club "SqueezeBox" auftrat, schuf er im Rahmen der Konzerte im Stil einer Stand-Up-Comedy eine Dragqueen, der er in Anlehnung an die Begriffe "head" und "wig" (Perücke) den Namen Hedwig gab. Im Laufe der Jahre entwickelte er die Figur immer weiter, bis ihre Geschichte unter dem Titel Hedwig and the Angry Inch als Off-Broadway-Musical am 14. Februar 1998 am Jane Street Theatre in New York City Premiere feierte. Die Produktion wurde mit einem Obie-Award (Off Broadway Theater Award) und dem Outer Critics Circle Award ausgezeichnet, so dass 2001 eine Verfilmung folgte, in der Mitchell ebenfalls die Rolle der Hedwig übernahm. 2014 folgte dann die mit vier Tony Awards prämierte Broadway-Premiere mit Neil Patrick Harris in der Titelpartie, der vor allem als Barney Stinson in der US-amerikanischen Sitcom How I Met Your Mother Bekanntheit erlangte. Auch in Deutschland stand das Stück seit der deutschen Erstaufführung 1999 mit Gerd Köster in der Halle Kalk in Köln immer mal wieder auf dem Spielplan. Neben dem Staatstheater Hannover, wo das Stück mit Mohamed Achour am 23. Oktober 2021 im Schauspielhaus Premiere feierte, ist es nun im Kleinen Haus im Musiktheater im Revier mit Musical-Star Alex Melcher zu erleben. Hedwig (Alex Melcher) ist auf ihrer Tour im Kleinen Haus im Musiktheater im Revier angekommen. Die Geschichte spielt jeweils auf der Bühne, auf der das Musical aufgeführt wird. So kommt Hedwig in diesem Fall mit ihrer vierköpfigen Band "The Angry Inch" und ihrem Lebenspartner Yitzhak nach Gelsenkirchen, um mit Rocksongs unterschiedlicher Couleur Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen: Aufgewachsen in Ostberlin ("auf der falschen Seite der Mauer") verliebt sich der androgyne Hansel Schmidt in den US-amerikanischen GI Luther, der ihn überredet, sich einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen und dann als Hedwig mit ihm in das "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" zu gehen. Doch die Operation läuft schief, und ein "angry inch" bleibt zurück, der Hedwig zeitlebens an das alte Ich erinnert und sie fortan zwischen den Geschlechtern schweben lässt. Als Luther sie wenig später verlässt und sie sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser hält, trifft sie als Babysitterin auf den jüngeren Tommy, den sie mit ihren Songs zu dem gefeierten "Tommy Nosis" aufbaut. Doch auch er lässt sie sitzen und feiert in ausverkauften Hallen große Erfolge, von denen Hedwig nur träumen kann. So versucht Hedwig mit ihrer Tour, ihren Frust zu überwinden und wie in einer Art Psychotherapie ihre verletzte Seele zu heilen. Im Schatten von Hedwig (Alex Melcher, vorne): Yitzhak (Nina Janke) Das Kleine Haus im Musiktheater in Revier bietet einen absolut geeigneten Raum für diese Geschichte, auch wenn bei der Premiere die Songs teilweise noch zu laut ausgesteuert sind, worunter die Textverständlichkeit zumindest bei den englischsprachigen Songs leidet, was schade ist, da Hedwig darin ja einiges zu erzählen hat. Der Vorhang, durch den Hedwig aus dem Hintergrund die Bühne betritt, ist ein Prospekt mit einem verzerrten schreienden Gesicht, wobei Hedwig durch den aufgerissenen Mund auftritt. Auf der linken Bühnenseite befinden sich mehrere Fernseher, auf denen zeitweise das erfolgreiche Konzert verfolgt wird, das Tommy zur gleichen Zeit in einer ausverkauften Halle gibt. Yitzhak stellt diese Fernseher immer dann an, wenn er sich für die Demütigungen Hedwigs revanchieren will. Hedwig projiziert nämlich immer wieder die schlechten Erfahrungen, die sie mit den Männern in der Vergangenheit gemacht hat, auf ihren jetzigen Lebenspartner, so dass man sich fragt, wieso Yitzhak es überhaupt mit ihr aushält. Aber auch er scheint wie Hedwig auf der Suche nach der eigenen Identität zu sein und trotz aller Qualen in ihr eine Verbündete zu finden. Zum Spiel mit den Geschlechtern gehört es da, dass diese Rolle von einer Frau verkörpert wird. Verletzte Seele am Ende der Show: Hedwig (Alex Melcher) Für den Darsteller der Titelfigur sind diese knapp 100 Minuten Spielzeit ohne Pause ein regelrechter Parforce-Ritt, den Alex Melcher mit einer Wahnsinnsenergie und großer Intensität bewältigt. Mit einer schrillen blonden Langhaarperücke betritt er in wechselnden sehr körperbetonten Outfits die Bühne und rockt zu "Tear Me Down" zunächst so richtig ab, bevor er nach und nach Einblicke in seine verletzte Seele gewährt. Wie er langsam Schicht für Schicht vor dem Publikum ablegt, ohne dabei in melodramatisches Selbstmitleid abzudriften, wird von Melcher großartig umgesetzt. Die eigene Verletztheit versucht Melcher immer wieder hinter einer überheblichen Arroganz zu verbergen, die sich zunächst auch gegen das Publikum zu richten scheint. So geht das Licht im Saal an, und die Zuschauer*innen werden kritisch von Hedwig kommentiert. Doch bei jeder Spitze lässt Melcher durchschimmern, dass das alles nur Hedwigs Selbstschutz dient. Sobald Tommys Stimme aus dem Fernseher erschallt, zeigt Hedwig nämlich, wie verletzt ihre Seele ist. Für die einzelnen Songs findet Melcher stets den richtigen Tonfall, der die jeweilige Stimmung in dem Lied wunderbar einfängt. "The Origin of Love" gehört zu den wenigen Songs, die ins Deutsche übertragen worden sind, was aber ohne Übertitelung auch sinnvoll ist, da man sonst bei diesem Song die Botschaft sicherlich nicht verstanden hätte. Hier wird es Hansel/Hedwig nämlich durch das erzählte Märchen der Mutter klar, dass ihm/ihr die andere Hälfte fehlt, die er/sie sucht. Yitzhak (Nina Janke, rechts) tröstet Hedwig (Alex Melcher, links). Dass der Abend nicht ganz zu einer One-(Wo)-Man-Show wird, gebührt Nina Janke, die der Figur des Yitzhak eine Tiefe verleiht, ohne sich dabei in den Vordergrund zu spielen. Mit ihrer wunderbar dunklen Stimme bildet sie nicht nur in den Songs einen großartigen Gegenpart zu Melchers Hedwig und "rettet" an einer Stelle die Show, als Hedwig von ihren Gefühlen übermannt wird und einen Moment nicht weitersingen kann, sondern schafft es auch, ohne Worte klarzumachen, wieso Yitzhak die Demütigungen erträgt und bei Hedwig bleibt. Nachdem Melcher sich am Ende verzweifelt die Kunstfigur Hedwig gewissermaßen vom Leib gerissen und sich mit dem heruntergezogenen Prospekt zugedeckt hat, kommt es doch noch zu einer Art Happy End. Über den Bildschirm hört man Tommy, wie er bekennt, dass er seinen ganzen Erfolg einer großartigen Frau zu verdanken hat. So stimmen Janke und Melcher am Ende vereint ein optimistisches Duett an, während an einer Stange ein glitzernder Hintergrund hochgezogen wird. Das Publikum spendet während der Songs und am Ende begeisterten Beifall.
FAZIT Regisseur Carsten Kirchmeier setzt die Geschichte eines ewig Suchenden gefühlvoll um und hat mit Alex Melcher eine ideale Besetzung für die Titelpartie gefunden.
|
ProduktionsteamInszenierung Bühne und Kostüm Licht Dramaturgie
Band "The Angry Inch"
Gitarre / Backvocals Piano / Keys Bass Schlagzeug BesetzungHedwig Yitzhak
|
© 2022 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de