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Butterfly mit
anderem Ende Von Thomas Molke / Fotos:© Björn HickmannDass ein gängiges Repertoire-Stück wie Madama Butterfly an einem Opernhaus nach über 20 Jahren in einer neuen Inszenierung herausgebracht wird, ist grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Dass Noriko Ogawa-Yatake als Ensemble-Mitglied in beiden Produktionen eine zentrale Rolle übernimmt, darf hingegen durchaus als etwas Besonderes betrachtet werden. Während sie in der damaligen Inszenierung die Titelpartie übernahm, hat sie sich nun zum Ende ihrer aktiven Zeit im Ensemble des MiR gewünscht, noch einmal die Suzuki interpretieren zu können. Das Haus, an dem Ensemble-Arbeit unter der Intendanz von Michael Schulz einen großen Stellenwert hat, ist nicht nur diesem Wunsch nachgekommen, sondern hat außerdem mit Gabriele Rech die Regisseurin verpflichtet, die bereits die letzte Produktion von Madama Butterfly hier inszeniert hat. Da darf natürlich mit Spannung erwartet werden, wie sich ihr Blick auf das Stück nach über 20 Jahren verändert hat. Zunächst einmal bleibt Rech bei der 2. Fassung, die von Brescia aus einen Siegeszug um die ganze Welt antrat und auf die zahlreichen politischen Anspielungen mit kritischem Unterton verzichtete. Nur bei der Figur der Kate Pinkerton greift sie auf die zweiaktige Urfassung zurück und fügt einen kurzen Dialog zwischen ihr und Butterfly ein, in dem Kate Butterfly versichert, für das Kind gut zu sorgen - diesen Part übernahm in der zweiten Fassung Konsul Sharpless. Mit dem Ende der Oper schlägt Rech einen neuen Weg ein, der zwar so nicht im Libretto steht, aus heutiger Sicht jedoch durchaus nachvollziehbar ist. Cio-Cio-San (Ilia Papandreou) inmitten der Geishas (Damen des Opernchors) (vorne links: Suzuki (Noriko Ogawa-Yatake)) Bereits zu Beginn der Ouvertüre sieht man Butterfly mit ihrem kleinen Kind und einem großen Koffer abfahrbereit in ihrem weißen Hochzeitskleid auf der Bühne stehen und darauf warten, von Pinkerton nach Amerika geholt zu werden. Pinkerton hingegen vergnügt sich derweil lieber mit zwei Prostituierten auf der rechten Bühnenseite an einer kleinen Bar. Das Bühnenbild von Dirk Becker macht in zwei Ebenen deutlich, dass hier ein künstlich inszeniertes Japan vorgespielt wird, so wie man sich in Europa zu Puccinis Zeit wohl ein exotisches fernes Land vorgestellt hat. Ein Glitzervorhang in der oberen Ebene lässt wie die opulenten Kostüme von Renée Listerdal vermuten, dass hier alles nur Show ist. Durch diesen Vorhang tritt Butterflys Onkel Bonzo (Michael Heine) wie eine Art Samurai aus einem Computer-Spiel auf, um Cio-Cio-San zu verfluchen, da sie ihren Glauben verraten habe und zum Christentum konvertiert sei. Später sieht man hinter diesem Vorhang, wie sich die Mitglieder des Chors abschminken, die vorher noch als Cio-Cio-Sans Familie der Hochzeitszeremonie beigewohnt haben. Drei Statist*innen zeigen, dass die pseudo-romantische Geschichte letztendlich in einem Bordell spielt. Ein Podest in der unteren Ebene ist ebenfalls mit einem Glitzervorhang umgeben und verdeutlicht, dass auch die Hochzeit nur eine Show ist. Inwiefern Butterfly sich dieses Spiels bewusst wird, lässt Rech in ihrer Inszenierung offen, auch wenn Cio-Cio-San als durchaus reife Frau in Szene gesetzt wird und allen klar ist, dass sie keine 15 mehr ist, wie es im Libretto heißt. B. F. Pinkerton (Carlos Cardoso, links) ist mit seiner Frau Kate (Scarlett Pulwey) und Sharpless (Urban Malmberg) gekommen, um das Kind zu holen. Besonderes Augenmerk richtet Rech auf die kleineren Partien. Da ist zunächst der Fürst Yamadori (Daegyun Jeong) zu nennen, der im zweiten Akt um Cio-Cio-San wirbt. Wieso sich die drei Statist*innen immer noch bei Butterfly in dem mittlerweile recht verfallenen Haus befinden, ist nicht klar. Jedenfalls bändelt Yamadori zunächst mit einer Prostituierten an und zeigt sich relativ grob, bevor er sich Butterfly gegenüber recht devot präsentiert und ihr sogar die Lederstiefel küsst, die sie dazu angezogen hat. Ob Butterfly in ihrer Situation wirklich die Stärke besitzt, den einflussreichen Yamadori wie einen dressierten Hund vorzuführen, ist diskutabel. Auch Kate Pinkerton (Scarlett Pulwey) erhält in Rechs Inszenierung mehr Spielraum, als man es aus anderen Inszenierungen kennt, was nicht nur an den zusätzlichen Zeilen liegt, die sie zu singen hat. Wenn sie im dritten Akt mit Sharpless und ihrem Gatten Pinkerton bei Butterfly auftaucht, rückt sie bereits beim Terzett zwischen Sharpless, Pinkerton und Suzuki optisch ins Zentrum, weil sie währenddessen vor den anderen auf der Bühne auf einem Stuhl sitzt. Pulwey besticht dabei durch eine großartige Mimik, die diese Figur als recht unterkühlt und abweisend zeigt. Es darf bezweifelt werden, dass diese Person für Butterflys Kind die notwendige Liebe aufbringen wird. Auch die Schwäche Pinkertons scheint Kate zu verachten und weist seine Trost suchenden Berührungen brüsk zurück. Der von Alexander Eberle einstudierte Chor wird als Cio-Cio-Sans Familie mit großem Spielwitz in Szene gesetzt. Dass die Tanzerei bei den Hochzeitsfeierlichkeiten nicht ganz zur Musik passt, mag beabsichtigt sein, um das trügerische Japan-Bild zu unterstreichen, das hier kolportiert werden soll. Immerhin setzen einzelne Choristinnen dabei auch ihre Perücke ab und fallen somit ebenfalls aus der Rolle. Cio-Cio-San (Ilia Papandreou, Mitte) genießt (noch) ihr Liebesglück mit Pinkerton (Carlos Cardoso) (links: Suzuki (Noriko Ogawa-Yatake)). Die Titelpartie ist mit Ilia Papandreou großartig besetzt. In der berühmten Arie im zweiten Akt, "Un bel di vedremo", punktet Papandreou mit großer Dramatik und glänzt mit höhensicherem Sopran und intensiver Darstellung. Gleiches gilt für ihren Schlussgesang "Tu, tu, piccolo idio". Szenisch legt sie die Figur als selbstbestimmte Frau an, die genau weiß, was sie will. Wieso sie dem Charme Pinkertons erliegt und drei Jahre auf ihn wartet, scheint bei ihrem Charakter zunächst nicht ganz nachvollziehbar zu sein. Dies mag Rech vielleicht dazu verleitet haben, das Ende abzuändern. Wenn Butterfly den Dolch ansetzt, um sich die Pulsadern aufzuschneiden, hört man aus dem Off Pinkerton ihren Namen rufen. Sie hält inne, und scheint zu erkennen, dass dieser Mann es nicht wert ist, für ihn das eigene Leben zu beenden. So kommt es zu einer weiteren Begegnung zwischen Butterfly und Pinkerton. Pinkerton läuft ihr entgegen und will sie in die Arme schließen. Doch für eine Versöhnung ist es zu spät. Butterfly tötet ihn mit dem Dolch, der für ihren Selbstmord bestimmt war. Carlos Cardoso stattet die charakterlich absolut undankbare Rolle des Pinkerton mit kraftvollen Höhen aus und hat zu keinem Zeitpunkt Probleme, mit seinem Tenor über das Orchester zu kommen. Darstellerisch nimmt man ihm den überheblichen und selbstverliebten Marineleutnant in jedem Moment ab. Besonders überzeugend zeichnet er Pinkertons Feigheit im letzten Akt. Sharpless (Urban Malmberg) und Suzuki (Noriko Ogawa-Yatake, hinten Mitte) versuchen Cio-Cio-San (Ilia Papandreou, vorne rechts) klarzumachen, dass Pinkerton nicht zurückkehren wird. Für Noriko Ogawa-Yatake ist die Partie der Suzuki in jeder Hinsicht eine Paraderolle. Stimmlich meistert sie die Rolle mit dunkel gefärbtem Sopran. Darstellerisch reicht ein bloßer Blick, um einen tiefen Einblick in die misstrauische Seele dieser Figur zu gewähren. Butterfly gegenüber strahlt Ogawa-Yatakes Mimik eine solche Wärme aus, die spüren lässt, wie ergeben sie ihr ist. Ein musikalischer Höhepunkt ist das Duett mit Papandreou im zweiten Akt. Von Pinkertons Reichtum lässt sie sich jedoch gar nicht beeindrucken und bleibt höflich distanziert, ohne dabei verletzend zu sein. All dies gelingt Ogawa-Yatake mit bloßer Mimik und Körpersprache, so dass es nicht verwundert, dass sie beim Schlussapplaus vom Publikum bejubelt wird. Urban Malmberg legt den Konsul Sharpless als recht schwache Figur an, der zwar Pinkertons Verhalten missbilligt, Butterfly jedoch auch nicht helfen kann. Stimmlich überzeugt er mit markantem Bariton und bewegendem Spiel. Besonders beeindruckend gelingt ihm der innere Kampf, den er durchlebt, wenn er versucht, Butterfly Pinkertons Brief vorzulesen, und es nicht fertig bringt, ihr zu sagen, dass Pinkerton nicht zu ihr zurückkehren wird. Tobias Glagau gestaltet den Heiratsvermittler Goro als leicht schmierigen Makler, der alles daran setzt, die Wünsche seiner Kunden zu erfüllen. Giuliano Betta findet mit der Neuen Philharmonie Westfalen einen gelungenen Mittelweg zwischen emotionsgeladenem wuchtigen Klang aus dem Graben, ohne dabei die Solist*innen auf der Bühne zu überdecken, und sehr intimen Momenten, die die Tragik des Stückes spürbar machen. Die US-amerikanischen Motive werden recht patriotisch angelegt, während die japanisch anmutenden Momente musikalisch einen starken Kontrast bilden.
FAZIT Gabriele Rechs Inszenierung bleibt dem Stück treu, auch wenn sie einen gravierenden Einschnitt am Ende vornimmt, der aus heutiger Sicht aber durchaus realistisch scheint.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Licht Choreinstudierung Dramaturgie
Neue Philharmonie Westfalen Opernchor des MiR Statisterie des MiR
Besetzung*Premierenbesetzung Cio-Cio-San B. F. Pinkerton Suzuki Sharpless Goro Kate Pinkerton Fürst Yamadori Onkel Bonzo Kommissar Onkel Yakusidé Cousine Mutter Tante Kind
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