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Von Übergang und
Einsamkeit Von Thomas Molke / Fotos:© Bettina StößUm Wolfgang Amadeus Mozarts düster-kraftvolle Requiem-Komposition, die er in den letzten beiden Wochen seines Lebens begann und die von seinem eigenen Tod unterbrochen wurde, ranken sich nicht nur zahlreiche Mythen. Auch das Tanztheater hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Interesse daran gehabt, dieses Werk im Tanz umzusetzen. So präsentierte beispielsweise Jean-Jacques Vidal in der Spielzeit 1996/1997 im Theater Hagen einen Ballettabend, in dem er Mozarts Meisterwerk mit Sergei Prokofjew verknüpfte, und auch Boris Eifman kreierte 1991 eine tänzerische Umsetzung, die in der Spielzeit 2002/2003 im Aalto Theater Essen zusammen mit Strawinskys Le sacre du printemps in einer Choreographie von Heinz Spoerli Premiere feierte. Bei Giuseppe Spota, dem Direktor der MiR Dance Company, der als zentrales Thema der Tanzproduktionen in dieser Spielzeit die Beschäftigung mit Ängsten und deren Überwindung sieht, ist die Wahl für die Ballettproduktion im Großen Haus nun auch auf Mozarts Requiem gefallen, um sich darin mit der Angst vor dem Tod auseinanderzusetzen. M. (Yu-Chi Chen, Mitte rechts) und das Schicksal (Alessio Monforte, Mitte links) mit den Wegbegleiter*innen (Ensemble) Dabei geht es Spota nicht nur um die christlich geprägte ernste Totenmesse, in deren Zentrum Trauer und das strenge Weltgericht stehen. Er lenkt in seiner Choreographie auch den Blick auf den Umgang mit dem Tod in anderen Kulturräumen. So inspirierte ihn beispielsweise der südostafrikanische Nyau-Kult, bei dem die Verstorbenen in fröhlichen Prozessionen mehrere Wochen lang auf ihrer Reise ins Jenseits begleitet werden. Dazu gibt es auf der Bühne insgesamt sieben Wegbegleiter*innen. In mit Stroh und Fellen behangenen Kostümen, erinnern die Tänzer*innen an heidnische Bräuche und Kulturen und wirbeln nicht nur jede Menge Staub auf, sondern machen mit ihren sehr expressiven Bewegungen auch relativ viel Krach, was dem musikalischen Genuss nicht gerade förderlich ist, da das Orchester, der Chor und die Solist*innen auf der Hinterbühne platziert sind. Bevor die Musik beginnt umkreisen die sieben Tänzer*innen Yu-Chi Chen, der auf einer Halbkugel versucht, die Balance zu halten, während die Wegbegleiter*innen immer wieder mit rhythmischen Bewegungen auf die Oberfläche der Halbkugel schlagen. Chen wird dabei im Programmheft als M. betitelt. Dahinter kann sich zum einen Mozart, zum anderen aber auch der Mensch im Allgemeinen verbergen. Wenn die Neue Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Valtteri Rauhalammi und der von Alexander Eberle einstudierte Opernchor des MiR die ersten Töne des Requiems erklingen lassen, wird man von dem Rauschen der Kostüme stark abgelenkt. Das Schicksal (Alessio Monforte, rechts) führt die Wegbegleiter*innen (Ensemble) über einen mühsamen Pfad. M. zur Seite steht eine weitere Figur, die das Schicksal genannt wird. Alessio Monforte ist in einen voluminösen sackartigen Anzug gehüllt, der vielleicht die Erfahrungen enthält, die der Mensch im Laufe seines Lebens macht. Am Ende des Abends legt er dieses Kostüm ab und steht gewissermaßen nackt in einem hautfarbenen engen Anzug auf der Bühne. Auf diesem Trikotstoff ist ein vertrauliches Bekenntnis Mozarts zu lesen, das er in einem Brief an seinen Vater vier Jahre vor seinem Tod gemacht hat und das schon von seiner frühzeitigen, recht reifen Auseinandersetzung mit dem Thema Tod zeugt. Diese Information erhält man natürlich nur aus dem Programmheft. Erkennen lässt sich dieser Text nicht. Im Verlauf der Musik versuchen M. und sein Schicksal zueinander zu finden, bis sie sich schließlich, wenn das Schicksal sich seiner Kleidung entledigt hat, M. also sein Leben gelebt hat und die Erfahrungen gesammelt hat, umarmen. Bis dahin ist es aber ein weiter und teilweise recht beschwerlicher Weg. Die zahlreichen Halbkugeln, die als Bühnenbild fungieren, nehmen dabei unterschiedliche Funktionen ein. Einmal dienen sie als beschwerliche Hügel, über die das Schicksal die Wegbegleiter*innen führt, die im Verlauf des Abends ihre Fell- und Strohumhänge abgelegt haben und nun ebenfalls recht verwundbar und verletzlich wirken. Dann schlüpfen die Wegbegleiterinnen in diese Halbkugel wie in einen Rock und wippen in ihnen im Takt zum "Lacrimosa" über die Bühne, wobei sie in diesen Bewegungen recht fremdbestimmt wirken. Fast am Ziel: M. (Yu-Chi Chen, links) und das Schicksal (Alessio Monforte) Eindrucksvoll wird der Übergang ins Jenseits gezeichnet. Mit Laserstrahlen wird eine zunächst unsichtbare Wand zum Publikum geschaffen. Wenn M., das Schicksal oder die Wegbegleiter*innen diese Wand zu durchschreiten versuchen, werden sie in einen grellen Lichtstrahl getaucht, der sie wie eine Schranke zurückzuhalten scheint. Auch auf diese Wand projizierte Wolken- und Nebelfelder vermitteln den Eindruck von einem rechts sphärischen Jenseits. Das alles ist optisch faszinierend anzusehen. Leider lenkt die moderne Tanzsprache ein wenig von Mozarts großartiger Musik ab. Die Neue Philharmonie Westfalen und der Opernchor wirken fast wie ein Fremdkörper und müssen sich ihren Weg durch den Tanz regelrecht bahnen. Das mag so intendiert sein, beeinträchtigt aber den musikalischen Genuss. Der Opernchor überzeugt durch präzisen Klang genauso wie die Solist*innen Heejin Kim, Almuth Herbst, Khanyiso Gwenxane und Stefan Sevenich, der für die Bass-Partie in der Premiere eingesprungen ist. Valtteri Rauhalammi führt die Neue Philharmonie Westfalen mit sicherer Hand durch Mozarts Partitur. Spota hängt an Mozarts Requiem noch ein a-cappella-Chorstück von Eric Whitacre an, das im Oktober 2000 seine Uraufführung in Austin erlebte: Sleep. Hier haben M. und das Schicksal die Wegbegleiter*innen nun endgültig zurückgelassen und sind in eine jenseitige Welt übergegangen. Mit zwei leeren schwarzen Halbkugeln bewegen sie sich aufeinander zu und versuchen, zu einer Einheit zu verschmelzen, was ihnen allerdings nicht gelingt. So bleiben beide isoliert und hilflos in ihrer Halbkugel zurück und finden immer noch nicht den Halt, den sie die ganze Zeit gesucht haben. The Lost Ones: Ensemble Der zweite Teil des Abends stammt von dem albanischen Choreographen Erion Kruja und beschäftigt sich mit den Hinterbliebenen. Zu einer abstrakten Klangcollage, die Kruja selbst kreiert hat, durchleuchtet er, welche Erfahrungen diejenigen machen, die einen geliebten Menschen verloren haben und als selbst Verlorene nun irgendwie weiterleben müssen. In weißen Kostümen, die zum einen recht einheitlich wirken, zum anderen sich aber in Stoffen, Röcken und Hosen doch voneinander unterscheiden und die Tänzer*innen individualisieren, bewegen sich die zehn Tänzer*innen zunächst in einer modernen Tanzsprache zu den recht eintönigen Klängen und bilden einzelne Paare, was die Zeit der Findung zu beschreiben scheint. Die Scheinwerfer lassen sie mal in gleißendem Licht und dann auch nur wie Silhouetten erscheinen. Dieser Vorgang wiederholt sich immer wieder, was wohl einen gewissen Zyklus andeuten soll. Doch irgendwann kommt der Zeitpunkt, zu dem man die geliebten Menschen verliert. Erst ist es ein einzelner Mann, der verzweifelt über die Bühne läuft und dabei unartikulierte Laute ausstößt. Die übrigen Tänzer*innen sind in isolierten Lichtkegeln angestrahlt und erstarrt. Der Mann zieht eine Frau aus dem Lichtkegel und schleppt sie über die Bühne, wobei er sich immer wieder sagt, dass diese Frau seine Frau sei. Doch er muss erkennen, dass er sie verloren hat und verzweifelt schließlich. In einer weiteren Szene sieht man zwei Frauen, die sich gegenseitig Halt geben und den Verlust der Menschen um sie herum zu verkraften scheinen. Aber als dann auch von diesen beiden eine allein zurückbleibt, durchlebt sie die gleiche Krise wie der Mann zuvor. Sie bahrt die übrigen Tänzer*innen zu einem riesigen Haufen auf und erkennt, dass sie verloren ist. Auch dieser Teil wird von der MiR Dance Company eindrucksvoll umgesetzt, auch wenn er musikalisch etwas eintönig ist und Längen aufweist. FAZIT Giuseppe Spota setzt Mozarts Requiem in eindrucksvollen Bildern um, wobei die expressive Tanzsprache den musikalischen Genuss zumindest am Anfang etwas beeinträchtigt. Kruja schafft eine bewegende Erzählungen, die in der Struktur allerdings einige Längen aufweist.
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ProduktionsteamRequiem
Musikalische Leitung
Choreographie, Bühne und Kostüme
Choreinstudierung
Licht Dramaturgie
Neue Philharmonie Westfalen Opernchor des MiR
Solist*innen*Premierenbesetzung M. Schicksal Wegbegleiter*innen Sopran Alt Tenor Bass
The Lost Ones Choreographie, Kostüme, Musik und Licht Licht Dramaturgie Tänzer*innen Octavia Barvulsky
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