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Sweeney Todd
The Demon Barber of Fleet Street

Ein Musical-Thriller
Musik und Gesangstexte von Stephen Sondheim
Buch von Hugh Wheeler
nach dem gleichnamigen Stück von Christopher Bond
Deutsche Fassung von Wilfried Steiner und Roman Hinze


In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln und deutschen Dialogen

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere an der Staatsoper Hannover am 27. November 2021
(rezensierte Aufführung: 30. Dezember 2021)


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Staatsoper Hannover
(Homepage)

Gemordert wird hier klinisch rein

Von Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then

Schmeckt ein Priester besser als ein Finanzbeamter? Diese Frage stellt sich, nachdem der Barbier Samuel Baker erkannt hat, dass sich Leichen elegant entsorgen lassen, indem sie von Nachbarin Mrs. Lovett zu Fleischpasteten verarbeitet werden, was deren Bäckerei zu einem ungeahnten Aufschwung verhilft. An Leichen ist auch kein Mangel, nachdem Baker erfahren hat, wie leicht das Morden doch geht und er seinen Rachefeldzug beginnt, der sich vor allem gegen Richter Turpin richtet - der hatte ihn einst zu Unrecht in die Verbannung geschickt, um an Bakers hübsche Frau Lucy heranzukommen; diese vergiftete sich nach einer Vergewaltigung durch den Richter, und Tochter Johanna wächst in Turpins Obhut auf und soll diesen nun heiraten. Wozu es nicht mehr kommt, denn Baker, unter dem falschen Namen Sweeney Todd zurückgekehrt, richtet ein Blutbad an, das er zum Kampf der Armen gegen eine menschenverachtende Obrigkeit stilisiert. Ein bisschen Brecht schwingt da mit, aber natürlich viel 19. Jahrhundert zwischen Charles Dickens und Stevensons Jekyll and Hyde.

Vergrößerung in neuem Fenster Der erste Mord: Swenney Todd beseitigt den erpresserischen Kollegen Pirelli

Davon allerdings will Regisseur Theu Boermans nichts wissen und tilgt alle atmosphärischen Momente, die auf die historische Verankerung hindeuten können, und noch mehr: Zwar deuten Bierdosen und Mikrowelle an, dass es sich um eine gegenwärtige Geschichte handelt, aber das Regieteam bemüht sich um weitestgehende Abstraktion. Dazu hat Bühnenbildner Bernhard Hammer ein schräg ansteigendes Podest mit abgerundeten Kanten auf die Drehbühne gesetzt, dessen blockartige Teile bei Bedarf auseinanderfahren können und das ganz geschickt für die schnell wechselnden Szenenfolgen genutzt werden. Nur sieht es aus wie ein ästhetisch reichlich misslungenes postmodernes Möbelstück, da hilft auch die Leinwand darüber mit meist verschwommenen Videobildern nicht mehr viel. Das Ambiente neutralisiert die Akteure, deren Handlungen umso stärker als Stereotypen erscheinen. Aber letztendlich überfordert Boermans das Stück, wenn er es zum Lehrstück über den zeitlosen Kampf der Unterdrückten gegen "die da oben" erhebt.

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Todd und Nachbarin Mrs. Lovett, deren Bäckerei durch die von Todd zur Verfügung gestellten Fleischeinlagen für die Pasteten floriert.

Auf der Strecke bleibt in diesem aseptisch sauberen Ambiente auch einiges von der makabren Gratwanderung zwischen Witz und Grauen, die den Musical-Thriller des vor ein paar Wochen verstorbenen Sondheims ausmacht. Zwar haben die eingeblendeten Großaufnahmen des leitmotivisch wiederkehrenden blutigen Schnittes eine gewisse Schockwirkung, vermitteln aber gleichzeitig medizinische Nüchternheit. Sondheim fordert ein Nebeneinander von Schrecken und Lachen, bei Boermans gibt es beides nur schwach dosiert, vor allem aber den Witz. Der wie eine Hinrichtungsmaschine vorgeführte Stuhl, von dem aus die Leichen direkt in eine Grube in der Bäckerei der Mrs. Lovett rutschen, steht in keinem Verhältnis zum winzigen Fleischwolf, der wie ein Zitat aus einem anderen Stück wirkt. Dabei muss ja ein ziemlich langer Abend gefüllt werden, denn die Aufführung dauert deutlich über drei Stunden - zwischendurch hat man durchaus immer wieder das Gefühl, dass die Regie jetzt alles Wichtige gesagt habe.

Vergrößerung in neuem Fenster Irgendwann ist auch Richter Turpin als Mordopfer an der Reihe, der einst Todds Familie zerstört hat.

Gerettet wird die Produktion durch das famose Ensemble, wobei Scott Hendricks in der Titelpartie mit großer Stimme und ebenso großer physischer Präsenz glänzt, aber (sein gebrochenes Deutsch in den Dialogen ist eine Ursache) bis zuletzt der große Unbekannte bleibt, eine nicht fassbare Figur, die aber auch wenig berührt. Umso stärker profilieren sich die Personen um ihn herum. Anne Weber mit leicht norddeutsch eingefärbter Mundart ist eine hinreißend pragmatische, attraktive und witzige Mrs. Lovett, die in ihrer Direktheit das Stück wohltuend erdet. Frank Schneiders gibt den Richter Turpin mit bürgerlicher Würde (die Hintergründigkeit könnte noch pointierter ausgespielt werden), Philipp Kapeller als sein schmieriger Gehilfe Büttel Bamford ist brillant in seiner anbiedernden, dabei latent gefährlichen Art. Kabinettstückchen sind die Auftritte von Sunnyboy Dladla als Möchtegern-Starfriseur Pirelli, der sich seiner Künstlichkeit in jeder Geste bewusst ist - er erkennt als erster Todds wahre Identität und wird, als er diesen erpressen will, zum ersten Opfer. Großartig auch Marco Lee als Pirellis dümmlicher Gehilfe Tobias, der am Ende mit toller Stimme die Zusammenhänge nach und nach durchschaut. Petra Radulovic könnte Todds Tochter Johanna gesanglich ruhig lyrischer anlegen, ihr Liebhaber und Retter Anthony ist in Person von Germán Olvera (statt des erkrankten James Newby) ein charmanter latin lover. Monika Walerowicz (statt der erkrankten Ursula Hesse von den Steinen) geistert als verrückte Bettlerin durch die Szene - am Ende, ebenfalls ermordet, stellt sich heraus, dass sie die nur vermeintlich vergiftete Lucy, Todds Ehefrau, war.

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Zu spät erkennt Todd, dass die verrückte Bettlerin (hier: Ursula Hesse von den Steinen) in Wahrheit seine Frau Lucy ist.

Am Pult des ganz ausgezeichneten Niedersächsischen Staatsorchesters animiert der junge erste Kapellmeister James Hendry mit großer Geste die Musikerinnen und Musiker zu einer Energieleistung ganz eigener Art, oft von hypernervöser Spannung und schneidender Schärfe - Bläsereinsätze wie mit dem Skalpell geschnitten fliegen einem nur so um die Ohren. Die Gefahr dabei ist, dass die Musik mitunter allzu "militärisch" klingt. Hendry dirigiert Sondheims Musik als große Oper, modelliert ebenso die vertrackte Rhythmik heraus wie die raffinierte, vom Schlagzeug dominerte Instrumentation. Musicalhaftes Schwelgen ist nicht seine Sache, und darin korrespondiert die musikalische mit der szenischen Interpretation. Ganz hervorragend singt der (auch solistisch geforderte) Chor (Einstudierung: Lorenzo Da Rio).


FAZIT

Ein tolles Ensemble und Orchester machen aus einer szenisch allzu nüchtern geratenen Produktion einen interessanten Theaterabend.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
James Hendry

Inszenierung
Theu Boermans

Bühne
Bernhard Hammer

Kostüme
Mattijs van Bergen

Video
Arjen Klerkx

Licht
Susanne Reinhardt

Ton
Christoph Schütz

Chor
Lorenzo Da Rio

Dramaturgie
Julia Huebner


Chor und Statisterie der
Niedersächsischen Staatsoper Hannover

Orchester der
Niedersächsischen Staatsoper Hannover


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Sweeney Todd
Scott Hendricks

Mrs. Lovett
Anne Weber

Anthony Hope
*Germán Olvera /
James Newby

Richter Turpin
Frank Schneiders

Johanna
Petra Radulovic

Büttel Bamford
Philipp Kapeller

Bettlerin
*Monika Walerowicz /
Ursula Hesse von den Steinen

Pirelli
Sunnyboy Dladla

Tobias
*Marco Lee /
Pawel Brozek

Mr. Fogg
Martin Kreilkamp



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Staatstheater Hannover
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