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Hänsel und Gretel

Märchenspiel in drei Bildern
Libretto von Adelheid Wette
Musik von Engelbert Humperdinck

in deutscher Sprache mizt Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 15' (eine Pause)


Premiere im Theater Hagen am 27. November 2021

Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Ein kurzer Film über ein Kirschkuchentrauma

Von Stefan Schmöe / Fotos von Volker Beushausen (© Theater Hagen)

Die eigentliche Hauptdarstellerin wird auf dem Besetzungszettel gar nicht genannt. Es handelt sich um ein junges Mädchen im Grundschulalter, das immer wieder in Videosequenzen erscheint. Zum Vorspiel sieht man sie in einer Küche sitzen, die Mutter backt einen Kirschkuchen, stellt den Wecker und verabschiedet sich hektisch von dem Kind. Es kommt, wie es kommen muss: Das Mädchen, zwischendurch von einem bunten Musikvideo auf dem Smartphone von der trist grauen Realität abgelenkt, lässt den Kuchen im Ofen verbrennen. Der Familienstreit ist da, der Kühlschrank leer, der Vater greift in die Jackentasche zum Flachmann. Das Mädchen flüchtet sich verstört in Traumwelten, in denen die Darsteller aus dem zuvor angeschauten Musikclip zu Hänsel und Gretel werden, die zunächst im überdimensionierten Kühlschrank ihr Geisterwesen treiben.

Vergrößerung in neuem Fenster Flaute im Kühlschrank - und Peter und Gertrud sind ratlos über das Verschwinden der Kinder

Das kleinbürgerliche Sozialdrama als Rahmenhandlung, damit hat zwei Wochen zuvor auch Momme Hinrichs in seiner Inszenierung in Bonn begonnen, den Ansatz freilich nicht allzu lange durchgehalten. In Hagen ist Regisseur Holger Potocki in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Köster, für Licht und Video zuständig, sehr viel konsequenter. Alle Orchesterzwischenspiele werden mit Videosequenzen bebildert, sodass sich die Idee durch das ganze Stück hindurchzieht, und diese Filmeinlagen sind ästhetisch wie inhaltlich sehr eindrucksvoll gelungen. In schwarzweiß gehalten, werden sie zunehmend surreal. Es gibt eine Reihe von Querbezügen; da zeigt ein Puzzle, mit dem sich das Kind zu Beginn beschäftigt, eine Polarlandschaft, und die Kälte wird fortan zum Leitmotiv, das sich in den Szenen im Kühlschrank fortsetzt (übrigens ein Modell der Marke "Hexxx"). Der verbrannte Kuchen des Beginns wird im Finale aufgegriffen, wenn eben dieser Kuchen aus dem Ofen geholt wird, in dem die Hexe verbrannt wurde. Das gemeinsame Lachen darüber wird zum erlösenden Moment, erst auf der Bühne, dann auch noch einmal im Film.

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Durch den Kühlschrank in Traumwelten: Hänsel und Gretel

Dazu sind die Filmeinlagen punktgenau auf die Musik geschnitten, was ja auch bedeutet, dass das Dirigat exakt auf den Bildwechsel passen muss. Rodrigo Tomillo, dem ersten Kapellmeister am Haus, gelingt das ganz hervorragend, er wählt dabei flotte Tempi und trifft überaus gut den Tonfall zwischen Singspiel und großer Oper, durchaus mit Anklängen an Wagner, aber mit großer Leichtigkeit und einigem Witz. Die einkomponierten Kinderlieder wie Brüderlein, komm tanz mit mir oder Ein Männlein steht im Walde verlieren sich nicht in falscher Naivität, die großen Orchesterpassagen erdrücken das Märchenspiel nicht und bekommen doch Gewicht. Das Philharmonische Orchester Hagen macht das ausgezeichnet.

Vergrößerung in neuem Fenster Hänsel und Gretel mit Sandmann, ein Abbild der Puppe der Filmheldin

Die Sängerinnen und Sänger können dieses Niveau nicht ganz halten; Hanna Larissa Naujoks und Penny Sofroniadou als Hänsel und Gretel singen zwar ganz kess, aber doch ein wenig forciert, sodass die Stimmen an lyrischer Schönheit nicht mit den Bonner Kolleginnen mithalten können. Noch stärker gilt das für das etwas angestrengt klingende Sand- und Taumännchen von Anna Lucia Struck, deren Stimme sich schlecht mit dem Orchester mischt. Angela Davies singt eine solide Mutter Gertrud, Insu Hwang einen in der tiefen und mittleren Lage großartigen, in der Höhe angestrengt dünnen Vater Peter. Sehr eindrucksvoll und komödiantisch stattet Richard van Gemert die Knusperhexe mit agilem Charaktertenor aus. Der (um einige Damen des Opernchores verstärkte) Kinderchor (Einstudierung: Caroline Piffka) singt sauber und anrührend - und, pandemisch vorbildlich, mit Masken. Das klappt, und es bringt jenseits aller Hygienestandards auf ganz eigene Weise ein, dass es in dieser Oper um die Nöte von Kindern geht.

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Tauwetter mit Hexe und Hexenhaus

Zwischen Film und Musik muss natürlich auch noch die Geschichte selbst auf die Opernbühne gebracht werden, und da gibt es dann doch ein paar Probleme. Hänsel und Gretel im Kühlschrank, von Ausstatterin Lena Brexendorff (die offenbar ein Faible für scheußliche Perücken hat) arg clownesk ausstaffiert, das rutscht dann doch eine Spur zu sehr ins naive Kinderspiel ab, unterscheidet sich in seiner demonstrativen Naivität auch von der Raffinesse der Videoeinlagen. Wenn die Hexe zunächst als Wiedergängerin der Mutter erscheint, hat das dagegen psychologische Stringenz. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es zum (anrührend zart gesungenen und begleiteten) Abendsegen keine Engel gibt und der Wald eine Landschaft aus Tüchern ist. Die Märchenhandlung deckt das allemal ab, und auch jüngere Kinder kommen dabei auf ihre Kosten.


FAZIT

Kinder brauchen bekanntlich Märchen, und Holger Potocki und Hans-Joachim Köster zeigen dies schlüssig in der Verschränkung aus Alltagsbildern und Traumwelten: Trotz ein paar kleiner Einschränkungen bietet die anspruchsvolle Inszenierung für Zuschauer jeder Altersstufe eine ganze Menge. Zudem toll dirigiert.





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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rodrigo Tomillo

Inszenierung
Holger Potocki

Bühne und Kostüme
Lena Brexendorff

Licht und Video
Hans-Joachim Köster

Chor
Wolfgang Müller-Salow

Kinderchor
Caroline Piffka

Dramaturgie
Rebecca Graitl


Damenchor und Kinderchor des
Theater Hagen

Philharmonisches Orchester Hagen


Solisten

* Besetzung der Premiere

Peter
* Insu Hwang /
Kenneth Mattice

Gertrud
Angela Davies

Knusperhexe
* Richard van Gemert /
Anton Kuzenok

Hänsel
Hanna Larissa Naujoks

Gretel
Penny Sofroniadou

Sand- und Taumännchen
Anna Lucia Struck


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




Da capo al Fine

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