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Methode mit Kitsch
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Jörg Landsberg (© Theater Hagen)
Vier Marys gab es eine Nacht zuvor noch am königlichen Hof, so weiß es eine alte schottische Ballade: Mary Beaton, Mary Seaton, Mary Carmichael und Mary Hamilton. Jetzt sind es nur noch drei, den Mary Hamilton wurde auf Geheiß der Königin Mary Stuart hingerichtet, weil der König sie geschwängert hatte. Im Jahr 1928 sinnieren drei Marys - sie nennen sich Mary Seton, Mary Beton und Mary Carmichael - über die Rolle der Frau in der Literatur. Materielle Unabhängigkeit und ein eigenes Zimmer, A room of one's own seien die Voraussetzung für die künstlerische Produktivität der Frau. Damit hätte auch eine Frau die Werke Shakespeares schreiben können, und eine fiktive Schwester des Dramatikers, Judith Shakespeare, betritt die Bühne, deren Versuch der Emanzipation freilich an einer Schwangerschaft scheitert und in den Selbstmord führt. Der von einer Frau geschriebene Roman führt, so der Disput, zu einer Aufhebung der klassischen Geschlechterrollen: "Du, Mary Carmichael, hast geschrieben wie eine Frau, aber wie eine Frau, die vergessen hat, dass sie eine Frau ist". Und weiter: "In allen von uns walten zwei Kräfte, eine ist männlich, eine ist weiblich." Und warum haben Frauen trotzdem "noch nie ein Reich erschüttert"? Weil Frauen seit je auf die Rolle festgeschrieben sind, Kinder zu bekommen und großzuziehen. Suor Angelica: Die böse fürstliche Tante überbringt Angelica die Nachricht vom Tod des Kindes
Virginia Woolf den Essay A Room of one's own, ein Manifest der Frauenbewegung, 1928 geschrieben. Der Komponistin Outi Tarkiainen, geboren 1985 im nordfinnischen Rovaniemi, und ihrem Librettisten und Auftraggeber Francis Hüsers, dem Intendanten und in diesem Fall auch Dramaturgen des Theaters Hagen, mangelnde Dramatik bei der Veroperung des Stoffes vorzuwerfen, geht in die falsche Richtung, denn das eben dürfte die besondere Herausforderung gewesen sein. Tatsächlich liegen die Probleme auch weniger in der nur ansatzweise vorhandenen Geschichte, sondern eher darin, dass Woolfs pointierte Beschreibung der Situation auf der Opernbühne eine pathetische Aura erhält, die wie Patina über den Sätzen liegt und ihnen unfreiwillig eine beinahe museale Einfärbung gibt, die sie beim reinen Lesen des Librettos nicht besitzen. Suor Angelica: Finale mit Angelicas Verklärung
Tarkiainen hat eine meistens mehr, gelegentlich weniger tonale Musik komponiert, die sehr sinnlich und farbig ist und sich in einen schwärmerischen Ton hineinsteigert, der auch schon mal zuckersüß klingen darf - das tut sicher niemandem weh. Hüsers' im Programmheft geäußerte Befürchtung, diese Musik könne "beinahe verhalten klingen", bestätigt sich nicht, schon weil das sehr gute Hagerner Philharmonische Orchester unter der Leitung von Chefdirigent Joseph Trafton die Klangfarben fein nuanciert auffächert und die (mitunter allzu große und dadurch schon wieder vordergründig-plakative) Farbigkeit zum Leuchten bringt; weil Dorothea Brandt, Maria Markina und Evelyn Krage die drei Marys mit einem hohen Maß an Leidenschaft und Espressivo singen und aus den fiktiven Sprecherinnen eines Essays lebendige Bühnenfiguren machen, zu denen sich noch die (stimmlich etwas leichtgewichtige) Marie-Pierre Roy ist als Judith Shakespeare und Anton Kuzenok mit markantem Tenor als junger Mann gesellt. Und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind sowieso diverse Alternativmodelle zur klassisch narrativen Oper durchgespielt worden. Kurz: Theoretisch und trocken ist die als "Essay-Oper" bezeichnete Komposition keineswegs geworden. Eher fehlt es an betrachtender Distanz. Zwischendurch richardstrausst es nämlich ganz ordentlich, wenn Tarkiainens Musik sich in immer größere Emphase hineinsteigert (lustige Pointe: Während in Hagen das Hohelied der Emanzipation gesungen wird, erklingt gleichzeitig ein paar Kilometer weiter in Essen im musikalischen Gestus mitunter gar nicht so anders die Strauss'sche Arabella mit den berüchtigten Worten "und Du sollst mein Gebieter sein, und ich Dir untertan"). Und im Klangrauschen lassen sich Querbeziehungen zum ebenfalls rauschhaften Finale aus Giacomo Puccinis Suor Angelica heraushören, dem Mittelteil des Trittico, der Tarkiainens Oper nicht einfach vorangestellt ist, sondern integraler Bestandteil des Konzepts dieses Abends ist. Das ausschließlich mit Frauenstimmen besetztes Werk, rund zehn Jahre vor Woolfs Essay entstanden, verhandelt ja auch ein Frauenbild: Im Kloster erfährt Schwester Angelica, nach einer vorehelichen Schwangerschaft dorthin verbannt, dass ihr Kind gestorben ist, und vergiftet sich daraufhin selbst. Weibliche Sexualität wird da ebenso Thema wie die Rolle (und das Selbstbild) der Frau als Mutter. Die Jungfrau Maria mit dem Kind steht ganz explizit für dieses Spannungsfeld und ist auf der Bühne als Statue allgegenwärtig. A Room of one's own: Die drei Marys
Angelicas Selbstmord wird von Puccini klanglich wie in den Regieanweisungen - und damit bildlich -beantwortet durch die Vergebung von höchster Stelle, nämlich durch Maria selbst, die Angelica im Jenseits mit ihrem Kind vereint. Hüsers verweist im Programmheft auf Ulrich Schreibers Opernführer für Fortgeschrittene, der diesem offensichtlichen Kitsch Methode zuschreibt: Die Verklärung in der Musik setzt sich über die kirchlichen Sanktion für den Selbstmord, die Religion über den Strafenkatalog ihrer Kirche hinweg. Beim Hören von Tarkiainens Musik hat man den Eindruck, dass auch hier dieses Moment eine Wiederkehr erfährt, wenn auch in anderem Kontext. Die Utopie von der befreiten, weiblichen (oder eben auch geschlechtsbefreiten) Künstlerin darf sich Puccinis Kitsch sozusagen aneignen: Dieser Kitsch ist nicht länger das Mittel einer von Männern dominierten Musikwelt bei der Beschreibung von Frauenbildern. Die Gefahr liegt, und das betrifft beide Opern des Abends, auf der Hand: Man kann die Wahl der Mittel in diesem (unbedingt wichtigen) Diskurs eben doch einfach als Kitsch empfinden. A Room of one's own: Ensemble
Das Regieteam (Inszenierung: Magdalena Fuchsberger, Ausstattung: Monika Biegler, Licht: Martin Gehrke, Video: Aron Kitzig) scheitert letztendlich an der Aufgabe, das ambitionierte Programm auf der Bühne umzusetzen. Suor Angelica ist in düsterem, maßvollabstrahiertem Klosterambiente bewusst konventionell inszeniert, zeichnet Puccinis Genrebilder ebenso sorgfältig nach wie das lediglich um die unsägliche Marienerscheinung bereinigte Finale. Inszeniert ist das weitgehend naturalistisch wie eine Diskursvorlage mit klarem Bekenntnis zu allen Schwächen - allein der Dirigent scheint sich dagegen zu wehren und bleibt delikat, ohne vordergründig zu werden. Angela Davis schlägt sich tapfer in der Titelpartie, für die ihr die Spitzentöne fehlen, was sie durch ein (mitunter zu) hohes Maß an Expressivität ausgleicht; Evelyn Krahe gibt die böse Tante, gefühllose Überbringerin der Nachricht vom Tod des Sohnes, überzeugend in der Art der bösen Stiefmutter aus dem Märchen. Das sehr gute Hagener Ensemble, der klangschöne Chor eingeschlossen, singt und spielt sehr engagiert. Aber es fehlt ein doppelter Boden, ein Ansatz, der Puccinis Oper davor schützt, hier als frauenfeindlicher Edelkitsch denunziert zu werden. So schlägt der Ansatz letztendlich ins Gegenteil um: A Room of one's own wird nicht zum analytischen Kommentar zur Welt Puccinis, sondern Puccini - und da die eher schwächeren Aspekte - bemächtigen sich der Essay-Oper, bei der die Bühnenbildelemente der Suor Angelica als eben solche erkennbar sich öffnen und ganz direkt neue Räume eröffnen sollen. Angelicas in der Verklärung letztendlich erfolgreiches Suizid-Aufbegehren gegen eine kirchlich-soziale Ordnung findet ein Pendant im emphatischen Gesang der drei Marys, die das Frauendasein beklagen, es gleichzeitig zu pathetischen Opernattitüde reduzieren. Da hat man letztendlich den Eindruck: Die Diskussion über Frau und Mann in der Kunst ist inzwischen ein ganzes Stück weiter. Verdient war der herzliche Premierenbeifall für eine couragierte Aufführung allemal.
Die romantische Opernkonvention zeigt sich wirkmächtiger als der feministische Diskurs auf der Bühne: Der ambitionierte Plan, Puccinis Suor Angelica mit der im Auftrag des Hagener Theaters geschriebenen Uraufführung von A Room of one's own zu kommentieren, scheitert trotz vieler kluger Gedanken in delikaten Klangwolken. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Video
Chor
Dramaturgie
SolistenSuor Angelica
La Zia Principessa
La Badessa
La Suora Zelatrice
La Maestra delle Novizie
Suor Genovieffa
Suora Infermiera
Suor Dolcina
Le Cercatrici
Le Converse
Le Novizie
A Room of one's own
Mary Beton
Mary Seton
Mary Carmichael
Judith Shakespeare/ The Young Girl
The Young Man
The Professor
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