Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Kein echtes Paradies. Nirgends.Von Joachim Lange / Fotos von Hans Jörg Michel
Wenn heutzutage eine Tannhäuser-Premiere über die Bühne geht, dann bietet in diesem Falle tatsächlich der Grüne Hügel in Bayreuth, die Referenzinszenierung. Tobias Kratzer ist es dort exemplarisch gelungen, Wagners Schmerzenskind eine aktuelle packende Sinnlichkeit abzuringen, die sowohl historische Referenzen, also auch eine Ahnung von Gesamtkunstwerk, Ernsthaftigkeit und Spielwitz miteinander vereinte. Die Vorgängerinszenierung in Hamburg stammte von Harry Kupfer, also einem Altmeister, der perfektes Handwerk mit Gedankenschärfe verband und das in Sachen Tannhäuser gleich mehrfach in seinem Künstlerleben bewiesen hat. Um es gleich zu sagen: Daran gemessen hat die neue Hamburger Inszenierung des ungarische Film- und Schauspielregisseurs Kornél Mundruczó nicht die geringste Chance. Vor allem Monika Pormale setzt mit ihrer Bühne zwar unverblümt auf Opulenz. Und dem, was Sophie Klenk-Wulff mit ihren Kostümen beisteuert, ist zumindest der Wille zu einer Erzählung anzumerken. Aber was insgesamt herauskommt, ist kaum mehr als ein "stadttheatern", das einzelne Einfälle überdehnt und zugleich der Musik auf eine Weise misstraut, die verblüfft. Das Paradies im Urwald
Wie man bspw. ausgerechnet den Sängerwettstreit im zweiten Aufzug so durch banale, abwegige Slapstickeinlagen vergeigen kann, das ist fast schon wieder eine Leistung. Ein Tablett mit Sektflöten, das in Dinner-for-one-Manier zu Boden geht, mag ja einmal noch angehen. Beim zweiten Mal ist es einfach nur ärgerlich. Genauso unsinnig wie die Selfies des Catering-Personals in dieser teuren Halle mit dem Landgrafen. Was hier vorgeführt wird, sind Kündigungsgründe und keine szenischen Erhellungen. Oder wenn die Pilger von links und rechts um den Kulissenberg aufmarschieren und dann allesamt in Reihe die Bühne nach rechts verlassen, so wirkt auch das recht seltsam. Zum Auftakt nimmt das Südsee-Paradies mit Hirsch hinter der Bananenstaude auch nur auf den ersten Blick durch seine Üppigkeit für sich ein. Von Kindern aller Altersstufen inklusive einer Hochschwangeren und einer Venus mit Kittelschürzen-Sexappeal umkreist, ist dieser Tannhäuser im Freizeitlook einfach nur auf der Flucht vor so viel geballter Freizeit-Familien-Idylle. Ein halbes Dutzend erlegter Hirsche hängen darauf aus dem Schnürboden über dem Kulissenberg. Wenn Tannhäuser sich der Jagdgesellschaft wieder anschließt, dann wird das Abstechen und Ausblutenlassen der erlegten Tiere zu einem Begrüßungsritual. Willkommen zurück in der Jagdgesellschaft
Im zweiten Aufzug verzieren die zu Skulpturen gewordenen Köpfe des Wilds mit leuchtend roten Augen und Geweih in Weiß die Tafel, vor der die Sänger dann ins Publikum singen. Da Tannhäuser nach seinem abrupten Wechsel von der Hippie-Kommune in die Upper-class-Gesellschaft dem Dresscode, der hier herrscht, nicht genügt, kriegt er auf die Schnelle einen geliehenen roten Frack verpasst. Als Tannhäuser im Streit mit seinen Konkurrenten seinen Besuch im Venusberg beschwört, entledigt er sich der noblen Jacke wieder und im Hintergrund fällt der fürstliche Wandteppich. Der vermeintlich so verruchte paradiesische Zustand bricht in die Kühle der Wartburgwelt ein. Der Urwald wuchert dann auch wieder im Schlussbild, in dem als phallussymbolischer Clou ein riesiger Blütenstempel zu leuchten beginnt. Teure Halle, lange Tafel
Auch die Hamburger Besetzungsliste liest sich diesmal aufregender, als sie sich anhört. Das mag am bevorzugten Rampensingen gelegen haben. Klaus Florian Vogt ist als Tannhäuser sicher und bemüht sich sichtlich, das, was er singt, auch zu gestalten, gleichsam singend zu spielen. In der Romerzählung kommt er allerdings einer Papstparodie deutlich zu nahe. Er bleibt doch eher als Lohengrin eine Referenzgröße; als - wenn auch respektabler - Tannhäuser dürfte er es nicht mehr werden. Tanja Ariane Baumgartner hat zwar auch als Venus einen dramatischen Mezzo, aber kaum Gelegenheit, die göttliche Verführerin auch zu spielen. Jennifer Holloway gelingt als Elisabeth ein eindrucksvolles Rollenporträt. Georg Zeppenfeld ist als Landgraf eine bewährte sichere Bank, und Christoph Pohl macht aus seinem Wolfram einen eher lebensnahen Sänger als einen vergeblich Schwärmenden. Und er grünt bzw. blüht und leuchtet doch
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihr Programmheft und ihre tannhaeusererfahungen. Vielleicht war ja die Dame, die während der Premiere entschlummert war und mit einem vernehmbaren Erschrecken verstört wieder erwachte, weit mehr ins Herz der Finsternis vorgedrungen als alle anderen. Der tannhaeusererfahrene Hamburger GMD Kent Nagano steuerte seinen analytischen Scharfsinn bei, spielte, da der geheimnisvolle Weihemischklang im offenen Graben nicht zu haben ist, mit der Klarheit von Strukturen dem Mischklang der Bilder entgegen. Er fand mit seinen Tempi (mit 1h 45' für den ersten Aufzug) seine eigene Mitte, und öffnete den Klangraum fürs fühlende Erkennen. Das sich nicht auf einen Nenner bringen lässt. Die Hamburger, die mit der Freyer-Ästhetik aus einer seiner Zauberflöten-Inszenierungen vertraut sind, ließen sich erstaunlich einmütig auf diesen Traum ein.
Trotz des Stareinsatz auf der Besetzungsliste wirkte die Inszenierung auf enttäuschende Weise aus der Zeit gefallen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Chor
Solisten
Landgraf Hermann
Tannhäuser
Wolfram von Eschenbach
Walter von der Vogelweide
Biterolf
Heinrich der Schreiber
Reinmar von Zweter
Elisabeth
Venus
Ein junger Hirt
|
© 2022 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de