Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Mit Schaumwein gegen die Langeweile
Von Stefan Schmöe
/
Fotos von Jochen Quast
Champagner geht immer. Jedenfalls in der Fledermaus. Der edle Tropfen ist beinahe allgegenwärtig in dieser Inszenierung; im zweiten Aufzug ragt der Hals einer gigantischen Flasche eben dieses Getränks aus dem Bühnenboden, und in den Fenstern sieht man ihn perlen (Ausstattung: Simon Lima Holdsworth). Wir tauchen also quasi ein in den Schaumwein. Im Finale (nachdem zuvor im Gefängnis freilich mehr von Schnaps zu sehen war) steigen Ballons auf wie Bläschen.
Um im Bild zu bleiben: Es ist freilich nicht immer die edelste Sorte, die Regisseur Matthias von Stegmann serviert. Wenn er vom zuverlässigen Chor (Einstudierung: Achim Falkenhausen) besungen wird, der Champagner, dann darf (wie so oft an dieser Stelle) tumb getänzelt werden, denn irgendwie muss ja Bewegung in die Szene kommen. Aber, meine Damen und Herren, wie singen Sie doch durchaus schön: "Die Majestät wird anerkannt", und wenn es um Majestäten geht, dürfte es choreographisch doch ein beträchtlich' Stück eleganter, feiner, spritziger zugehen. Wobei es mit der Eleganz so eine Sache ist. Man denkt bei den Kostümen mit Anklängen an die 1920er-Jahre, im Chor mit Neigung zu schrillen Outfits, dann doch eher an das lasterhafte Babylon Berlin als an das kaiserliche Baden bei Wien der 1870er-Jahre. Das bringt atmosphärischen Gewinn, weil die keineswegs immer und überall goldenen 20er-Jahre auch für Dekadenz und den drohenden Untergang stehen, auch für die Enthemmung in der Phase zwischen den Weltkriegen. Aber einen konsequenten Regieansatz darin zu erkennen, das wäre dann wohl doch zu weit interpretiert.
Frau Prinzessin Orlofsky (Mitte) lädt sich gerne Gäste ein wie Eisenstein (rechts) oder Balletttänzerin Ida (links, mit Ballon)
Man ahnt im Bühnenbild das symbolische Goldstück und im Gefängnis vielleicht sogar den goldenen Käfig dieser betuchten, aber dauergelangweilten Gesellschaft, aber in erster Linie setzt das Regieteam auf Unterhaltung, und in dieser Rubrik hat das Theater für Niedersachsen das Stück auch angekündigt (tatsächlich werden die Werke im Jahresspielplan in solche "Schubladen" eingeordnet). Das gelingt auch ganz solide, wobei die Sprechszenen knapp gehalten sind und die Musik im Zentrum steht - der dritte Akt wird dadurch, kein Fehler, ziemlich komprimiert und die Kabaretteinlagen des betrunkenen Gefängniswärters Frosch (Gotthard Hauschild) auf ein Minimum reduziert. (Die Scherze zur aktuellen Coronaschutzverordnung empfinden viele pandemierschöpfte Zuschauer vermutlich auch gar nicht als besonders lustig.) Ansonsten ist die Personenregie ganz passabel, und damit "funktioniert" die Fledermaus fast von allein.
Zachary Wilson ist ein eleganter und bühnenwirksamer Gabriel von Eisenstein mit schlankem Bariton, Julia Borchert eine etwas metallische, aber außerordentlich präsente und die Bühne beherrschende Rosalinde. Robyn Allegra Wilson gibt die Kammerzofe Adele als nicht mehr ganz junges, durchaus zickiges Mädchen mit keck auftrumpfendem Sopran und Wandlungsfähigkeit. Aus dem im Original männlichen Prinzen Orlofsky wird hier eine matronenhafte Prinzessin, flankiert von einem überflüssigen Kalauer über das Gendern - dabei hat es die Salons wohlhabender und gelangweilter Damen ja gar nicht so selten gegeben, was den Einfall durchaus plausibel macht (auch wenn es den exotischen Orlofsky einigermaßen verbürgerlicht). Neele Kramer singt Frau Orlofsky mit schöner, warmer Stimme. Julian Rohde gibt Rosalindes Tenor-Liebhaber Alfred stimmlich wie szenisch als braves, nicht weiter ernst zu nehmendes Bürschlein, immerhin sauber ausgesungen, und Eddie Mokofeng den Dr. Falke als sympathischen Underdog, der sichtbar alles inszeniert (die Choristen verschieben bei den Umbauten kurzerhand die Bühnenbildelemente), um sich an Eisenstein zu rächen. Uwe Tobias Hieronimi als Gefängnisdirektor Frank und Arvid Fagerfjäll als Notar Blind sowie Sophia Revilla als hübsche Ida vervollständigen ein rollendeckendes Ensemble.
Im ziemlich fidelen Gefängnis: Alfred (Tenor, unschuldig) und Frosch (Gefängniswärter, betrunken)
Im Programmheft spricht Dirigent Florian Ziemen davon, die Operette nicht zu opernhaft präsentieren zu wollen und deshalb auf ein kleines Orchester zu setzen - vermutlich wird da aber ein wenig die Notwendigkeit (der Abstandsregeln im Orchestergraben halber) einer reduzierten Besetzung schöngeredet - ein wenig süffigerer Streicherklang wäre jedenfalls auch ganz schön, und für die angekündigte Interpretation vom Text her müsste dieser schon noch um einiges besser zu verstehen sein (sehr optimistisch blenden die Übertitel nur die englische Übersetzung ein). Das Dirigat an sich ist eher risikoarm und ein wenig pauschal, mit dem recht guten Orchester begleitet Ziemen die Sängerinnen und Sänger aber insgesamt stilsicher. Ein Grundproblem ist allerdings derzeit unlösbar: Eine Operette, die unterhalten möchte, braucht ein volles Haus, das "mitgeht" - und angesichts der Hygieneregeln und Maximalbelegung ist das Hildesheimer Theater vielleicht zu einem Viertel besetzt. Bleibt zu hoffen, dass die champagnerselige Fledermaus in absehbarer Zeit wieder einem größeren Publikum serviert wird.
Keine brillante, aber eine szenisch wie musikalisch ganz solide Fledermaus.
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Gabriel von Eisenstein
Rosalinde
Frank, Gefängnisdirektor
Prinz Orlofsky
Alfred
Dr. Falke, Notar
Dr. Blind
Adele
Ida
Frosch
|
© 2021 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de