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Medea

Melodramma tragico in drei Akten
Libretto von Benedetto Castiglia
Musik von Giovanni Pacini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 35' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Hildesheim des Theaters für Niedersachsen am 2. Oktober 2021




Theater für Niedersachsen
(Homepage)
Opernrarität im Rahmen einer Trilogie

Von Thomas Molke / Fotos: © Tim Müller

Giovanni Pacini gehört zu der Riege der Komponisten des Belcanto, die heutzutage in Vergessenheit geraten sind. Dabei stand der im Februar 1796 in Catania als Sohn des Tenors Luigi Pacini geborene Komponist einige Jahre fast unangefochten an der Spitze des späten Belcanto in Italien. Zunächst machte der Impresario Domenico Barbaja ihn als Leiter seiner Theater zu Rossinis Nachfolger. In dieser Zeit feierte er in ganz Italien große Erfolge mit zahlreichen Opere buffe und Opere semiserie. Als sein Stern dann 1835 zu sinken begann, änderte er seinen Stil und eroberte mit seiner Oper Saffo 1840 erneut die Bühnen, die bis zu dieser Zeit vor allem von Donizetti und Bellini beherrscht wurden. Im Rahmen dieser zweiten Schaffensperiode entstand 1843 auch sein Melodramma tragico Medea. In seinen Memoiren berichtet er, dass der große Erfolg dieser Oper dazu geführt habe, dass eine marmorne Büste von ihm angefertigt worden sei, die in der Villa Giulia neben der Bellinis aufgestellt worden sei. Das Theater für Niedersachsen, das nach der Räuber-Trilogie in der letzten Spielzeit dieses Jahr in einer Medea-Trilogie die drei Sparten Gesang, Schauspiel und Tanz verbindet, hat sich im Bereich der Oper nun für diese Rarität Pacinis entschieden.

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Medea (Robyn Allegra Parton, vorne links) hat Angst, Giasone (Yohan Kim) zu verlieren (im Hintergrund: Licisca (Xin Pan) mit den beiden Kindern).

Wie Luigi Cherubinis bekanntere Fassung basiert auch Pacinis Oper auf den gleichnamigen Tragödien von Euripides und Pierre Corneille. Dabei wird wie in den Tragödien die Vorgeschichte weggelassen, in der Medea dem Argonauten Jason (Giasone) aus Liebe geholfen hat, das goldene Vlies aus ihrer Heimat Kolchis zu rauben, und er ihr im Gegenzug ewige Liebe geschworen hat. Bei der Flucht aus Kolchis haben die beiden Medeas Bruder getötet und seine Stücke im Meer verstreut, um Medeas Vater bei der Verfolgung der Argonauten aufzuhalten. Nun sind sie in Korinth angekommen, wo sich Giasone in die Tochter des Königs Kreon (Creonte) verliebt, die bei Euripides Glauke und bei Corneille und Pacini Krëusa bzw. Crëusa heißt. Zu Beginn der Oper befragen Creonte und Giasone die Götter, ob Giasones Verbindung zu Medea getrennt werden darf, damit Giasone Crëusa heiraten kann. Medea versucht zunächst vergeblich, Giasone zurückzugewinnen, doch ihre magischen Kräfte, die ihm zur Aneignung des goldenen Vlieses noch äußerst willkommen waren, sind ihm mittlerweile genauso unheimlich wie den Korinthern. Calcante, der Priester des Apollo, löst die Verbindung zwischen Giasone und Medea, und Medea soll aus der Stadt vertrieben werden. Medea fleht Giasone an, ihre Kinder mitnehmen zu dürfen. Doch Giasone lehnt ab. Er möchte die Kinder lieber in der Obhut seiner zukünftigen Frau Crëusa sehen. Da tötet Medea Crëusa und die beiden Kinder und begeht anschließend Selbstmord.

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Giasone (Yohan Kim, Mitte) will Crëusa (Neele Kramer, Mitte) heiraten (rechts: Creonte (Zachary Wilson), oben Mitte links: Licisca (Xin Pan) mit den Kindern, daneben: Medea (Robyn Allegra Parton), unten Mitte im Hintergrund: Lisimaco (Julian Rohde), rechts und links: Opernchor).

Das Regie-Team um Beka Savić beschäftigt sich mit der Frage, was eine Mutter bewegen kann, ihre eigenen Kinder zu töten, ohne dabei ein seelenloses Monster zu sein. Als Antwort wählt Savić den Ansatz, dass es Medeas Ziel sei, die Kinder vor einem noch schlimmeren Schicksal zu bewahren, das ihnen widerführe, wenn sie sie in Korinth zurückließe. Dafür gibt sie der in der Oper an sich stummen Rolle der Crëusa mehr Raum in der Inszenierung und zeichnet sie als keineswegs unschuldiges Opfer. In ihrem ausladenden weißen Tüll-Rock zeigt sie große Präsenz und schlüpft auch in die Rolle der Cassandra, die als Priesterin der Pallas Athene von Giasone aufgesucht und um Hilfe gebeten wird. Als die Entscheidung für die Hochzeit mit Giasone schließlich gefallen ist und man ihr die Kinder wie einer liebenden Mutter in den Arm gelegt hat, fesselt sie die beiden kleinen Bündel gemeinsam mit Calcante mit einem schwarzen Strick, wahrscheinlich um sie in einer großen Wasserschale auf der Bühne, aus der die beiden zunächst eine Art Taufe erhalten haben, zu ertränken. Doch Medea verhindert ihr Vorhaben, erdolcht sie und befreit die Kinder von den Fesseln. Nun ringt sie mit dem Versuch, gemeinsam mit den Kindern aus Korinth zu fliehen, doch muss erkennen, dass sie keine Chance hat. Sie richtet zunächst den Dolch gegen die Kinder, kann aber nicht zustechen und ertränkt sie schließlich in der Schale, bevor ihre Tat entdeckt wird und sie sich selbst das Leben nimmt.

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Medea (Robyn Allegra Parton, vorne) fleht Calcante (Uwe Tobias Hieronimi, vorne) an, ihr wenigstens die Kinder zu lassen (im Hintergrund: Crëusa (Neele Kramer) und Giasone (Yohan Kim) mit den Kindern).

Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Siegrot hat für alle drei Medea-Produktionen ein einheitliches Bühnenbild entworfen, das den unterschiedlichen Regie-Handschriften (Oper, Schauspiel und Tanz) gerecht werden soll. Die Wahl ist auf ein riesiges silbernes Gerüst gefallen, auf dem sich die Figuren auf unterschiedlichen Ebenen bewegen und positionieren können. Zwei durchsichtige Planen können wie Vorhänge vor einzelne Bereiche gezogen werden und zeugen von dem Versuch, gewisse Dinge unsichtbar zu machen. Laut Siegrot können sie auch mit wehenden Segeln assoziiert werden und damit Erinnerungen an das Schiff der Argonauten wecken, das in der Vorgeschichte Medeas eine wichtige Rolle spielt. Die Korinther treten als einheitliche Masse in schwarzen Kostümen auf. Wieso sie als Priester genauso wie Calcante mit einer aufgesetzten Maske doppelgesichtig daherkommen, wird nicht ganz klar. Soll damit angedeutet werden, dass sie nur eine falsche Gastfreundschaft zeigen und den Kindern nach Medeas Vertreibung wirklich ein noch grausameres Schicksal bevorstünde? Völlig unklar bleibt die Rolle der eingefügten stummen Rolle des Lisimaco (Julian Rohde), der mit mephistophelischen Zügen die Zügel im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand hat. Beim ersten Auftritt der Priester werden die Choristen allesamt von ihm an einer Kette geführt. Medea wirkt in dieser Gesellschaft nicht nur durch ihre feuerroten Haare wie eine Außenseiterin. Auch ihr Kostüm macht deutlich, dass sie aus einer anderen Welt stammt, während Giasone sich optisch schon sehr Creonte angenähert hat.

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Medea (Robyn Allegra Parton, vorne rechts) trifft eine folgenschwere Entscheidung (hinten links hinter dem Vorhang: die tote Crëusa (Neele Kramer)).

Pacinis Musik zeigt in der Struktur und den großen Melodienbögen eine Nähe zum jungen Verdi. In Hildesheim hat man ein Ensemble zusammengestellt, das den musikalischen Anforderungen gewachsen ist. Da ist zunächst Robyn Allegra Parton in der recht anspruchsvollen Titelpartie zu nennen. Mit variablem dramatischen Sopran lotet sie die unterschiedlichen Gefühlsregungen Medeas emotionsgeladen aus. So beginnt sie in ihrer ersten großen Szene, wenn sie auf die Rückkehr ihres Gatten Giasone wartet und in großer Sorge um seine Gefühle ist, beinahe schüchtern und ängstlich, bevor sie in der großen Kavatine mit kräftigen Koloraturen deutlich macht, dass sie sich nicht abschieben lässt. Auch ihre große Szene im dritten Akt, wenn sie sich entschließt, die Kinder zu töten, wird von Parton stimmlich bewegend umgesetzt. Yohan Kim verfügt als Giasone über einen kräftigen, dunkel-gefärbten Tenor. Das große Duett am Ende des ersten Aktes, bei dem die beiden schließlich im Streit auseinandergehen, ist ein weiterer musikalischer Höhepunkt, da sich hier Parton und Kim mit großer Strahlkraft stimmlich duellieren. Ein weiterer Glanzpunkt ist Kims Interpretation von Giasones großer Arie im zweiten Akt, wenn er die Götter bittet, seine Kinder und Crëusa zu verschonen und alle Schuld auf ihn abzuladen. Zachary Wilson stattet Creonte mit großem Bariton aus, und Uwe Tobias Hieronimi punktet als Priester Calcante mit voluminösem und dunklem Bass. Xin Pan und Neele Kramer runden das Solisten-Ensemble als Dienerin Licisca und Crëusa bzw. Cassandra mit leichtem Sopran und intensivem Spiel überzeugend ab. Der von Achim Falkenhausen einstudierte Chor lässt ebenfalls keine Wünsche offen. Unter der Leitung von Florian Ziemen ist aus dem Orchestergraben ein frischer Belcanto-Klang zu hören, der wünschen lässt, dieses Werk häufiger auf den Bühnen zu erleben.

FAZIT

Pacinis Medea schlummert zu Unrecht in den Archiven und würde eine Aufnahme ins Repertoire durchaus verdienen.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Florian Ziemen

Inszenierung 
Beka Savić

Bühne und Kostüme
Anna Siegrot

Chor
Achim Falkenhausen

Dramaturgie
Jannike Schulte

 

Orchester des TfN

Chor des TfN

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Creonte
Zachary Wilson

Calcante
Uwe Tobias Hieronimi

Medea
Robyn Allegra Parton

Giasone
Yohan Kim

Licisca
Steffi Fischer /
*Xin Pan

Cassandra / Crëusa
Neele Kramer

Lisimaco
Julian Rohde

 


Weitere
Informationen

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Theater für Niedersachsen
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