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Zu viel Schönheit schadet der DramatikVon Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclaire
Es hätte eine große Geburtstagsfeier sein sollen: Die Premiere war angesetzt exakt am 100. Jahrestag der Uraufführung dieser Oper. Am 4. Dezember 1920 wurde Erich Wolfgang Korngolds Die tote Stadt gleich zweimal aufgeführt, zeitgleich in Hamburg und Köln. Der Komponist war da gerade einmal 23 Jahre alt, die Oper wurde ein Riesenerfolg und ein wichtiges Ereignis in der Kölner Theatergeschichte, das man ein Jahrhundert später angemessen würdigen wollte. Dann kam die Pandemie. Die Aufführung fand trotzdem statt, ohne Publikum, dafür mit Übertragung per Livestream (unsere Rezension). Jetzt wird die Produktion endlich auch vor Publikum gezeigt, wobei die Hauptrollen doppelt besetzt sind: Statt Burkhard Fritz und Ausrine Stundyte, die in der gestreamten Version sangen, stehen in der hier besprochenen zweiten Live-Aufführung Stefan Vinke als Paul und Kristiane Kaiser als Marietta auf der Bühne des Staatenhauses, er mit kraftvollem und höhensicherem Heldentenor (und den in diesem Fach nicht untypischen Problemen bei den leiseren Tönen in der recht farblosen Mittellage), sie mit im Verlauf der Aufführung immer selbstbewusster auftrumpfendem, klanglich noch ein wenig pauschalem jugendlich-dramatischen Sopran. Edward Hopper lässt grüßen: Die tote Stadt erzählt von den Gedanken und Fantasien der an der Bar gestrandetem
Beide stehen sie vor dem Problem, die endlos breiten Tempi von Dirigent Gabriel Feltz irgendwie ausgestalten zu müssen. Mit dem einmal mehr ganz exzellenten Gürzenich-Orchester, trotz großer Abstände im Deutzer Staatenhaus verblüffend präzise, kostet Feltz die luxuriös instrumentierte Partitur bis ins letzte der vielen Instrumente aus, lässt jede Note leuchten, berauscht sich und die Zuhörer an Korngolds Klangwellen, schwelgt in den funkelnden Effekten, mit strahlendem Blech (dafür bleibt das Holz zu sehr am Rande), mit sattem Streichersound. So gut, so überwältigend schön, aber die Musik tritt auf der Stelle. An dramatischer Wirkung ist Feltz nicht viel gelegen. Exemplarisch die beiden Ohrwürmer, "Glück, das mir verblieb´", das Duett mit dem signifikanten Aufschwung und einkomponierter Applauspause - die verpuffte, weil die Sänger in diesem Tempo eben auch vokale Kulinarik beisteuern müssten, die ihnen dann doch fehlt. Und das Tanzlied "Mein Sehnen, mein Wähnen" kommt nie in Fluss, die Fermaten auf den Eingangstönen ziehen sich zäh hin und nehmen jede Bewegung aus der Musik. Stefan Wolfgang Schwaiger als Pierrot kann das mit schlankem Bariton nicht mehr wettmachen. Nun muss auch Schaden sein, die beiden Nummern nicht zu stark zu exponieren, aber zu viel an orchestralem Prunk nivelliert dann auch: In der musikalischen Dauerüberwältigungsattacke gibt es keine Höhepunkte mehr. Und das Drama hoffnungslos verloren. Paul
Dabei geht Regisseurin Tatjana Gürbaca einen ganz anderen Weg. Bei ihr gibt es kein schaurig-schön-dekadentes Historiendrama, kein letztes Aufbäumen der Romantik mit allen Mitteln, sondern vereinsamte heutige Menschen an der Bar im Stile Edward Hoppers (Kostüme: Silke Willrett), dessen Nachtschwärmer im Bühnenbild (Stefan Heyne) anklingen. Die Bar zieht sich um einen Zylinder herum, der sich alsbald öffnet und Einblicke gibt, die natürlich Einblicke sind in das Innenleben - oder die Fantasien und Träume? - des merkwürdigen Helden Paul. Der hat sich, so sagt das Libretto, nach dem Tod seiner Frau Marie zurückgezogen, pflegt ihr Andenken auf pathologische Weise, was sich im Bild der "toten Stadt" Brügge spiegelt, die er am Ende geheilt verlassen wird - nachdem er in der Tänzerin Marietta die Wiedergeburt Maries zu erkennen glaubt, diese aber umbringt, als sich die lebenslustige Person nicht mit dem idealisierten Bild der Toten in Einklang bringen lässt. Aber das war nur ein böser Traum, sagt das Libretto, und zwar einer mit reinigender Wirkung. Was aber wirklich Traum ist und was Realität, das beschäftigt die Regisseure wie die Fans der Oper seit je. Paul und Marietta (hier: Burkhard Fritz und Ausrine Stundyte)
Tatjana Gürbaca weicht der Antwort (bewusst) aus, spielt vielmehr mit Bildern. Paul als Künstler mit Pinsel, das deutet darauf hin, dass er Konstrukteur seiner Wirklichkeit ist; und der blaue Mantel, der spielt auf Mariendarstellungen in der bildenden Kunst an. Marie mit entblößter Brust wiederum greift das Motiv von "Heilige und Hure" auf. Es gibt keine realen Räume, und die gespenstische Prozession im mittelalterlichen Brügge ist nur ganz vage angedeutet durch ein paar Choristen mit Kerze. Vielleicht hat es diese Marie ja nie gegeben, vielleicht ist sie nur eine Projektion, die der Realität nicht standhält. Es gibt eine Leiche, aber ob das Marietta, die Tänzerin, ist oder doch Marie, das wird nicht klar. Paul, blutbefleckt
In dieser Unschärfe liegt durchaus eine Stärke der Inszenierung, denn sie erklärt die Geschichte nicht, was schnell auf eine Banalisierung hinauslaufen könnte. So richtig in den Griff bekommt Tatjana Gürbaca die Handlung allerdings auch nicht. So manche Szene erscheint ziemlich verloren innerhalb des Konzepts, was auch daran liegt, dass die Personenregie insgesamt unscharf bleibt. Vinke und Kaiser müssten ihren Konflikt pointierter austragen. Oder glättet das Orchester mit seiner Klangpracht einfach zu sehr die Konfliktlinien? Szenische Spannung will sich nicht so recht aufbauen. Noch nachzutragen sind die klangschön und genau singenden Chöre (Opernchor und Knaben und Mädchen der Kölner Dommusik; Einstudierung: Rustam Samedow). Dalia Schaechter gibt die Haushälterin Brigitta engagiert, aber mit unschön ausladendem Vibrato.
Viel tolle Musik, kluge Regie - aber so richtig Schwung nimmt diese Aufführung nicht auf und verliert sich im Detail. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Paul
* Stefan Vinke
Marietta / Marie
Ausrine Stundyte
Brigitta
Frank / Fritz
Miljenko Turck
Juliette
Lucienne
Graf Albert
Victorin / Gaston
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