Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Offene FernbeziehungVon Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclaire
Es ist so eine Sache mit der Liebe. Die himmelhochjauchzenden Entwürfe scheitern allzu leicht an der Banalität des Alltags - wenn das amouröse Verlangen überhaupt seinen Gegenstadt findet. Die mittelalterlichen Minnesänger wussten wohl darum und entwickelten eine Literatur, die eine asketische Liebe beschwört - erotisches Verlangen ohne Erfüllung. Jaufré Rudel, ein Troubadour wohl aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, hat sechs solcher Gedichte hinterlassen. Er soll, so erzählt es diese Oper (und bereits mittelalterliche Quellen schreiben das), sein wildes Liebesbegehren aufgegeben und sich fortan in der Phantasie und Dichtung die ideale Geliebte erschaffen haben. Indes lebt im fernen Tripolis eine Frau, die Gräfin Clémence, die sehr genau auf dieses Bild passt - ein Pilger berichtet Rudel davon, und er trägt auch eben dieser Clémence ein Lied von Rudel vor; kurzum: Troubadour und Gräfin erfahren voneinander, und letztlich macht sich Rudel auf die Reise über das Meer. Er erkrankt auf der Überfahrt und stirbt in den Armen der Angebeteten. Ob es die ideale Liebe hätte werden können? Das bleibt offen. Man darf zweifeln. Jaufré Rudel hat genug von realen Frauen und erschafft ein Idealbild der Frau
Ein wenig erinnert das an Tristan und Isolde, ein anderes mittelalterliches Paar, das keine Erfüllung der Liebe in der realen Welt findet, und auch musikalisch bezieht sich die finnische Komponistin Kaija Saariaho (*1952) in ihrer 2000 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführten Oper L'amour de loin (Die Liebe aus der Ferne) auf Richard Wagner, jedenfalls vom Gedanken der "unendlichen Melodie" aus betrachtet. Mit großem Orchester breitet sie gewaltige Klangflächen aus, die aus vielen kleinen, tonalen und oft mittelalterlich anmutenden Partikeln bestehen, mitunter mit leitmotivischem Charakter. Eine rhythmische oder melodische Grundstruktur ist aufgehoben; zwar gibt es immer wieder gleichmäßig pulsierende Phrasen, die aber alsbald wieder verschwinden. Die Musik bildet eine Art Klangwolke, aus der man immer wieder vertraut anmutende Figuren heraushört. Der große Chor ist quasi instrumental eingesetzt, kein Protagonist oder Kommentator wie in der griechischen Tragödie, sondern eher Teil einer allumfassenden Bewusstseinssphäre, die Männerstimmen Rudel, die Frauen Clémence zugeordnet. Nur an wenigen Stellen wird der Klang dissonant, überwiegend bleibt ein schwer beschreibbarer Wohlklang - eine durch und durch faszinierende Musik. Die Oper ist nach der Uraufführung mehrfach nachgespielt worden, unter anderem an der New Yorker MET. Was einer noch stärkeren Verbreitung entgegensteht, ist wohl das Fehlen einer dramatischen äußeren Handlung. Die Geschichte wird überwiegend monologisch erzählt, und der lange Atem der Komponistin gerät mitunter auch zur Langatmigkeit, wo alles gesagt scheint. Trotzdem L'amour de loin eine echte Wiederentdeckung (die deutsche Erstaufführung gab es 2003 in Darmstadt). Clémence im fernen Tripolis entspricht ziemlich genau dem Ideal der Frau, wie Rudel es ersungen hat
Die Bedeutung des Orchesters als heimlicher Hauptakteur wird in der Inszenierung von Johannes Erath ganz unmittelbar deutlich, denn im Kölner Staatenhaus ohne feste Bühne und Bühnentechnik setzt er das sehr gute Gürzenich Orchester ins Zentrum des Geschehens. Rudel und Clémence befinden sich auf zwei Inseln inmitten der Musiker, er in einem geschlossenen Quader, sie auf einem wellenförmigen, offenen Plateau, über und unter dem sich jeweils ein großer Kreis befindet. Eckig versus rund, geschlossen versus offen - da zeigen sich ganz elementar die Gegensätze der beiden Personen, die eben kein harmonisierendes Paar bilden, das nicht zueinander findet. Vielmehr bilden Erath und Bühnenbildner Bernhard Hammer das Spannungsfeld ab, das sich in dieser Liebe aus der Ferne mit ganz unterschiedlichen Perspektiven herausbildet. Beide Protagonisten haben einen Schauspieler an der Seite, und zwar jeweils des anderen Geschlechts. Rudel geht mit der Frau an seiner Seite nicht eben achtsam um, und selbst im Tod - auch da verlässt er seinen Kokon nicht, auch im Sterben bleiben beide getrennt, weiß er mit der Frau nichts anzufangen. Clémence dagegen entwickelt eine fast anrührende Zärtlichkeit. Der Pilger (hier: Adriana Bastidas-Gamboa) überredet Jaufré, nach Tripolis zu Clémence zu reisen
Hat die szenische Grundkonstellation durchaus ihren Reiz, so müht sich Erath doch mit der Länge des Abends - wirklich viel ist ihm auch nicht eingefallen, was man mit den Protagonisten machen könnte. Da bleibt die Regie unentschlossen zwischen einer Stilisierung und einem durch die räumlichen Gegebenheiten gebremsten Aktionismus. Einer prägnanteren Ästhetik der Inszenierung, oft ein Markenzeichen Eraths und angesichts der Statik des Geschehens naheliegend, stehen die nicht sehr glücklichen Kostüme (Katharina Tasch) im Wege: Rudel trägt so etwas wie einen schlabbrigen Pyjama; Clémence bevorzugt eine entstellende Hose und einen Pulli in Strickmusteroptik. Das ideale Paar stellt man sich irgendwie besser gekleidet vor. Der Pilger, ein Mezzosopran, ist hier eindeutig weiblich; die mögliche Absicht der Komponistin, die Figur androgyn erscheinen zu lassen, wird nicht aufgegriffen. Vereinigung im Tod? Clémence mit dem szenischen Widergänger Rudels
In der hier besprochenen Aufführung sang Katrin Wundsam diesen Pilger (sie alterniert mit Adriana Bastidas-Gamboa) mit schönem, lichten, nicht zu schweren Sopran - nur unterscheidet sich das Timbre kaum von dem der ebenfalls überzeugenden Emily Hinrichs, der Clémence, was den Szenen der beiden Frauenstimmen eine zusätzliche Klangfarbe nimmt. Den Jaufré Rudel singt Holger Falk mit sicherem, eher leichtem Bariton, ein wenig pauschal im Klang. Die Einsätze erhalten die Bühnendarsteller von den beiden hochkonzentrierten Souffleusen Beate Lenzen und Elisa Quarello, denen zuzuschauen durchaus spannend ist. Der ausgezeichnete, ungemein klangschöne Chor hat mit Chorleiter Rustam Samedov einen eigenen Dirigenten. Und was macht Constantin Trinks, der Musikalische Leiter? Der steht vorne und schlägt mit stoischer Ruhe den Takt oder Puls, der, auch wenn es oft nicht danach klingt, als Ordnungsprinzip offenbar existent ist. Wie auch immer, die Musik brandet oft auf, hat neben vielen entspannten Passagen auch ihre Ausbrüche und entwickelt sich mit großer Selbstverständlichkeit. Schade nur, dass im Publikum viele Plätze leer blieben.
So richtig bekommt die Regie das handlungsarme Stück nicht in den Griff, und trotzdem ist L'amour de loin mit seiner beeindruckenden, vielleicht manchmal allzu weitschweifigen Musik unbedingt hörenswert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Jaufré Rudel
Clémence
Der Pilger
* Katrin Wundsam
Elle (szenisches Double)
Lui (szenisches Double)
|
© 2021 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de