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Mit
Bilderfluten und Statements erschlagen Von Bernd Stopka / Fotos von Sebastian Hannak und N. Klinger Nachdem die erste Spielzeit
unter der
neuen
Intendanz mit
Alban Bergs Wozzeck
spektakulär
eröffnet
wurde, geht es
gleich am
nächsten Tag
mit Puccinis Tosca
weiter.
Insgesamt
stehen an
diesem
Wochenende
sieben
Premieren in
Oper und
Schauspiel auf
dem Spielplan
des
Staatstheaters
Kassel.
Die Opernbühne dominiert das sogenannte Pandaemonium,
ein Gerüstbau mit 3 Sitzebenen, der sich um
Hinterbühne und Seitenbühnen windet. Auf den
Seitenbühnen spielen sich Hintergrundgeschehen und
Parallelhandlungen ab, die durch Liveprojektionen auf
überall verteilte Bildschirme parallel zur
Bühnenhandlung sichtbar gemacht werden.
Hauptspielfläche, mit einem quaderförmigen Tisch, ist
der Raum in der Bühnenmitte vor dem auf dem hinteren
Teil der Bühne sitzenden Orchester. Darin
unterscheidet sich die Bespielung des „Opernhauses mit
Pandaemonium“ vom Regieansatz der Wozzeck-Produktion.
Näheres zum Pandaemonium und den Hintergründen ist (hier)
im Bericht über die Eröffnungspremiere beschrieben.
Hansung
Yoo (Baron Scarpia), Kinder- und Jugendchor
CANTAMUS
© N. Klinger Performancekünstlerin und Regisseurin Sláva
Daubnerová
lässt die
Geschichte auf
der Bühne von
Sebastian
Hannak und in
den Kostümen
von Dorota
Karolczak in
heutiger Zeit
spielen.
Despotismus,
Unterdrückung
und Gewalt
sind zeitlos.
Insbesondere
betrachtet sie
die Geschichte
als von
Sexismus,
Voyeurismus,
Unterdrückung
und Gewalt an
Frauen
geprägt.
Die Titelfigur
wird quasi von
zwei Seiten
beleuchtet:
als eine
Künstlerin und
als die
Künstlerin,
die sie
spielt.
Vielfältige
Projektionen
nicht nur des
Hintergrundgeschehens
der Handlung,
sondern auch
der Vorgänge
hinter der
Bühne und in
den Garderoben
des Theaters
machen das
deutlich. So
wird Tosca
nicht nur in
der
Opernhandlung
von Scarpia
beherrscht,
auch hinter
der Bühne
scheint der
Sänger des
Scarpia, schon
im Kostüm
Scarpias, als
Agent oder
Manager mit
Zuhältergehabe
die Sängerin
der Tosca zu
dominieren.
Besonders
deutlich wird
diese
zweiseitige
Beleuchtung,
wenn Tosca
sich am
Schluss nicht
tötet, sondern
nur ihr
Abendkleid von
der
Pandaemoniumsbrücke
fallen lässt.
Dieses Kleid
ist eine
überdimensionierte
rote
Bühnen-Abendrobe
aus
Rüschenrosen
über einer
ausladenden
Krinoline und
scheint auch
dafür zu
stehen, wie
Männer Frauen
sehen wollen.
Nach dem Mord
an Scarpia
fährt ein
Kleidersack
aus dem
Schnürboden
herab, in den
Tosca ihr
Kleid stopft
und es dann
hinter sich
herzieht wie
Linus die
Schmusedecke.
So erscheint
sie dann auch
im 3. Akt.
Aber hier ist
es keine Lust,
sondern eine
Last, derer
sie oder die
Sängerin, die
sie spielt,
sich am Ende
entledigt.
Scarpia, mit Glatze und langen Kranzhaaren unter einem Texas-Hut, mit Sonnenbrille und Schlangenlederstiefeln sitzt in einem Elektrorollstuhl, kann aber mit Stock ein paar Schritte gehen. Eindrucksvoll wird er wie ein Bote der Hölle per Hubpodium aus der Unterbühne heraufgefahren. Zu Beginn des zweiten Aktes zieht er sich auf der Bühne einen Morgenmantel an, bevor er Tosca empfängt. Da werden sofort sexuelle Absichten gezeigt und Assoziationen zu MeToo drängen sich auf. Leidenschaftlich reißt er Tosca das Abendkleid herunter und vergräbt sein Gesicht darin noch leidenschaftlicher – und ist doch selbst grässlich abstoßend kostümiert. Oksana
Sekerina (Floria Tosca), Statisterie
© N. Klinger Cavaradossi ist ein gealterter
Künstler, kein
Maler, sondern
ein Fotograf
oder
Videokünstler,
der sich gern
mit jungen
attraktiven
Frauen als
Models umgibt.
Vorsichtshalber
klappt er sein
Notebook zu,
wenn Tosca
eintritt… Das
Madonnenbild,
das er
eigentlich
malt, ist eine
Fotografie
bzw. ein sich
bewegendes
Frauenbild,
ein männlich
gesehenes
Ideal von
einer Frau. In
den Übertexten
wird dann auch
der Text
geändert, so
dass Tosca
verlangt „Aber
mach ihr
schwarze
Augen!“, nicht
„mal ihr
schwarze
Augen!“.
In der Originalgeschichte verkleidet sich Angelotti nach seiner Flucht aus dem Gefängnis als Frau. Eigentlich nur ein Trick, um unerkannt zu bleiben, aber die Regie verfolgt den Gedanken weiter und weitet die Präsenz der Figur aus. Angelotti erscheint auf seiner Flucht als Tourist mit Hawaiihemd und Fotoapparat. Er zieht sich nicht in der wie eine Bedürfnisanstalt gekachelten Kapelle, sondern mitten auf der Bühne bis auf die Damenunterwäsche, die er darunter trägt, aus und bewegt sich dann lustvoll in einem eleganten Kleid auf High Heels während der Tosca-Cavaradossi-Szene vorn über die Bühne. Eigentlich ein Grund für einen Eifersuchtsanfall der Diva, aber die sieht ihn/sie gar nicht. Zu seiner Flucht zieht er sich wieder als Tourist an, was die Verkleidungstaktik sinnlos erscheinen lässt. Sinnlos wäre es auch, dass seine Schwester ihm mit den Frauenkleidern Schuhe einpackt, auf denen er nicht laufen kann. Später sieht man ihn dann auf der erhöhten Spielfläche im Hintergrund, erst mit Cavaradossi essend, dann sich wieder das Kleid anziehend, schließlich erschießt er sich, unmittelbar bevor Tosca ihr „Vissi d’arte“ beginnt. Auch das Thema Diversity wird also angesprochen. Der Mesner ist ein Spitzel Scarpias und auch die Kirche wird als Mittäter angeklagt. Blondbezopfte, in blau-weiße Uniformen gekleidete Mädchen des Kinderchors ziehen ihre Blusen aus und wischen damit den Fußboden nach ihrem Jubelgesang in der Kirche. Da denkt man an ähnliche Schikanen im Nationalsozialismus. Ein ganz deutlicher Vorwurf: Tosca ersticht Scarpia nicht mit einem Messer, das sie auf seinem Schreibtisch findet, sondern schneidet ihm von hinten mit einem langen schmalen Dolch, der im Längsbalken ihres übergroßen Kreuzes verborgen ist, die Halsschlagader auf. Hansung
Yoo (Baron Scarpia), Oksana Sekerina (Floria
Tosca)
© N. Klinger Soweit ein Versuch, die halbwegs
übersichtlichen Eckpfeiler dieser Inszenierung zu
beschreiben. Tatsächlich ist das Bühnengeschehen mit
Nebenaktionen und Projektionen
dermaßen überfrachtet – zuweilen werden verschiedene
Bilder auf verschiedenen Bildschirmen gezeigt,
zusätzlich zum Geschehen auf der Bühne –, dass man
verwirrt von einer Ecke in die andere schaut. Oder
aufgibt.
Frauen sind in verschiedensten Erscheinungs-, Leidens- und Anklageformen allgegenwärtig, treten auf und ab. Die Damen des Chores wirken mit extravaganten und überdimensionierten Perücken wie die Anklage eines sich selbst feiernden voyeuristischen Publikums („und spielen ohne Gage mit“…). Immer wieder agieren unterschiedliche Frauengruppen mit Maschinengewehren. Eine Gruppe wird offensichtlich mit Sprechverbot unterdrückt: Sie tragen Masken mit schwarzen Kreuzen über dem Mund. Im zweiten Akt stehen 20 hohe Vasen mit großen Blumensträußen in vier Reihen längs auf der Bühne, machen einen besonderen Effekt (und verstellen den ersten Reihen einen Teil der Sicht). Sichtbar gemacht wird auch Toscas Auftritt in der Kantate im Hintergrund. Allerdings wird sie im Vordergrund aus der Unterbühne hochgefahren (wird an diesem Abend gern und viel genutzt) und verstellt mit ihrem Kleid die Sicht auf das Verhör Scarpia/Cavaradossi, das dann nur auf den Bildschirmen sichtbar wird. Da wird das Prinzip Hintergrundhandlung auf Bildschirmen und Haupthandlung im Original umgekehrt. Um Tosca herum bewegen sich Frauen mit gitterartigen Kostümanteilen ausdrucksvoll wie ihn einer Revue der Zwanziger. Im dritten Akt liegen Matratzen auf der Bühne, neben denen jeweils ein Metalleimer steht. Minimale Ausstattung wie in einem fragwürdigen Gefängnis oder Lager. Eine Frauen-legen-sich-auf-die-Matratzen-Choreographie lässt den Zuschauer fragend oder Schlimmes ahnend zurück. Der Hirtenknabe ist eine hübsche junge Frau im weißen Biedermeierkostüm. Dann ist da noch eine blutige Performance, das übergroße „S“-Siegel Scarpias, das Tosca nun lebenslang auf ihrem Rücken trägt und und und. Die Liste des Aufzuzählenden scheint unendlich, die Lust dazu nicht. Da die Hintergrundhandlungen (überwiegend)
stumm ablaufen und die Haupthandlung auf der Mitte der Bühne,
kann in dieser Pandaemoniums-Produktion auf
Mikroports verzichtet werden, für das Publikum im
Zuschauerraum funktioniert das. Wie das in den Ecken
des Pandaemoniums klingt, wenn man hinter den nach
vorn Singenden sitzt, wäre interessant zu wissen,
vielleicht bezieht sich darauf ja auch die Ankündigung
einer „sehr dezenten Raumklangverstärkung“.
Szczepan Nowak (Ein
Schließer), Oksana Sekerina
(Floria Tosca. oben),
Francesco Angelico
(Musikalische Leitung),
Ricardo Tamura (Mario
Cavaradossi) © S. Hannak
Auch diese zweite Premiere
leitet GMD
Francesco
Angelico, hat
es aber
schwer, gegen
die Regie
durchzudringen.
Auch klingt
das Orchester
im
Zuschauerraum
etwas dumpf
und nicht
besonders
präsent, was
aber ein
akustisches,
kein
künstlerisches
Problem ist,
denn die
Leidenschaftlichkeit
und der Elan
vermitteln
sich dennoch.
Dass der
Auftritt des
Dirigenten in
die Regie mit
einbezogen
wird, fordert
von ihm ein
gewisses Maß
an
Selbstironie.
Er trägt über
dem Frack
einen üppigen
Pelzmantel,
den er
zusammen mit
seiner
Sonnenbrille
und seiner Uhr
zwei
Begleiter-Schergen
übergibt,
bevor er
beginnt. Der
Dirigent als
mafioser
Despot? Auf
eine Anklage
mehr oder
weniger kommt
es an diesem
Abend nicht
mehr an.
Hansung Yoo begeistert mit einem grandiosen Rollendebüt restlos als Scarpia. Er kann in dieser Partie seiner traumhaft schönen Stimme auch Härte und Gewalt verleihen, wirkt somit bedrohlich, dämonisch und schmeichelnd, wo es angemessen ist. Fast könnte man mit der äußerlich so abstoßend ausgestatteten Figur Mitleid haben, wenn er sich nicht nur lüstern, sondern auch liebessehnsuchtsvoll in Toscas Kleid suhlt. Aber nur fast. Oksana Sekerina setzt die Regieidee der zwei Dimensionen einer Frauenfigurdarstellung nicht nur szenisch, sondern auch gesanglich nachvollziehbar um, bleibt als Sängerin, die eine Sängerin spielt, immer wieder distanziert. Sie singt sehr kontrolliert, hat ein angenehmes Timbre und trumpft stimmlich nur gelegentlich auf. Ricardo Tamura ist in Kassel bekannt und erinnert an große Leistungen aus früheren Jahren, an die er an diesem Abend nicht ganz anknüpfen kann. Die Bass-Baritonistin Sam Taskinen singt den Angelotti mit satten, klangvollen Tönen und spielt ihn mit viel Leidenschaft. Mit Michael Tews als Mesner, Lars Rühl als Spoleta, Hakan Ciftcioglu als Sciarrone, Michael Kuzma als Schließer und Eva Carlberg in der Partie des Hirtenknaben sind die kleineren Rollen bestens besetzt. Der Chor klingt mächtig gewaltig aus der oberen Etage des Pandaemoniums. FAZIT Ähnlich wie am Tag zuvor fühlt man sich mit Bildern, Statements, Ideen, Ideologien und Vorwürfen nicht nur konfrontiert, sondern erschlagen. Dieses Zuviel schreckt eher ab, als dass es das Bedürfnis weckt, sich mit den aufgezeigten Problematiken näher zu befassen. Damit erweist sich die Regie selbst einen Bärendienst - der Oper Tosca sowieso. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
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