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Die Teufel von Loudon

Oper in drei Akten
Libretto vom Komponisten nach The Devils of Loudun von Aldous Huxley in der Dramatisierung von John Whiting unter Benutzung der deutschen Übertragung des Dramas von Erich Fried (1968/69)
Musik von Krzysztof Penderecki


In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 15' (keine Pause)

Premiere am 27. Juni 2022 an der Bayerischen Staatsoper München




Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Keine leichte Kost

Von Roberto Becker / Fotos von Wilfried Hösl

Als Serge Dorny am Premierenabend vor den Vorhang trat, musste er eine Besetzungsänderung verkünden, die sich in der Vorstellung, die dann folgte, sogar als Gewinn erwies. In Krzysztof Pendereckis (1933-2020) Die Teufel von Loudon musste Wolfgang Koch in der zentralen Rolle des Pfarrers Granier (coronabedingt) kurzfristig vertreten werden. Der hawaiianische Bariton Jordan Shanahan sang vom Graben aus die Partie und der vom benachbarten Residenztheater "geborgte" Schauspieler Robert Dölle übernahm auf der Bühne die Darstellung und die gesprochenen Passagen. Was besonders da, wo die gewaltlüsternen Kleriker bei ihren Verhören zu physischer Gewalt und Folter übergehen, die Wirkung der Inszenierung wohl noch verstärkt haben dürfte. Regisseur Simon Stone wird gerade in diesen Szenen ziemlich direkt. Das erinnert stellenweise sogar an die Gewaltexzesse in den frühen Inszenierungen von Calixto Bieito. Da Stone die Geschichte aus dem 17. Jahrhundert radikal in die abstrakte Gegenwart des eindrucksvollen Bühnenkubus von Bob Cousins verlegt, wird diese Brutalität durch keinen Zoom in ein Mantel-und-Degen Ambiente des Zeitalters von Kardinal Richelieu abgemildert. Das ist packender, als es selbst einem Könner wie Harry Kupfer vor zwanzig Jahren in Dresden gelungen war.

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Die Nonnen gehen in ihrer Hysterie auf den Exorzisten los

An diese Inszenierung wird man auch deshalb erinnert, weil der neue Münchner GMD Vladimir Jurowksi (50) damals schon am Pult stand. Die Hingabe, mit der er sich diesem Ende der 1960er-Jahre von Rolf Liebermann in Auftrag gegebenen Werk widmet, ist in München zu hören und zu sehen. Die Musik wirkt immer noch, vor allem in den rein instrumentalen Ausbrüchen zwischen den Parlando-Passagen, erschreckend brüchig. Im Stück ist vom Kampf fanatischer Kleriker gegen die vermeintliche Macht des Teufels die Rede - und das hört man vor allem da. Es ist nachvollziehbar, dass sich Horrorfilme solcher bis ins Atonale aufschäumender Passagen bedient haben. Gleichwohl steht der Fortgang der Geschichte und ihr Sog auf das tödliche Ende hin immer im Zentrum.

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Unten wird gefoltert, oben die Priorin, die alles in Gang gesetzt hat

Dafür und für die Bewältigung der Dynamik der mitunter kurz geschnittenen 30 Szenen liefert die Bühne einen kongenialen Rahmen. Der wuchtig dominierende Kubus in seiner Sichtbetonanmutung behauptet in der Reduktion der Einblicke in Klosterzelle und Kirchenraum, in Treppenhaus und Galerie, schließlich in ein Krematorium, das hier den Scheiterhaufen der Vorlage ersetzt, in Verbindung mit den Kostümen nüchterne Gegenwart. Nur die Berufskleidung der Kleriker und Nonnen verweist auf die Vergangenheit, was hier vor Augen führt, dass die Fixierung auf den Absolutheitsanspruch der Institution auch in der Gegenwart ihre Spuren hinterlässt.

In der Geschichte, die auf einen realen Fall aus dem Einflussbereich Kardinal Richelieus zurückgeht, wirft die Priorin Jeanne die verhängnisvolle Maschinerie an, mit der die Kirche den Teufel, in Wahrheit aber den sich ihrer Macht entziehenden Menschen, bekämpfte. Jeanne will den attraktiven Pfarrer Garnier nicht nur als geistlichen Berater an ihr Kloster holen, sondern auch als Mann in ihrer Nähe haben. Als der (selbst kein Kostverächter) ablehnt, verlegt sie sich aus Rache auf vorgespielte Hysterie und manipuliert ihre Mitschwestern gleich noch mit. Das führt zu einer Massenhysterie der Nonnen, bis zu Handgreiflichkeiten gegen den Exorzisten und barbusigen Auftritten vorm Altar, wie sie heute gelegentlich Schlagzeilen machen.

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Nonnen beim Gebet

Zu Beginn nimmt Granier die Sache nicht wirklich ernst. Aber es gibt noch eine zweite, politische Ebene der Geschichte. Richelieu will die Mauern von Loudun schleifen lassen, um seine Macht zu festigen - Granier unterstützt den Gouverneur im Widerstand dagegen. Als sich Richelieu beim König durchsetzt, hat er der Pfarrer einen übermächtigen politischen Feind. Plötzlich werden seine realen und behaupteten Verfehlungen lebensgefährlich. Die politische Intrige nutzt den religiösen Wahn. Oder bzw. und umgekehrt.

Musikalisch und vokal ist der Abend großartig. Das fängt bei Jurowski und dem Staatsorchester und den vom Stellario Fagone einstudierten Chor an und setzt sich bis in die kleinen Rollen des umfangreichen Personaltableaus (immerhin 19 Partien, dazu 12 Ursulinerinnen) fort. Neben den beiden Granier-Interpreten zog vor allen Aušrine Stundyte als Priorin alle Register beim Abgleiten in ihre (im doppelten Wortsinn) teuflische Hysterie. Aber auch Martin Winkler als fanatisch-sadistischer Exorzist Barré und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als bürokratisch beredter königlicher Kommissär Baron de Laubardemont liefern eindrucksvolle Rollenporträts. Die "wissenschaftlichen Experten", die bei den "verschärften Verhören" sekundieren, erinnern als Chirurg (Jochen Kupfer) und Apotheker (Kevin Conners) musikalisch an den Doktor und den Hauptmann in Bergs Wozzeck.

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Hinter den Kulissen des Zölibats

Die Wirkung dieser Inszenierung ist enorm. Der in Bayern neu für Kunst und Kultur zuständige Minister Markus Blume brachte es beim traditionellen Empfang der Staatsregierung anschließend auf den Nenner: "Wow!" Dass man sich nur schwer vorstellen kann, dass eine solche Inszenierung (eigentlich auch das Stück selbst) im rechtskonservativ regierten, erzkatholischen Polen auf eine Bühne kommt, sagte er nicht. Es fällt einem aber ein. Es spricht für das Münchner Publikum, dass es sich jeden prokatholischen Protest gegen das Stück und die Inszenierung verkniffen hat und alle Mitwirkenden mit ausgiebigem Beifall für eine beachtliche darstellerische Leistung bedachte. Dorny hätte es sich mit dem Auftakt der traditionellen Opernfestspiele auch einfacher machen können.

FAZIT

Die Münchner Opernfestspiele sind mit einem anspruchsvoll herausfordernden Stück der Opernmoderne auf höchstem künstlerischem Niveau eröffnet worden.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Vladimir Jurowski

Inszenierung
Simon Stone

Bühne
Bob Cousins

Mitarbeit Bühne
Anna Wunderskirchner

Kostüme
Mel Page

Licht
Nick Schlieper

Klangregie
Sven Eckhoff

Dramaturgie
Malte Krasting



Extrachor der Bayerischen Staatsoper

Bayerischer Staatsopernchor

Bayerisches Staatsorchester


Solisten

Jeanne
Aušrine Stundyte

Claire
Ursula Hesse von den Steinen

Gabrielle
Nadezhda Gulitskaya

Louise
Lindsay Ammann

Philippe
Danae Kontora

Ninon
Nadezhda Karyazina

Grandier
Jordan Shanahan (Sänger)
Roberto Hölle (Darsteller)

Vater Barré
Martin Winkler

Baron de Laubardemont
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke

Vater Rangier
Andrew Harris

Vater Mignon
Ulrich Reß

Adam, Apotheker
Kevin Conners

Mannoury
Jochen Kupfer

d'Armagnac
Thiemo Strutzenberger

Prinz Henri de Condé
Sean Michael Plumb

Vater Ambrose
Martin Snell

Bontemps
Christian Rieger

Gerichtsvorsteher
Steffen Recks

Ursulinen
Anna Avdalyan
Helene Böhme
Camilla Saba Davies
Elisa de Toffol
Tina Drole
Antje Lohse
Ulrike Malotta
Laura Hilden
Albina Gitman
Rebecca Suta
Mechtild Söffler
Mengting Wu


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter

 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



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