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Lehár plus ...
Von Joachim Lange /
Fotos von
Wilfried Hösl
Auch wer kein Operettenfan ist, der kennt Hits wie "Freunde, das Lebens ist lebenswert" und "Meine Lippen, die küssen so heiß". Die dazu gehörige Operette vom Komponisten der Lustigen Witwe, Franz Lehár (1870-1948), heißt Giuditta. Die Uraufführung 1934 in der Wiener Staatsoper war ein Welterfolg. Die Auseinandersetzungen um ihr Zustandekommen liefern ein hochinteressantes Kapitel der Geschichte des Hauses. Aber es war halt das letzte Wort des Königs der sogenannten Silbernen Operette und damit im Grunde auch das Ende des Nachschubs für das Genre. Tot ist es nicht. Schon, weil in den meisten Operetten mehr drin steckt, als man auf den ersten Wunschkonzertblick hin gemeinhin denkt.
Die Bayerische Staatsoper in München, an der der einst für Dresden angeheuerte Serge Dorny das Intendantenzepter in der Hand hat, durfte jetzt vor Weihnachten seinem Publikum noch ein Operetten-Schmankerl ankündigen. Es durften zwar nur 650 Zuschauer, sicher maskiert und gründlich kontrolliert, in den Saal. Aber immerhin. Verglichen mit Sachsen ist das schon beachtlich. Dass am Ende ein erheblicher Teil des Publikums das Inszenierungsteam mit einem Buhsturm bedachte, lag freilich an dem ziemlich extravaganten Zugriff auf die Vorlage. Der kauzige Schweizer Theatermann Christoph Marthaler und seine kongeniale, langjährige Raumerfinderin Anna Viebrock hatten die Vorlage nämlich nicht nur auf ihre übliche Art vermahrtalert, also mit allerlei skurrilen Zugaben in abgeranzten Räumen versehen, sondern regelrecht dekonstruiert und die gefühlte Hälfte der Musiknummern durch die Werke anderer Komponisten ersetzt. Das ging von Béla Bartók und Hans Eisler über Erich Wolfgang Korngold und Ernst Krenek bis zu Arnold Schönberg, Dmitri Schostakowitsch und Viktor Ullmann. Alle insgesamt zehn hinzugefügten Komponisten standen den Nazis nicht wie Lehár nahe und konnten sich keineswegs mit dem anrüchigen Titel eines Lieblingskomponisten von deren Anführer brüsten. Ganz im Gegenteil. Die Absicht der Kontextualisierung von Lehár ist so erkennbar wie untadelig. Aber ohne eine Portion Etikettenschwindel ist sie eben auch nicht zu haben.
Und so gab es nach jedem Lehár-Hit quasi ein musikalisches Umschalten und eine szenische Vollbremsung. Die Traurigkeit, die eh schon in der Originalgeschichte steckt, wurde durch fast alle eingefügten Stücke noch zusätzlich verstärkt. Das Paar in der Geschichte - die verführerische Giuditta und der Hauptmann Octavio - lieben einander, kommen aber doch nicht auf Dauer zusammen. Für ihn ist die Liebe lebensgefährlich, weil er mit dem Gedanken ans Desertieren spielt. Er folgt aber doch dem Marschbefehl zur Afrikamission und sie tröstet sich mit wechselnden Verehrern. Er endet völlig resigniert als Barpianist und sieht sie am Arm eines Herzogs entschwinden.
Es ist eine Collage mit beachtlicher musikhistorischer Ambition entstanden. Die kauft allerdings dem charismatischen Drive, der immer aufflammt, wenn Titus Engel und das Bayerische Staatsorchester sich auf sicherem Lehár-Terrain bewegen, den Schneid ab. Operettenseligkeit kommt da nicht auf. Der Kopf bleibt hier mehr gefordert als das Gefühl.
Das Buffopaar, Anita und Pierrino, wird zu den Horvath-Figuren der ebenfalls eingebauten Passagen seines Sladek oder Die schwarze Armee. Als Sladek und Anna überzeugen Sebastian Kohlhepp und Kerstin Avemo, ebenso wie auch Jochen Schmeckenbecker als aufgewerteter Leutnant Antonio. Die schauspielernde Marthalertruppe spricht die Dialoge und singt die Chorpassagen ... Dazu gibt es in Vierocks Einheitsbühne (eine Art zeitloses Tanzcafe mit Bühne und Separee) jede Menge stilles, dezentes oder in wilden Slapstick ausartendes Marthalertheater. Diesem Exkurs der Münchner Oper kann man in aller Ruhe von daheim aus folgen. Eine Aufzeichnung der Premiere wird am 26. Januar 2022 ab 19 Uhr kostenlos auf STAATSOPER TV und ARTE Concert, sowie am 27. Februar 2022 ab 22.40 Uhr auf ARTE übertragen. Diese "Giuditta plus" macht aber - ehrlich gesagt - auch Lust auf Lehár pur. FAZITDie Staatsoper München beschließt das Jahr mit einer Operette der besonderen Art: Christoph Marthaler hat Franz Lehárs Giuditta in den Kontext seiner Zeitgenossen gesetzt Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Mitarbeit Inszenierung
Licht
Mitarbeit Choreographie
Dramaturgie
Solisten
Giuditta
Hauptmann Octavio
Anna
Sladek
Leutnant Antonio
Fräulein Schminke
Knorke
Horst
Manuele, Guidittas Ehemann/ Ein Herzog
Lord Barrymore
Girl
Luftballonverkäuferin
Christian Oehler, ein Stuttgarter Klavierfabrikant
Leiter der Bewegung
Leiter der Gegenbewegung
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