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An den Pool verlaufen
Von Joachim Lange /
Fotos von
Wilfried Hösl
Die Trojaner von Hector Berlioz sind eine Grand opéra par excellence. Sie bieten das historische Panoramabild und brauchen das große Orchester mit diversen instrumentalen Ballett-Einlagen über fünf Akte. Ein Widerschein von Haupt- und Staatsaktion aus der Tiefe der Vergangenheit, den Kindheitstagen des abendländischen Europas. Der gelegentliche Vergleich mit Wagners Ring greift sicher zu hoch, aber man ahnt wie er zustande kommt.
Die Geschichte, zu der Berlioz sich selbst das Libretto nach Vergil geschrieben hat, beginnt mit dem Untergang des sagenhaften Troja, nach dem eigentlich gewonnenen Krieg bzw. der von den Griechen scheinbar freiwillig beendeten Belagerung. Verloren ging er durch den Trick der Griechen mit dem berühmten Pferd. Und der Blindheit der Trojaner im Taumel des vermeintlichen Sieges. Dass dieses Griechen-Pferd mit dem Namen "Trojanisches Pferd" durch die Zeiten und abgeleiteten Bedeutungen trabt, gehört zum nachhaltigsten Erfolg der griechischen Taktik. Im Zentrum dieses ersten Teils der Oper stehen die vergeblich warnende Kassandra und der Massenselbstmord der trojanischen Frauen, um sich nicht den Griechen zu unterwerfen. Samt ein paar Ausnahmen, die lieber unter Griechen leben, als für Trojas Ehre sterben wollen. In die Zukunft gerichtet ist die Flucht des Königssohns Aeneas samt schlagkräftiger Truppe, Staatsschatz und dem göttlichen Auftrag im Gepäck, mit Rom ein neues Troja in Italien zu gründen.
Kassandra im Recht, aber allein
Die zentrale und operngemäß tragisch endende Liebesgeschichte ergibt sich bei einem Zwischenaufenthalt in Karthago, wo der Trojaner-Anführer ein Verhältnis mit der Königin dieses aufblühenden Staatswesens eingeht. Und nicht nur er mit ihr. Bis es schließlich zu einer finalen Katastrophe kommt, weil diese Königin Dido - sozusagen als Frau - nicht akzeptieren will, dass Aeneas seinen Job der Liebe zu ihr vorzieht. Nach einer ausführlichen Verzweiflungsarie für jeden der beiden Protagonisten und einem Fluch der verlassenen Frau, der gleich die ganze europäische Geschichte, die mit der Gründung Roms ja tatsächlich Fahrt aufnimmt, mit dem Virus von andauerndem Hass und Krieg infiziert, endet diese Historien-Oper, die Berlioz selbst nie im Ganzen auf der Bühne erleben konnte. In der Münchner Inszenierung kündigt schon die erste Szene vor allem deren Verweigerung an. Dabei imaginiert der ummauerte, dachlose, bunkerartige Raum, den Katrin Lea Tag gebaut hat, mit den geborstenen Wänden, dem aufgebrochenen Fußboden und dem Meeresbild im Hintergrund durchaus das jahrelang belagerte Troja, über das die Katastrophe im Moment des Triumphes über den Abzug der Griechen hereinbricht. Doch der Chor (der von da an seinen ausgedehnten Part brillant meistert) betritt in Konzertkleidung und über seinen Auftrittsort staunend die Szene. Man kann diese Art Verfremdung natürlich zu einem szenischen Ausgangspunkt machen. Wenn man es kann. (Wie sowas geht, lässt sich in Tobias Kratzers Inszenierung von Rossini Tell-Oper in Lyon bestaunen). Christopher Honoré kann es eher nicht. Denn meist mündet der vokale Masseneinsatz in brav aufgestellten Tableaus. Auch eine echte Personenregie, die diesen Namen verdient, sucht man hier zwischen den Auf- und Abtritten und dem allfälligen Hin- und Her vergebens. Aeneas - der Mann, der die Zukunft sichert Zum Glück ist mit dem Orchesterchef aus Lyon, Daniele Rustioni, ein Dirigent mit Gefühl für die französische Opulenz und den delikaten Charme von Berlioz' Musik am Pult - und das Bayerische Staatsorchester folgt ihm darin willig und mit Perfektion. So betörend sich verströmend, dabei stets Maß und Balance mit den Sängern haltend, hat man selbst dieses fabelhafte Orchester lange nicht gehört. Dazu lässt Marie-Nicole Lemieux eine höchst brillante und höhensichere Cassandre von der Leine. Ob frontal ins Publikum oder auch mal liegend - auf ihre Prophezeiungen ist auch vokal Verlass. Das gilt ebenso für den hinreißenden Stéphane Degout als baritonedler, markanter Chorèbe. Schade, dass der Lauf der Geschichte diese Lovestory beendet, noch bevor sie richtig begonnen hat. Vor dem Pferd streckt die Regie mit einer Neoninstallation der Worte "Das Pferd" zwar die Waffen. Aber das, wofür sie stehen, besiegelt Trojas Untergang dennoch. Das musikalisch packende, hochdramatische Finale versandet szenisch allerdings. Die Griechen bummeln - als Barbaren halbnackt versteht sich - auf die Szene und die Frauen erstechen sich. Eine Episode, die immer auch eine Frage in die Gegenwart an das jeweiligen Publikum nach dem eigenen Verhalten provoziert, ist die Verweigerung des "Ehrenselbstmordes" durch einige trojanische Frauen. Die war schon lange nicht so unangenehm nah war wie heute, wo die Rhetorik des aktuellen Krieges bei den Angreifern und bei den sich dagegen Verteidigenden in atemberaubendem Tempo in archaische Muster von Männlichkeit, Heldentod oder Ehre zurückfällt. Zu den Attacken der neuen Identitären der Rückfall in die Sprache der heroischen Zeitalter. Viel schlimmer kann es fast nicht mehr kommen. Es ist erstaunlich mit welcher Ignoranz Christophe Honoré diese Chance für ein Verhaken in der Vorlage einfach übersieht. Nun hat eine Inszenierung - noch dazu die eines solchen Blockbusters - natürlich Vorlaufzeiten, die ein Kriegsausbruch wie den im Osten Europas leicht überholt. Und es geht auch nicht um eine platte Tagesaktualität, sondern nur um ein Achtungszeichen zum Weiterdenken. (In Bonn hat man vor kurzem im Falle von Meyerbeers in seinem preußischen Hurrapatriotismus kaum zu ertragenden Feldlager in Schlesien im laufenden Probenbetrieb mit einem ganzen Akt höchst erfolgreich und wirkungsvoll umgesteuert, ohne platt zu werden.) In Karthago - Dido mit ihren Jungs und den Fremden aus Troja Aber das ist dennoch nur ein kleiner Einwand gegen ein Inszenierungsdetail. Der größere besteht darin, dass diese vermeintliche Inszenierung eigentlich gar keine ist. Zumindest nicht in dem Sinne, dass hier eine vorgegebene Geschichte nicht nur bebildert, sondern auch, in welche Richtung auch immer, interpretiert werden müsste. Und in dem Sinne, dass man den Chor anders einsetzt, als eine konzertante Zugabe für Tableaus. Dass sich das Regieteam am Ende einen Buhstrum und schon nach den gezeigten (eine Empfehlung "ab 18" verursachenden) Schwulenpornos Proteste einfing, kann man freilich nicht (alleine) mit einer in München womöglich besonders ausgeprägten Prüderie erklären. Selbst wenn man annimmt, dass das von einer Frau regierte Karthago ein dekadentes Gegenbild zu Troja ist, wo die Männer männlich kämpfen und sich die Frauen im Zweifel lieber selbst umbringen, als unter der Besatzung zu leben, dann ist die entsprechende Ausgestaltung dieser These einfach schlecht gemacht. Ein gelangweiltes Laienspiel, bei dem die nackten Jungs eigentlich auf den Traumprinzen warten und sich die Königin und ihre unfassbar hässlich kostümierte Schwester naturgemäß nur langweilen. Der Traumprinz kommt dann im Film tatsächlich und ist schwarz. Mehr Schwulenklischee geht kaum. Und doch steckt in jeder Sequenz einschlägiger Parfümreklame mehr Erotik. Hier wird einfach nur gefummelt oder zugelangt. Selbst an der Mauer im Hintergrund beim grandiosen tristanesken Liebesduett von Dido und Aeneas. Wieso aber ein Staatswesen, das prosperiert und in dem sich die Untertanen offensichtlich aus guten, handfesten Gründen mit ihrer Königin in Übereinstimmung befinden, als Inbegriff von Dekadenz herhalten soll, bleibt genauso schleierhaft, wie die Frage, wieso eigentlich offen ausgelebte Homosexualität dafür die passende Metapher sein soll. Es ist sicher nicht so gemeint, aber wenn man das ernst nähme, wäre der Regisseur dann nicht dem Gerede von westlicher Dekadenz auf den Leim gegangen, wie es polnische Kirchenfürsten ebenso und russische Patriarchen von sich geben? Dafür wäre das kräftige Buh in München allemal gerechtfertigt. Das - und nicht die nackten Jungs - sind das eigentliche Ärgernis dieser verpassten Inszenierungschance. So stellt sich die Regie das Leben in Karthago vor. Was besonders deshalb schade ist, weil diese Trojaner ein musikalisches Glanzstück geworden sind. Nicht nur die verführerisch schwelgende Farbenpracht des Orchesters ist zu rühmen. Es sind auch die vokalen Glanzleistungen der Protagonisten. Nicht nur das verhinderte Liebespaar im Troja-Teil; auch Karthago kann da mithalten. Wenn man Gregory Kundes großem verzweifelten Abschiedsmonolog am Ende zuhört, um in den Applaus auf offener Szene einzustimmen, übersieht man gern, dass er aussieht wie ein frömmelnder Pilgervater und nicht wie ein smarter Kriegsheld. Hier übertrifft er mit der Strahlkraft seiner Stimme noch das liebestrunken Atmosphärische des Liebesnachtduetts mit Dido, die Ekaterina Semenchuk vor allem mit Wärme auszustatten versteht. In dem Riesenensemble glänzt auch Lindsay Ammann als Didos Schwester Anna. Sie alle krönen eine höchst überzeugende Ensembleleistung. Zusammen mit dem Glanz des Orchesters und des Chores machen sie diese Trojaner zu einem musikalischen Triumph, dem die szenische Entsprechung fehlt. FAZITEin provoziertes Skandälchen ersetzt keine Inszenierung. Man muss nicht alles machen, nur weil man es darf. Musikalisch sind die Trojaner ein Genuss. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Solisten
Cassandre / Der Schatten von Cassandre
Hécube, Königin von Troja
Ascagne, Sohn des Énée
Didon, Königin von Karthago
Anna, Schwester der Didon
Soldat aus dem trojanischen Volk
Chorèbe / Der Schatten von Chorèbe
Priam / Der Schatten von Priam
Hélénus, Sohn des Priam
Enée
Panthée
Der Schatten von Hector
Ein griechischer Heerführer
Narbal
Iopas
Mercure
Hylas
Erster trojanischer Soldat
Zweiter trojanischer Soldat
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