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Ein Oratorium als Kammerspiel Von Christoph Wurzel / Fotos: © Christian Kleiner Ursprünglich war diese Produktion als szenische Aufführung geplant, die aber aus allseits bekannten Gründen nicht realisiert werden konnte. Als "szenisches Konzert" wurde nun die Premiere angekündigt. Und zu Beginn der Vorstellung sieht man auf der leeren, nach hinten durch eine hölzerne Wand schmucklos abgetrennten Bühne als einziges Requisit einen Stuhl. Erwartet uns eine Sparversion? Wird es in diesem Arrangement überhaupt ein interessanter Abend werden? Er wurde es! Subtile Körpersprache der Solistinnen und Solisten (Einstudierung Victoria Stevens) und lebendige Interaktion ließen eine spannende Bühnenhandlung entstehen. Der Erfolg des musikalischen Teils geht an die exzellente Realisation unter der Leitung von Bernhard Forck, der dem Orchester des Nationaltheaters auch als Konzertmeister vorstand. Der Text des Oratoriums von Kardinal Pamphilj mit der Musik des 22jährigen Händel (uraufgeführt im Frühjahr 1707 in Rom) verhandelt in der Art einer Disputation von vier allegorischen Figuren - Bellezza (Schönheit), Piacere (Vergnügen), Tempo (Zeit) und Disinganno (Ent-Täuschung oder Desillusionierung) - die Frage nach dem Wesentlichen im Leben; ein Thema, das besonders auch in die heutige Zeit passt. Mehrere Opernhäuser haben das Werk in den Zeiten der Pandemie wohl deshalb auch im Programm. Eigentlich weiß Bellezza schon, dass ihre Schönheit nicht von Dauer sein kann, aber das Vergnügen lockt mit immerwährenden Freuden, die Zeit malt düster die Vergänglichkeit alles Irdischen aus und Disinganno mahnt als Vertreter des Realitätsprinzips zu Einsicht und Umkehr. Victoria Stevens verleiht diesen abstrakten Figuren so prägnant menschliche Charaktere, dass sie sich in Zeitgenossen zu verwandeln scheinen. Aus dem poetisch-theologischen Traktat wird so ein intimes Kammerspiel, in dem unterschiedliche Lebensentwürfe aufeinander treffen. Die um etwa ein Drittel gekürzte Mannheimer Fassung macht die Handlung zudem stringenter, verständlicher und moderner für das heutige Publikum, als es das Original wäre. Shachar Lavi (l: Piacere) und Amelia Sciccolone (Bellezza) Mit einem Apfel, den sie ihr verführerisch entgegengestreckt, versucht Shachar Lavi als Piacere die Schönheit auf ihre Seite zu locken. Ihre Arien sind reine Vokalakrobatik und die orchestral opulentesten des Werks. Die israelische Mezzosopranistin lässt mit ihrer leichten, exzellent geführten Stimme keine Wünsche offen. Il Tempo kann abwarten: lässig und ziemlich cool, aber mit starkem Ausdruck erinnert der australische Tenor Christopher Diffey daran, dass die Zeit unweigerlich vergeht. Wenig sympathisch gibt Disinganno (Benno Schachtner mit warmer Counterstimme) mit erhobenem Zeigefinger penetrant stets eifrig bemüht den Moralisten. Davon allerdings will Bellezza am wenigsten hören. Sie wird von Amelia Sciccolone hochvirtuos und technisch brillant gesungen. Messerscharf schleudert sie den Versuchen, sie zu beeinflussen, heftigen Protest entgegen: Voglio tempo per risolvere (Gebt mir Zeit, mich zu entscheiden!). Der Textautor und Kardinal gibt natürlich eine Lösung vor. Unmissverständlich unterstützt sein Stück die Order des Papstes zu Reue und Buße. Diese war verordnet, nachdem ein schweres Unwetter mit Überschwemmung und Verwüstung über den Kirchenstaat hinweg gefegt war. Deswegen waren in Rom Opernaufführungen verboten, das Oratorium sollte für fromme Erbauung sorgen. Konsequent wendet sich daher - laut des Textes - die Schönheit am Schluss von den irdischen Freuden ab und den himmlischen zu. Das Mannheimer Regiekonzept mag allerdings dieser Lösung wohl nicht so recht vertrauen. Nach der von Shachar Lavi anrührend schön gesungenen Arie Lacia la spina, cogli la rosa, mit der das Vergnügen die Schönheit zum letzten Mal auf ihre Seite zu ziehen versucht, scheint es, als wolle Bellezza innerlich doch lieber dieser Einstellung folgen. Recht zögerlich nur bewegt sie sich am Schluss von der Bühne in Richtung der versprochenen himmlischen Seligkeit - anscheinend aber nur um die textliche Vorgabe zu erfüllen. Denn wie ein Triumph ihrer Gegenspieler, den der Titel des Oratoriums behauptet, sieht das nicht aus. Eher bleibt die unwiderstehlich anmutige Arie des Vergnügens im Ohr. Und das Oratorium endet sehr leise mit einem Adagio der Solovioline, das mit einer getupften Achtelnote verkling So korrigiert die szenische Interpretation dezent, aber deutlich die doch ziemlich bevormundende Tendenz dieses Textes. Orchester und Ensemble (vorn Bernhard Forck als musikalischer Leiter) Oratorium statt Oper? Händel hat sich mit seiner Musik für die Oper entschieden. Die Arien atmen opernhafte Virtuosität und Dramatik. Als Symbol für das Reich der Vergnügungen steht in der Mitte des Werks eine Sonata mit prachtvoll konzertierender Orgel, dem Lieblingsinstrument des Komponisten. Die Musik ist der Welt zugewandt. Und ganz lustvoll weltlich wird sie in diesen 90 Minuten im hochgefahrenen Mannheimer Orchestergraben auch präsentiert. Unterstützt von einer Continuogruppe mit barocken Instrumenten spielt das Orchester des Nationaltheaters, das durch viele Aufführungen barocker Musik historisch bestens informiert ist, auf seinen modernen Streich- und Blasinstrumenten ausnehmend vital, federnd, farbenreich und differenziert im Ausdruck. Wenn Disinganno predigt, die Schönheit werde unweigerlich ihre Anmut verlieren, dann buchstabiert das Solocello gleichsam jeden seiner Töne in sturem Staccato aus. Das düstere Moll der Tempo-Arie "Ihr Gräber, öffnet euch" vermag tief zu beeindrucken. In scharf abgerissenen Tonfetzen droht Piacere Bellezza mit großen Schmerzen, sollte sie es wagen, vom Vergnügen abzulassen. Und in ihrer Schlussarie umgibt im Kontrast zur barocken Klarheit dieser Musik plötzlich ein satter Streichsound Bellezzas Anrufung des himmlischen Boten. So variantenreich gestaltete Bernhard Forck Händels Partitur. FAZIT
Hier wurde außergewöhnlich subtil gearbeitet: musikalisch
ausdrucksstark und szenisch intensiv. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
/ Konzertmeister
Orchester
Laute
Violoncello
Blockflöten
Oboe
Fagott
Violine 2 Solistinnen und Solisten*Premierenbesetzung
Bellezza
Begleitend zu dieser szenischen Live-Version
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E-Mail: oper@omm.de
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