Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Eine andere Welt erträumen
Von Stefan Schmöe
/
Fotos von Matthias Stutte Es hätte ein gänzlich unbeschwerter Abend sein sollen. Eine verspielte, märchenhafte Produktion; ein Ballett mit Orchester und sogar Chor, ein starkes Zeichen des wiedererwachten Theaterlebens, der Pandemie zum Trotz. Selbst den Premierentermin an diesem Karnevalssamstag konnte man als Verheißung auf entspanntere Zeiten deuten. Vieles von dem gelang, trotz allem, aber der russische Angriff auf die Ukraine einige Tage zuvor warf, wie könnte es anders sein, seinen schweren Schatten über diese Premiere. Intendant Michael Grosse fand vor der Aufführung die richtigen Worte, als er sehr eindeutig den Angriff als solchen benannte und verurteilte, aber auch darauf hinwies, dass am Theater Krefeld-Mönchengladbach Menschen aus 39 Nationen miteinander arbeiten. Friedlich, und man darf hoffen: Freundschaftlich. Das Theater als Modell für eine bessere Welt - ein bisschen geht es auch in der Choreographie danach eben darum. Erst einmal aber spielen die Niederrheinischen Sinfoniker die ukrainische Nationalhymne, und dafür steht Generalmusikdirektor Mihkel Kühtson (der den Ballettabend gar nicht dirigiert) am Pult. Und der Gedanke, das sei so eine typische affirmative Geste (Protest gegen Krieg ist ja irgendwie immer richtig) wird dahingefegt, als eine Musikerin im Orchester aufsteht, es ist offensichtlich ihre Hymne, und sich am Ende die Tränen abwischt. Es ist kein ferner Krieg; Menschen, die aus der Ukraine kommen, leben mit uns. Das Theater in Mönchengladbach findet an diesem Abend den richtigen Weg, mit der Situation umzugehen. Ein Sommernachtstraum: Oberon und Titania, am Baum der in einen Esel verwandelte Zettel
Was kann das Theater: Es kann uns zeigen, wie sehr wir irren, und wenn es auch keine Absolution erteilen kann, so kann es doch in großer humanitärer Geste diese Irrungen als zutiefst menschlich erklären. Felix Mendelssohn-Bartholdys Sicht auf Shakespeares Sommernachtstraum spricht das auf romantische Weise aus (Shakespeare war da wohl um einiges sarkastischer), und Ballettdirektor Robert North folgt ihm darin. Die Kostüme (die er selbst entworfen hat) verorten das Personal ziemlich deutlich in der Gegenwart. Das sind schon wir Heutigen, die sich derart, pardon, bekloppt verhalten, und man sollte Nachsicht üben. Wobei natürlich alles nur Theater ist: Die Elfen ziehen den Vorhang auf der Bühne auf (ein Theater auf dem Theater), mit Respekt vor dem Komponisten erst nach dem Expositionsteil der Ouvertüre. Zunächst darf also die Musik umreißen, worum es geht: Eine Sommernacht, die alle Koordinaten verschiebt, die für einen Moment das Unmögliche erlaubt (wie der Karneval, möchte man ergänzen, der mit Blick auf das Weltgeschehen weitestgehend ausfällt). Die schönsten Momente der Choreographie sind vielleicht die, in denen Feenkönigin Titania, die sich durch einen Zauber in den (kurzfristig in einen Esel verwandelten) Handwerker Zettel verliebt hat, diesem auch nach der Entzauberung noch verliebte Blicke nachwirft. Die Welt mag ihre gesellschaftlichen Regeln haben. Den Esel dennoch lieben zu dürfen, das wäre vielleicht eine bessere Welt. Ein Sommernachtstraum: Helena zwischen den liebestollen Demetrius und Lysander; Oberon schaut amüsiert zu
North erzählt Shakespeares Komödie in etwas weniger als einer Stunde ziemlich genau nach, wobei er den Rahmen gestrichen hat: Die Hochzeit des Herzogs von Athen. Damit fehlt im Stück der Theateraufführung der Handwerker, eigens für diesen Anlass gedacht, die Motivation. Dass dieses (extrem verknappt und sehr amüsant dargestellte) Spiel im Spiel letztendlich ohne Bühnen-Publikum aufgeführt wird, das gehört zu den dramaturgischen Schwächen dieser Choreographie - die letztendlich voraussetzt, dass das Publikum den Sommernachtstraum schon kennen wird und über solche Ungereimtheiten erhaben ist. Puck (mit lausbubenhaftem Charme: Giuseppe Lazzara) erscheint als sehr menschlicher Geist, anfällig für Irrtümer. Oberon (Alessandro Borghesani) im weißen Anzug mit grünen Handschuhen, die ihn als Wesen des Feenreichs kennzeichnen, gibt eine Art Entertainer, Gattin Titania mit gemäßigt folkloristischem Kostüm erscheint als exotische Schönheit. Die vier Elfen (Julianne Cederstam, Alice Franchini, Jessica Gillo und Eleonora Viliani) übernehmen auch die Rollen der Handwerker, mit Ausnahme des alsbald in den Esel verwandelten Zettel (großartig: Duncan Anderson). Die irrenden Liebespaare Demetrius (Peter Allen), Helena (Polina Petkova), Lysander (Stefano Vangelista) und Hermia (Amelia Seth) sind sehr heutige Menschen. Ein Sommernachtstraum: Zettel (Mitte) und die Handwerker
Sicher könnte North die Konflikte stärker pointieren: Den Streit zwischen Titania und Oberon, die Gefühlsverirrungen zwischen Hermia, Demetrius, Helena und Lysander. Die mit großer Leichtigkeit erzählte Geschichte bleibt dadurch ein wenig harmlos. Die Niederrheinischen Sinfoniker begleiten unter der Leitung von Kapellmeister Sebastian Engel ganz solide, mitunter zu direkt (insbesondere die Holzbläser müssten subtiler spielen, um Mendelssohns geheimnisvolle Atmosphäre aufleuchten zu lassen). Betörend schön singen der Frauenchor (Einstudierung: Maria Benyumova) und die Solistinnen Chelsea Kolic und Susanne Seefing. Der kurze letzte Satz von Jean Sibelius' Suite für Violine und Streichorchester aus dem Jahr 1929 knüpft mit einem aberwitzigen Parforceritt der Solovioline über Pizzicato-Akkorden des Orchesters durchaus an Mendelssohns Feenwelt an (Solist Philipp Wenger schlägt sich achtbar). Die kurz zuvor im Auftrag des königlichen Opernhauses Kopenhagen komponierte Bühnenmusik zu Shakespeares Sturm dagegen ist meist düsterer, zerklüftet und durch die pointierte Behandlung des Schlagwerks auch "moderner". Das Unwetter tobt darin recht eindrucksvoll, und hier gelingt es Orchester und Dirigent sehr gut, die Klangwelt mit ihren ganz eigenen Farben zum Klingen zu bringen. Mit Shakespeares Drama hat die Choreographie über die Grundkonstellation dann allerdings nur noch wenig zu tun. Der Sturm: Prospero und Miranda, rechts die Meereskönigin (Mutter Natur)
Ein Künstler - sei es Shakespeare, sei es Sibelius - sitzt am Schreibtisch und lässt in Gedanken die sturmumtoste Insel erstehen und wird zu deren zaubermächtigem Herrscher Prospero (Marco A. Carlucci). Als weibliche Gegenspielerin erfindet North eine Meereskönigin (Yoko Takahashi), die auf dem Besetzungszettel zusätzlich als "Mutter Natur" bezeichnet wird, und das streift natürlich kräftig den Kitsch. Drei junge Tänzerinnen verkörpern als "Naturwesen" das allgegenwärtige Meer, und wogende Bewegungen kennzeichnen dieses rund halbstündige Ballett. Aber die Beziehung zwischen Mensch und Natur bleibt allzu unscharf. Carlucci und Harada tanzen gefällig, aber spannungsarm - da fehlt der Konflikt, der das Stück antreiben könnte. Ariel (Franceso Rovea in weiß) und Caliban (Takashi Kondo in braun) bleiben als geisterhafte Naturwesen funktionslos. Ein Coup, wie North unter Prosperos Mantel den smarten Ferdinand (Illya Gorobets) hervorzaubert, aber eine tragfähige Liebesbeziehung zu Prosperos Tochter Miranda (Flávia Harada) müsste tänzerisch viel deutlicher ausformuliert werden. Es ist nett anzusehen, was auf der Bühne passiert, aber es gewinnt allzu wenig Gewicht. "Wir sind der Stoff, aus dem Träume macht werden": Für Prosperos große Worte findet North keine adäquate Entsprechung.
Der gefällige Sturm bleibt choreographisch ein recht laues Lüftchen, den Sommernachtstraum erzählt Robert North mit Witz und leichter Hand als romantisch geprägte, aber zeitlose Geschichte. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Choreographien
Choreographieassistenz
Bühne
Kostüme Der Sturm
Kostüme Ein Sommernachtstraum
Dramaturgie
SolistenDer Sturm
Der Künstler / Prospero
Miranda
Ariel
Caliban
Ferdinand
Meereskönigin / Mutter Natur
Meer / Naturwesen
Seemänner / Inselbewohner
Ein Sommernachtstraum
Oberon
Titania
Puck
Zettel
Demetrius
Helena
Lysander
Hermia
Elfen / Handwerker
Sopransolo (1. Elfe)
Mezzosopransolo (2. Elfe)
|
© 2022 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de