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Mehr kollektive als individuelle Sinnsuche
Von Stefan Schmöe
Da liegt es, das Schiff aus dem Titel dieses Stücks, aufgelaufen auf Klippen am Rande einer Wüste, oder vielleicht doch eher auf Grund gelaufen in einem Meer, das längst ausgetrocknet ist. Ein sinnfälliges Symbol des Scheiterns; so unmittelbar konkret deutbar ist Bühnenbildner Peter Pabst wohl in keinem anderen Werk Pina Bauschs geworden. Wobei - so ganz eindeutig ist die Angelegenheit auch wieder nicht, das Schiff scheint ja noch ganz gut in Schuss (im Programmheft wird erzählt, dass es nach der Uraufführungsserie 1993 tatsächlich Kaufangebote gegeben haben soll im Glauben, das Gefährt sei seetüchtig). Das Schiff an sich kann ja auch eine Metapher für einen Aufbruch sein. Und Pina Bausch hatte zehn Jahre zuvor ganz eigene Erfahrungen mit einem Schiff gemacht - als sie in Frederico Fellinis Spielfilm E la nave va (Fellinis Schiff der Träume) vor der Kamera stand. Alexandre López Guerra und Emma Barrowman,im Hintergrund Tsai-Chin Yu und das Schiff (Foto © Klaus Dilger)Hier bleibt das Schiff im Hintergrund, und das Personal muss sich im Sand der Wüste behaupten. Emma Barrowman spielt am Bühnenrand auf dem Akkordeon eine langsame Akkordfolge, und das bestimmt den Rhythmus des ersten Teils, der sehr ruhig daherkommt. Getragene Arien von Georg Friedrich Händel und Christoph Willibald Gluck, mittelalterliche Musik (Walter von der Vogelweide) geben die Stimmung vor, wobei die Choreographie allzu schnell und etwas unvorbereitet in diesen getragenen, melancholischen Tonfall verfällt. Lange ruhige Passagen gibt es auch in anderen Stücken Pina Bauschs, allerdings eher als Reaktion auf dynamische Szenen; hier gerät der Abend fast sofort in den Ruhemodus, der sich sehr viel Zeit nimmt - das allerdings in oft großartiger Form. Schöne, sehr differenziert ausgestaltete Soli im Sand wechseln mit kurzen Spielszenen. Michael Strecker trägt Ditta Miranda Jasjfi wie einen Koffer herum, durchaus mit großer Zärtlichkeit - das Bild zieht sich geradezu leitmotivisch durch den Abend. Alexander López Guerra steckt den Kopf in einen Wassereimer, bis ihm beinahe die Luft ausgeht. Es sind surreale Momente, die meist von Verletzlichkeit und Gefährdung erzählen. Alexander López Guerra, hinten Nayoung Kim (Foto © Klaus Dilger)
Irgendwann gibt es auch eines dieser typischen Bausch-Ensembles über die Diagonale, mit erhobenen Armen im Trippelschritt, das ruhig ein wenig länger dauern dürfte (leider hat die Choreographin diese Ensembleszenen in den 1990er-Jahren mehr und mehr aufgegeben, dabei wären sie als Scharnierstellen zwischen den Soli so wichtig). Später gibt es noch eine kurze Versammlung auf dem Schiff, und der erste Teil endet dann mit einer tatsächlich ausgedehnten Ensembleszene, bei der Männer und Frauen in getrennten, sich mitunter durchkreuzenden Linien an den Händen gefasst und singend (die Männer beherzter als die Frauen) tanzen. Letztendlich sind es diese Momente, auch manche faszinierenden Soli, die haften bleiben, die stärker nachwirken als die etwas vordergründige Symbolik. Milan Nowoitnick Kampfer, Taylor Drury (Foto © Laszlo Szito)Im zweiten Teil wechselt die Stimmung, die Musik (verantwortlich ist Matthias Burkert; die einzelnen Stücke werden nirgendwo genannt; neben mittelalterlicher Musik hört man Volksmusik unterschiedlicher Kulturen) wird sehr viel sperriger, die Aktionen absurder. Kurze Spielszenen gewinnen an Gewicht. Ophelia Young wickelt ihre Beine in Frischhaltefolie ein und probiert damit vorsichtig ein paar Ballettschritte. Dann berichtet sie von den Küssen ihres Vaters, die sie mit ambivalenten Erinnerungen verbindet, und für ein paar Minuten wird das Küssen zum Hauptthema, verschwindet dann aber unversehens wieder. Später fallen Seile, die wie Lianen aussehen, vom Bühnenhimmel, an denen sich die Tänzer hin und her schwingen. Das ist im Kontext der Bausch-Werke auf ganz achtbarem, aber nicht auf dem höchsten Niveau; die Arbeitsweise der 1980er-Jahre, die sich in der collagenhaften Montage der Szenen zeigt, wirkt bereits eine Spur ausgelaugt - ein Stilwechsel hin zu einer stärkeren Gewichtung zum Tanz wird deutlich. Durch eine verknappte Reprise des ersten Teils bekommt das Stück eine recht geschlossene Form, die der Choreographin dann vielleicht doch allzu konventionell und damit unheimlich erschien - jedenfalls sind in den Schlussapplaus hinein noch zwei kleine Monologe montiert, die allerdings ein wenig übermotiviert erscheinen. Ophelia Young (Foto © Laszlo Szito)
Die Neueinstudierung, die bereits 2020 erfolgte (mehr als eine gestreamte Version war dann wegen der Corona-Pandemie nicht möglich), wurde erstmals externen Künstlerinnen (und nicht Ensemblemitgliedern der Uraufführung) übergeben. Die israelische Choreographin Saar Magal hat gemeinsam mit Niv Marinberg den Tanzabend anhand von alten Videomitschnitten rekonstruiert und, soweit sich das nachvollziehen lässt, unter Beibehaltung der Form den Tänzerinnen und Tänzern gewisse Freiräume überlassen. Das Ergebnis überzeugt vor allem da, wo der Tanz im Zentrum steht. Mit den (wenigen) Sprechszenen fremdeln viele Darsteller, sprechen allzu undeutlich und letztendlich unmotiviert - gut kommt die schon genannte Ophelia Young damit klar, die von 2014 bis 2021 festes Mitglied in der Compagnie war und über erhebliche Erfahrung aus unterschiedlichsten Bausch-Stücken verfügt. Aber man hat insgesamt den Eindruck, dass die Persönlichkeiten der Tänzerinnen und Tänzer oft hinter den Rollen, die sie hier verkörpern, zurückstehen - erstaunlich, wie blass eine in anderen Stücken sehr viel profilierter auftretende Tänzerin wie Emma Barrowman hier bleibt oder auch ein an sich starker Charakter wie Julian Stierle eher unauffällig agiert. Dabei war gerade die vermeintliche Untrennbarkeit von Rolle und Darsteller ein Markenzeichen der meisten Bausch-Abende. Hier scheint sich ein junges Ensemble noch heranzutasten an eine bildgewaltige, aber eben auch mit Individualität zu füllende Choreographie. Eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage, wie es mit dem Erbe Pina Bauschs weitergehen könnte, ist diese Form der Neueinstudierung (bei der man sicher die Einschränkungen durch die Pandemie mitbedenken muss) noch nicht.
Das Stück mit dem Schiff kann 29 Jahre nach der Uraufführung vor allem im ersten Teil mit starken Szenen beeindrucken. Gleichwohl verliert diese Neueinstudierung zu viel von der Individualität der Tänzer*innen und damit ein wichtiges Merkmal der Tanzabende Pina Bauschs. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Inszenierung und Choreographie
Neueinstudierung
Bühne
Kostüme
Musikauswahl und musikalische Leitung
Probenleitung
Drehleier Tänzerinnen und TänzerEmma BarrowmanDean Biosca Naomi Brito Maria Giovanna Delle Donne Taylor Drury Cağdaş Ermiş Jonathan Fredrickson Ditta Miranda Jasjfi Milan Nowoitnick Kampfer Nayoung Kimo Yosuke Kusano Milan Nowoitnick Kampfer Blanca Noguerol Ramirez Kyoko Oku Ekaterina Shushakova Oleg Stepanov Julian Stierle Michael Strecker Christopher Tandy Tsai-Wei Tien Ophelia Young Tsai-Chin Yu
Drehleier
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