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Die Queen wird es schon richten
Nachdem die über die Ufer getretene Wupper im Juli 2021 so große Schäden am
Opernhaus verursacht hatte, dass man zu Beginn der neuen Spielzeit auf andere
Spielstätten ausweichen musste, gab es im Dezember "Entwarnung": Das Opernhaus
ist wieder bespielbar, mit einigen Einschränkungen zwar, da die Unterbühne immer
noch nicht wieder voll einsatzfähig ist. Aber mit gut zweijähriger Verspätung
konnte nun endlich an der Wupper die komische Operette Die Piraten von
dem englischen Erfolgs-Duo Gilbert & Sullivan als Übernahme der Musikalischen
Komödie in Leipzig über die Bühne gehen. Hinter Gilbert & Sullivan verbergen
sich der Schriftsteller und Librettist William Schwenck Gilbert und der
Komponist Arthur Sullivan, die es, inspiriert von der französischen "Opéra
bouffe" Jacques Offenbachs, schafften, in England eine nationale
Musiktheatertradition zu etablieren, die sich mit ihrem großartigen Sprachwitz
und den irrwitzigen Geschichten zu Vorläufern des absurden Theaters entwickelten. Dass ihre Werke im deutschsprachigen Raum relativ selten auf den
Spielplänen stehen, hängt zum einen mit der Auswahl der Themen, die stereotype
britische Verhaltensweisen parodieren, und zum anderen mit dem englischen
Sprachwitz zusammen, der sich vor allem in den Patter Songs schwer übersetzen
lässt und auch in Form von Übertiteln die Komik aufgrund des Umfangs kaum
vermitteln kann. Inge Greiffenhagen und Bettina von Leoprechting ist es jedoch
bei den Piraten gelungen, den britischen Humor in eine treffliche deutsche Übersetzung zu
übertragen.
Der Piratenkönig (Sebastian Campione, links)
will, dass Frederic (Sangmin Jeon, rechts) bei den Piraten bleibt.
Nur die Ausgangssituation lässt sich nicht ganz glücklich ins Deutsche
übertragen. Das etwas schwerhörige Kindermädchen Ruth hat den jungen Frederic,
weil sie die Ausbildungsstätte falsch verstanden hatte, zur Lehre bei den
Piraten statt bei den Privaten gegeben. Im englischen Original sollte es eine
Ausbildung zum "pilot" (Schiffslotse) statt "pirate" sein. Da Frederic aber als
Sklave der Pflicht alle Verträge einhalten will und kein Versprechen gebrochen
werden darf, absolviert er bis zu seinem 21. Geburtstag bei den Piraten seine
Lehre, um anschließend ein ehrbares Leben zu beginnen. Am Strand trifft er auf
den Major-General Stanley mit dessen Töchtern und Mündeln und verliebt sich
sofort in Mabel. Doch auch die Piraten finden Gefallen an den jungen Mädchen und
wollen sie rauben. Stanley kann sich und seine Töchter nur mit der Notlüge
retten, dass er eine Waise sei, da er weiß, dass die Piraten aus Mitleid keine
Waisen angreifen. Doch er fühlt sich nicht wohl dabei, da es gegen sein
Pflichtgefühl ist, selbst Piraten gegenüber die Unwahrheit zu sagen. Als der
Piratenkönig Frederic mitteilt, dass seine Lehre noch gar nicht zu Ende sei, da
er am 29. Februar geboren sei und damit erst in 63 Jahren seinen 21. Geburtstag
feiern könne, kehrt Frederic aus Pflichtgefühl zu den Piraten zurück und plant
mit ihnen, den Major-General für dessen Lüge zu bestrafen. Die mittlerweile
eingetroffene Polizei kann von den Piraten leicht überwältigt werden und einer
Bestrafung des Major-Generals steht nichts mehr im Wege, bis der Polizeisergeant
an das Pflichtgefühl der Piraten appelliert und fordert, als treue Monarchisten
die Beute der Queen auszuhändigen. In diesem Dilemma können die Piraten
überwältigt werden, doch da schreitet Ruth ein. Sie erklärt, dass die Piraten fehlgeleitete Männer von edler Herkunft seien. Daher verbiete es das
Pflichtgefühl des Major-Generals, die Piraten zu bestrafen. Stattdessen werden
seine Töchter und Mündel mit diesen "vornehmen" Herren vermählt.
Die Queen (Joslyn Rechter) rettet die Lage (vorne
rechts: Major-General Stanley (Simon Stricker), hinten links: Herrenchor als
Piraten).
Das Regie-Team um Cusch Jung, der vielen Wuppertalern noch durch seine
Inszenierung von My Fair Lady vor vier Jahren in bester Erinnerung sein
dürfte (siehe auch unsere
Rezension), fügt als besonderen Gag Queen Elisabeth
II. als zusätzliche Figur ein. Sie ist es, die den Piraten letztendlich den Ritterschlag erteilt und
sie zu edlen Herren macht, die für die Töchter des Major-Generals eine
angemessene Partie darstellen. Joslyn Rechter begeistert dabei nicht nur optisch
in ihrem zartrosa-farbenen Kostüm als Queen mit charakteristischem Hut, sondern
arbeitet auch in feinstem Oxford-Englisch die königliche Noblesse heraus. Dass
sie und nicht ihre Ur-Ur-Großmutter Queen Victoria, von der im eigentlichen
Stück die Rede ist, auftritt, erklärt sie lapidar mit dem Satz, dass Victoria
leider schon tot sei. Im Foyer des Opernhauses steht sie als lebensgroße
Pappfigur für Selfies mit den Zuschauer*innen bereit. Wer es weniger adlig mag,
kann sich auch eine Etage tiefer mit einer lebensgroßen Figur des Piratenkönigs
fotografieren. Sebastian Campione, der in der Inszenierung von Holger Seitz am
Gärtnerplatztheater in München vor über zehn Jahren noch als Hauptmann Samuel
auf der Bühne stand, gibt mit seinem langen Bart und strengen Blick einen
Ehrfurcht einflößenden Piratenkönig, der mit seiner Schusseligkeit und großen
Komik aber schnell an Autorität einbüßt.
Der Major-General Stanley (Simon Stricker, links)
verhandelt mit dem Piratenkönig (Sebastian Campione, rechts).
Beate Zoff hat eine kreisrunde angeschrägte Drehscheibe als Bühnenbild
konzipiert, die aufgrund der Schäden an der Unterbühne in Wuppertal manuell
gedreht werden muss. Bedenkt man, dass teilweise während des Drehens ein
Großteil der Akteure auf der Scheibe steht, dürfte das schon ein enormer
Kraftakt sein. Die Drehscheibe zeigt die Ziffern einer Uhr, die aber nicht in
der richtigen Reihenfolge angeordnet sind. So spielt ja auch das Stück mit der
Zeit, da Frederic nach 21 Jahren erst seinen fünften Geburtstag gefeiert
haben soll, weil er am 29. Februar geboren wurde. Im ersten Akt stellt die
Drehscheibe erst das Piratenschiff und später den Strand dar, an dem Frederic
auf Mabel und ihre Schwestern trifft. Im zweiten Akt deuten einige Grabsteine
die Familiengruft an, bei der der Major-General Vergebung für seine Lüge sucht.
Die Kostüme, für die ebenfalls Zoff verantwortlich zeichnet, sind der Zeit
angepasst, in der das Stück spielen soll, so dass die Komik ganz auf das
Libretto und die Musik vertraut. Und dieses Konzept geht dank der großen
Spielfreude des Ensembles auf. Da ist zunächst Ruths Erzählung zu erwähnen, in
der sie berichtet, wie Frederic einst zu den Piraten gekommen ist. Joslyn
Rechter begeistert bei dieser Geschichte mit dunklem Mezzosopran und großartigem
Spiel. Auch wenn sie sich später dem jungen Frederic als potenzielle Braut
präsentiert, setzt Rechter diese Szene mit großer Selbstironie um. Ein weiterer
Höhepunkt im ersten Akt ist die Auftrittsarie des Major-Generals, in der sich Simon
Stricker in einem Patter Song mit großartiger Textverständlichkeit und schnellen
Läufen vorstellt und mit seinen großen Kenntnissen prahlt. Sehr gelungen kann
auch das Wortspiel mit den Wörtern "Waise" und "Weise" betrachtet werden.
Frederic (Sangmin Jeon) erklärt Mabel (Ralitsa
Ralinova), dass er noch bei den Piraten bleiben muss.
Sangmin Jeon stellt nach den zahlreichen tragischen Figuren wie Alfredo Germont,
Rodolfo und Werther unter Beweis, dass er als Frederic auch das komische Fach
beherrscht und punktet mit humorvollem Spiel, wenn er pflichtbewusst sowohl
seinen Aufgaben als Piratenlehrling nachkommt, als auch genauso nach dem
vermeintlichen Ende seiner Lehre die Piraten mit allen ihm zur Verfügung
stehenden Mitteln bekämpfen will, dann aber sofort wieder die Seiten wechselt,
nachdem man ihn überzeugt hat, dass er seinen Vertrag noch nicht vollständig
erfüllt hat. Die Partie gestaltet Jeon mit gewohnt tenoralem Schmelz in den
Höhen und großer Leidenschaft. Ralitsa Ralinova mimt als Mabel einen wunderbar
naiven Backfisch und glänzt mit strahlendem Sopran. Oleh Lebedyev lässt mit
kraftvollem Bariton als Hauptmann Samuel aufhorchen. Yisae Choi sorgt als nicht
ganz ernstzunehmender Polizeisergeant mit witzigen Tanzeinlagen gemeinsam mit
dem Extraballett der Wuppertaler Bühnen für komische Momente. Iris Marie Sojer
und Rosha Fitzhowle runden als Edith und Kate das Solisten-Ensemble mit großem
Spielwitz ab. Auch der Opernchor der Wuppertaler Bühnen zeigt sich
überglücklich, dass wieder im Opernhaus gespielt werden kann, und punktet mit
großer Spielfreude. Die Herren des Opernchors markieren eine stimmgewaltige
Piratenbande, und die Damen des Opernchores amüsieren als leicht hysterische
Mündel des Major-Generals. Johannes Witt arbeitet mit dem Sinfonieorchester
Wuppertal die musikalische Leichtigkeit der Vorlage mit einem flotten,
spritzigen Sound, wunderbar heraus, so dass es großen und verdienten Beifall für
alle Beteiligten gibt.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild und Kostüme Choreographie Choreinstudierung Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor der Wuppertaler Bühnen Extraballett der Wuppertaler Bühnen BesetzungPiratenkönig Samuel Frederic Major-General Stanley Polizeisergeant Mabel Ruth / Queen Elisabeth II. Edith Kate
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- Fine -