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Verdi nach dem
Stream nun live
Das Opernhaus in Wuppertal ist wegen des Hochwasserschadens immer noch nicht
bespielbar. Nachdem man die ursprüngliche Eröffnungspremiere Giulio Cesare in
Egitto als "Konzertinstallation in den Werkstätten der Wuppertaler Bühnen
präsentiert hat und für Sciarrinos Il canto s'attrista, perché? in das
Erholungshaus Leverkusen ausgewichen ist, hat man sich überlegt, die Zeit bis
Januar 2022, wenn hoffentlich mit der Operette Die Piraten von Gilbert &
Sullivan wieder im Opernhaus gespielt werden kann, mit einer konzertanten
Aufführung von Verdis wohl erfolgreichsten Oper der Musikgeschichte in der
Stadthalle zu überbrücken: La traviata. Die Oper zählt mit Rigoletto
und Il trovatore zur sogenannten "Trilogia popolare", die Verdis Weltruhm
begründet hat, und wurde 2010 vom Deutschen Fernsehen zur "beliebtesten
Oper aller Zeiten" gekürt. Dabei kann man sich kaum vorstellen, dass die
Uraufführung am 6. März 1853 im Teatro La Fenice zunächst ein Reinfall war. Aber
die Handlung und Verdis Musik passten nicht zu der barocken Ausstattung, in die
die erste Inszenierung gezwängt wurde, was ein Grund für die Ablehnung im
Publikum gewesen sein mag. Als Verdi im Mai 1854 im Teatro San Benedetto das
Stück auch optisch in die Gegenwart verlagern konnte, verbuchte das Stück den
triumphalen Erfolg, der bis heute anhält und die Partie der Kurtisane Violetta
Valéry zur Paraderolle für zahlreiche Sopranistinnen von Rosa Ponselle über
Maria Callas bis hin zu Anna Netrebko gemacht hat.
Mit diesem Stück hat sich Julia Jones Ende der letzten Spielzeit als
Generalmusikdirektorin von den Wuppertaler Bühnen verabschiedet. Da eine
Aufführung vor Publikum aufgrund der Corona-Pandemie im Sommer noch nicht
möglich war, hatte man die Produktion aufgezeichnet und ab 4. Juli 2021 als
Online-Stream ins Internet gestellt. Weil die drei Hauptpartien allesamt
hochkarätig mit Ensemble-Mitgliedern besetzt werden konnten, schien es absolut
vernünftig, unter den momentanen Bedingungen, diese konzertante Darbietung nun
in der Stadthalle vor Publikum zu präsentieren. Um das musikalische Erlebnis zu
erweitern, bietet man für diese Aufführung den digitalen Opernführer "Share Your
Opera" an, bei dem man über die kostenlose App "Opera Guru" während der
Aufführung "Social Media Posts" von Violetta und den anderen Figuren lesen kann.
Ob diese Art der Modernisierung erforderlich oder erstrebenswert ist, ist
sicherlich Geschmacksache. Wer sich nicht dafür erwärmen kann, kann die
Aufführung jedenfalls auch ganz klassisch verfolgen und genießen.
Ralitsa Ralinova als Violetta Valéry (im
Hintergrund Demian Matushevskyi als Marchese d'Obigny)
Im Gegensatz zum Stream sitzt das Sinfonieorchester auf der Bühne. Die ersten
Reihen im Parkett sind immer noch ausgebaut, da der Opernchor vor der Bühne und
dem Orchester positioniert ist. Die Solistinnen und Solisten treten ohne
Textbuch vor dem Orchester auf der Bühne auf und verleihen der Aufführung auch
ohne Bühnenbild oder wechselnde Kostüme einen szenischen Anstrich, allen voran
Ralitsa Ralinova in der Titelpartie, die die Rolle der Violetta regelrecht zu
durchleben scheint. So strahlt sie beim Fest im ersten Akt pure Lebensfreude
aus, wenn sie auf Alfredo trifft, und stimmt voller Kraft in das berühmte
Trinklied ein. Doch die ersten Anzeichen von Violettas Krankheit lassen sich
nicht verbergen, und Ralinova spielt diese Schwankungen großartig aus. Mit
großer Dramatik gestaltet sie ihre große Arie "È strano" im ersten Akt, in der
sie sich über ihre Gefühle für Alfredo bewusst wird. Mit glasklaren Koloraturen
und sauber ausgesungenen Höhen punktet sie in der folgenden Cabaletta "Sempre
libera degg'io". Auch im zweiten Akt lässt sie das Publikum ein Wechselbad der
Gefühle durchleben. Das glückliche Leben auf dem Land wird von Alfredos Vater
Germont gestört, der Violetta schließlich überzeugen kann, aus Rücksicht auf
Alfredos Familie auf das eigene Glück zu verzichten. Großes Mitleid empfindet
man mit ihr auf dem Ball, wenn sie von Alfredo vor der Gesellschaft gedemütigt
wird. Bewegend gestaltet Ralinova auch den dritten Akt, in dem der todkranken
Violetta klar wird, dass sie nur noch wenige Stunden zu leben hat. Die große
Abschiedsarie "Addio, del passato" geht in Ralinovas Interpretation unter die
Haut. In den gesprochenen Passagen präsentiert sie sich absolut fragil.
Paraderolle für Sangmin Jeon: Alfredo Germont
Sangmin Jeon kann als Idealbesetzung für die Partie des Alfredo bezeichnet
werden. Schon in seiner ersten großen Arie im ersten Akt, "Un di, felice, eterea",
wenn er Violetta auf der Feier seine Liebe gesteht, versprüht er tenoralen Glanz
mit exakt angesetzten Spitzentönen. In der Mittellage verfügt er über eine
weiche und geschmeidige Stimmführung. Das berühmte Trinklied "Libiamo" stimmt er
mit strahlenden Höhen an, wobei auch der Wuppertaler Opernchor dabei kräftig
auftrumpft. Sehr lyrisch legt er seine Arie "De' miei bollenti spiriti" im
zweiten Akt an, in der er sein Glück mit Violetta besingt. Doch dieses Glück ist
nicht von Dauer. Als er erkennt, dass Violetta ihr ganzes Geld für dieses
sorgenfreie Leben auf dem Land verbraucht, will er nicht länger tatenlos
zusehen. Dass Violetta ihn bei seiner Rückkehr verlassen hat und scheinbar in
die Arme des Barons zurückgekehrt ist, nimmt er mit großer tenoraler Eifersucht
auf und macht ihr beim Ball auch darstellerisch eine Szene, die das Publikum im
Sitz zusammenzucken lässt. Die Versöhnung kurz vor Schluss mit Violetta ist
leider nur von kurzer Dauer, da sie in seinen Armen stirbt.
Iris Marie Sojer als Flora Bervoix und Daegyun
Jeong als Barone Douphol
Simon Stricker lässt als Alfredos Vater Giorgio Germont ebenfalls keine Wünsche
offen. Mit profundem Bariton und einer gewissen Härte unterstreicht er den
patriarchalischen Charakter der Figur und macht Violetta unmissverständlich
klar, dass sie nicht für seinen Sohn bestimmt ist. Zwar erkennt er die
aufrichtigen Gefühle der jungen Frau, überzeugt sie aber dennoch, auf Alfredo zu
verzichten. Darstellerisch bewegend spielt er aus, wie Violettas
Leidensfähigkeit die Vorsätze des alten Germont ins Wanken bringen.
Eindrucksvoll finden Strickers Bariton und Ralinovas weich angesetzter Sopran im
Duett der beiden zueinander. Mit großer Mühe versucht er anschließend, seinen
Sohn davon zu überzeugen, dass eine Trennung von Violetta die einzige Lösung für
ihn ist. Dabei gelingt Stricker auch die große Arie "Di provenza il mare, il
suol" überzeugend. In den kleineren Partien überzeugen Iris Marie Sojer als
Violettas Freundin Flora Bervoix mit verführerischem Mezzosopran und Ján Rusko
als Gastone mit kräftigem Tenor. Auch Mitglieder des Opernstudios NRW sind bei
dieser Aufführung beteiligt. Daegyun Jeong gestaltet den Barone Douphol mit
dunkel gefärbtem Bass, und Demian Matushevskyi punktet als Marchese d'Obigny mit
kräftigem Bariton. Heejin Kim verfügt als Annina über eine dunkel gefärbte
Mittellage. Johannes Witt führt das Sinfonieorchester Wuppertal mit leichter
Hand von einem musikalischen Ohrwurm zum nächsten, und der Opernchor punktet
durch eine stimmgewaltige und saubere Diktion, so dass es am Ende zu Recht
großen Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Chor Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor der Wuppertaler Bühnen BesetzungVioletta Valéry Flora Bervoix Annina Alfredo Germont Giorgio Germont Gastone Barone Douphol Marchese d'Obigny Dottore Grenvil Giuseppe Diener / Kommissionär
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- Fine -