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Wartburg in der Kölner Keupstraße
Richard Wagners Tannhäuser ist nicht nur das Werk des großen deutschen
Komponisten, das er am häufigsten revidiert und mit einschneidenden
Veränderungen versehen hat. So hat er zum Beispiel für die Pariser Fassung von
1861 ganze Passagen des 1845 in Dresden uraufgeführten Werkes neu
komponiert und ein für die Grand Opéra obligatorisches Ballett, das sogenannte
Bacchanal im Venusberg, eingefügt. Doch auch diese Fassung, die in Paris zu
einem Theaterskandal führte, wurde von Wagner weiterverarbeitet, und kurz vor
seinem Tod soll er seiner Gattin Cosima gegenüber geäußert haben, der Welt noch
einen "festspieltauglichen" Tannhäuser schuldig zu sein. Auch für die Oper
Wuppertal hat diese große romantische Oper eine besondere Bedeutung, wurde doch
die 1905 eröffnete Spielstätte in Barmen damit eröffnet. In diesem Sinne mag es
dem Intendanten der Wuppertaler Oper Berthold Schneider ein besonderes Anliegen
gewesen sein, dieses Werk gegen alle Widrigkeiten an der Oper zur Premiere zu
bringen. Und dabei erschwerte nicht nur die immer noch andauernde
Corona-Pandemie das Vorhaben. Die im Juli 2021 über die Ufer getretene Wupper
verursachte so große Schäden am Opernhaus, dass man zu Beginn der Spielzeit
nicht wusste, ob und wann das Haus wieder bespielbar ist. Als dann klar war,
dass die für März angesetzte Premiere stattfinden konnte, startete man
zuversichtlich in den Probenprozess, zumal die ab Anfang März gültigen
Lockerungen für den Spielbetrieb ermöglichten, auch den für die Oper
erforderlichen umfangreichen Chor und Extrachor auf die Bühne zu stellen. Doch
die Corona-Pandemie ist leider noch nicht vorbei, und so führten zahlreiche
Erkrankungen im Ensemble dazu, dass der ursprüngliche Premierentermin am 6. März
2022 und auch der zweite Premierentermin am 11. März 2022 abgesagt werden
mussten. Aber wie heißt es so schön: Aller guten Dinge sind drei, und so konnte
die Premiere schließlich im dritten Anlauf am 27. März 2022 im ausverkauften
Haus über die Bühne gehen und wurde vom Publikum mit großem Jubel gefeiert.
Multi-Kulti-Sängerwettstreit in der Keupstraße
(Wolfram (Simon Stricker) mit dem Chor und der Statisterie) (© Bettina Stöß)
Dies dürfte nicht zuletzt einer guten Besetzung zu verdanken sein, die auch
einen überregionalen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Am Pult des
Sinfonieorchesters gibt der neue Generalmusikdirektor Patrick Hahn seinen
Einstand. Dass das Vorspiel noch ein wenig steif klingt, mag einer gewissen
Premierennervosität geschuldet sein. Im weiteren Verlauf findet Hahn mit dem
Orchester subtile Zwischentöne und arbeitet die unterschiedlichen Stimmungen in den
einzelnen Akten differenziert heraus. Zu Recht wird er dafür vom
Publikum mit großem Beifall gefeiert. Ob man der Deutung des Regie-Teams um Nuran David Calis folgen möchte, ist Geschmacksache. Für seine
Auseinandersetzung mit Wagners Oper hat wohl seine Arbeit am Schauspiel Köln,
Die Lücke - Ein Stück Keupstraße, Pate gestanden, die er anlässlich des 10.
Jahrestages des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße zusammen mit
Anwohner*innen und Betroffenen entwickelte. So befindet sich die Wartburg in
seiner Inszenierung eben in dieser Straße, und der Sängerwettstreit findet als
großes Straßenkulturfest unter dem Titel "Birlikte #Zusammenstehen" statt. Mit
diesem Fest wurden anlässlich des 10. Jahrestages des Attentats künstlerische
und musikalische Zeichen gegen den Anschlag, Rassismus und rechtsextremistische
Gesinnung gesetzt. Ob diese multikulturelle Gesellschaft wirklich von den
Sängern auf Wartburg repräsentiert werden kann, ist fraglich. Da wirkt es
nämlich schon recht unglaubwürdig, dass Tannhäuser wegen seiner progressiven
Ansichten zur freien Liebe derart ausgegrenzt wird und einen Eklat auslöst.
Vielleicht will Calis damit aber auch den scheinbaren "Gutmenschen" den Spiegel
vorhalten und zeigen, dass sie keineswegs so tolerant sind, wie sie sich immer
geben. Dass der Weg der Buße in dieser Lesart allerdings nach Rom führt, lässt
sich kaum rechtfertigen.
Tannhäuser (Norbert Ernst) und Venus (Allison
Cook) (© Bettina Stöß)
Unklar bleibt auch, wo denn eigentlich der Venusberg sein soll. Anne Ehrlich,
die für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, deutet ihn als ein Bordell im
Rotlichtmilieu. Handelt es sich hierbei um die "dunkle Seite" der Keupstraße?
"Il Paradiso", was in großen leuchtenden Lettern an einem Schaufenster in diesem
Etablissement prangt, entpuppt sich später im zweiten Akt jedenfalls als ein
Laden für Brautmoden. In diesem Venusberg treten alle mit Masken auf. Hier merkt
man beim Bacchanal, dass - wie Schneider vor der Vorstellung ansagt - bei den
Proben nie alle zusammen anwesend gewesen sind. Die Massen bewegen sich sehr
hölzern und erinnern mit ihren Schrittfolgen eher an einen traditionellen
Eröffnungstanz beim Ball in einer Tanzschule. Vielleicht ist auch einfach zu
wenig Platz auf der Bühne, damit sich hier ein lustvolles oder orgiastisches
Treiben entfalten könnte. Alles wirkt nahezu bieder und brav, wie man es von der
Wartburg-Gesellschaft im zweiten Akt erwartet. Aber immerhin sind es ja auch die
Sänger des Wettstreits, die maskiert im Venusberg ihre Lust ausleben.
Einzig Tannhäuser zeigt hier sein wahres Gesicht und vergnügt sich mit Venus auf
einem Balkon, bevor er schließlich erkennt, dass er darin keine Erfüllung mehr
findet. Wenn die Sänger ihm dann am nächsten Morgen begegnen und die Maske auf
ihrem Hinterkopf noch verrät, dass sie selbst auch im Venusberg gewesen sind,
zeigt es, wie verlogen diese Gesellschaft ist.
Tannhäuser (Norbert Ernst, Mitte) und die Sänger
(von links: Walther von der Vogelweide (Sangmin Jeon), Wolfram von Eschenbach
(Simon Stricker), Hermann (Guido Jentjens), Reinmar von Zweter (Timothy Edlin),
Biterolf (Sebastian Campione) und Heinrich (Mark Bowman-Hester)) (© Bettina Stöß)
Drei große Bildschirme prangen über der Szene, die in Live-Projektionen von drei
Kameras unterschiedliche Perspektiven aufgreifen. Mal treten von den Seiten
Männer auf, die die Kameras justieren. Später sieht man im zweiten Akt auf den
Bildschirmen einen Dokumentarfilm über das Nagelbombenattentat mit einem
laufenden Spruchband, das vom Geschehen auf der Bühne ein wenig ablenkt. Im
dritten Akt sind dann die Läden in der Straße verbarrikadiert. Hier wartet
Elisabeth in einem weißen Hosenanzug, der mit den angedeuteten silbernen Flügeln
auf dem Rücken wohl einen Engel andeuten soll, auf Tannhäusers Rückkehr mit den
Pilgern und wählt, als er nicht im Herr der Pilger auftaucht, den Freitod. Ob
Tannhäuser überhaupt irgendwo anders gewesen ist, lässt die Inszenierung offen.
Wie aus dem Nichts taucht er schließlich als eine Art Penner unter einer Decke
vor dem verschlossenen "Il Paradiso" auf, dessen Lettern ebenfalls in
Mitleidenschaft gezogen worden sind. Ob es eine Erlösung am Ende für Tannhäuser
gibt, lässt Calis in seiner Inszenierung offen. Zwar entscheidet sich Tannhäuser
erneut gegen Venus, als Wolfram Elisabeths Namen ruft und man sie auf dem mittleren
Bildschirm wie einen Geist durch die Dunkelheit wandern sieht. Auch verkündet
der Chor vom Wunder, dass der Stab des Papstes zu grünen begonnen hat. Aber
Tannhäuser bleibt isoliert zurück. Elisabeth schreitet noch einmal über die
Bühne. Dann ist er aber endgültig allein.
Gemeinsam für den Frieden: Tannhäuser (Norbert
Ernst) und Elisabeth (Julie Adams) (© Jens Grossmann)
Sein Debüt in der Titelpartie gibt Norbert Ernst, den man in den letzten Jahren
vor allem als Loge im Rheingold, David in Die Meistersinger aus
Nürnberg und Erik im fliegenden Holländer erlebt hat. Ernst verfügt
über einen recht hellen Tenor, der die für die Partie erforderlichen
Kraftreserven besitzt. Bei der großen Romerzählung im dritten Akt weiß er
noch mit großer Dramatik zu glänzen. Im ersten Akt punktet er im Venusberg
mit sauber angesetzten Spitzentönen und gibt sich im zweiten Akt beim
Sängerwettstreit glaubhaft kämpferisch. Im Zusammenspiel mit Julie Adams als
Elisabeth zeigt er auch stimmlich eine sehr lyrische Komponente. Auch Adams gibt
als Elisabeth ein Rollendebüt. Während sie die Hallenarie noch mit starkem Vibrato anlegt und ein bisschen zu viel will, zeigt sie sich im weiteren Verlauf
sehr sicher und findet auch wunderbar leise Zwischentöne. Besonders bewegend
gelingt ihre Interpretation im dritten Akt. Allison Cook überzeugt als
Venus mit laszivem Spiel und dunkel gefärbten
Höhen. Ensemble-Mitglied Simon Stricker gibt ein umjubeltes Debüt als Wolfram
von Eschenbach. Mit großer Melancholie legt er die Figur an und begeistert beim
Lied an den Abendstern. Guido Jentjens punktet als Hermann mit sauberer Diktion.
Auch die übrigen kleineren Partien sind mit Sangmin Jeon (Walther von der
Vogelweide), Sebastian Campione (Biterolf) John Heuzenroeder als Gast für den
erkrankten Mark Bowman-Hester (Heinrich der Schreiber) und Timothy Edlin
(Reinmar von Zweter) gut besetzt. Aufhorchen lässt auch Sebastian Scherer von
der Chorakademie Dortmund als junger Hirt.
Der um den Extrachor erweiterte Opernchor der Wuppertaler Bühnen unter der
Leitung von Ulrich Zippelius überzeugt stimmlich, auch wenn er von Schneider als
"etwas ausgedünnt" angesagt wird. In den Jubel für die Solist*innen den Chor und
das Orchester mischen sich vereinzelte Unmutsbekundungen für das Regie-Team, die
jedoch im allgemeinen Jubel untergehen.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Video
Bühne
Kostüme Choreographie Choreinstudierung Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor der Wuppertaler Bühnen Extrachor der Wuppertaler Bühnen Statisterie der Wuppertaler Bühnen Besetzung*Premierenbesetzung Hermann, Landgraf von Thüringen Tannhäuser Wolfram von Eschenbach Walther von der Vogelweide Biterolf Heinrich der Schreiber Reinmar von Zweter Elisabeth, Nichte des Landgrafen Venus Ein junger Hirt Edelknaben
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- Fine -