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Lieblingsoperette
Von Stefan Schmöe /
Fotos von Thilo Beu
Es ist ein bitterböse vergiftetes Lob, das Wort von der "Lieblingsoperette". Natürlich hat Die lustige Witwe das Zeug dazu, gerade wenn sie so schwungvoll und unterhaltsam präsentiert wird wie an diesem Abend. Mit einem überzeugendenden Solistenensemble, angeführt von Johannes Mertes als prachtvoll singendem, souverän die Balance zwischen verlottertem Lebemann und liebeskrankem Aristokraten auslotendem Graf Danilo. Mit einem bestens aufgelegten Beethoven Orchester, das eben auch ganz ausgezeichnet Lehár spielen kann und das unter dem umsichtigen Dirigat von Kapellmeister Hermes Helfricht immer wieder die Nebenstimmen hervorhebt und hörbar macht, wie gut diese Musik auch jenseits der zündenden Melodien (die immer irgendwer im Publikum gerade mitsummt) komponiert ist. Mit einem ungemeinen spiel- und tanzfreudigen, bravourös singenden Chor (Einstudierung: Marco Medved). Das alles in einer herrlich überdreht die Geschichte erzählenden Inszenierung mit tollen Bühnenbildern zwischen Pariser Neobarock und Wiener Sezession (Nicola Reichert) und mit einer Prise Revue (Choreographie: Sabine Arthold).
Lieblingsoperette, das Wort lässt Njegus, Kanzlist an der pontevedrinischen Botschaft in Paris, hier und da ganz nebensächlich (und ganz harmlos) fallen. Christoph Wagner-Trenkwitz (der in Bonn schon als Gefängniswärter Frosch in der Fledermaus zu erleben war) wertet die Sprechrolle mit sanft vertrotteltem Wiener Charme zu einer Hauptpartie auf und führt wie ein Conférencier durch den Abend. Regisseur Aron Stiehl bricht, indem er diesen Njegus immer wieder aus der Handlung heraustreten lässt, die konventionelle Erzählstruktur auf. Da darf man auch schon mal seine Begeisterung für dieses Werk zeigen. Aber bekanntlich war Die lustige Witwe eben auch die Lieblingsoperette Adolf Hitlers. Und wenn im Stück vom "Vaterland" die Rede ist (und das geschieht oft, schließlich soll das Millionenerbe der Witwe Hanna Glawari durch geschickte Heiratsdiplomatie unter dem Zugriff der pontevedrinischen Finanzbehörden bleiben), dann schnellt den Volksangehörigen ganz automatisch der rechte Arm in der Höhe und kann, ein gut einstudierter Reflex, gerade noch rechtzeitig gebremst werden - die Geste hat Stiehl von Stanley Kubricks Dr. Seltsam geklaut. Die abgründige Rezeptionsgeschichte dieser wunderbaren Operette tanzt mit an diesem Abend.
Erste Begegnung nach einer gescheiterten Romanze: Graf Danilo und Hanna
Die Kunst der Regie besteht darin, keineswegs bedeutungsschwer den aufklärerischen Zeigefinger zu erheben, sondern diese rabenschwarze Pointe wie eine Marotte des operettenmäßig durchgeknallten Personals aussehen zu lassen. Man kann sich genüsslich im Parkettsessel zurücklehnen und eine beinahe klassische Inszenierung genießen, wenn man möchte. Über die vielen kleinen - und manchmal auch boshaften - Spitzen lässt sich locker hinweggenießen. Aber man kann in ihnen eben auch eine kluge Reflexion des Stückes und des Genres an sich erkennen.
Die Inszenierung ist als Koproduktion mit dem Saarländischen Staatstheater entstanden und ist dort bereits 2019, also in ferner Präcoronavergangenheit, gezeigt worden, hat aber offensichtlich nicht an Witz und Doppelbödigkeit verloren (szenische Einstudierung in Bonn: Alexandra Pape). Die Personenregie zeigt viele Slapstickelemente, und im ersten Akt wird, schnipp!, die Szenerie immer wieder "eingefroren", um kurze Dialoge hervorzuheben. Auch das trägt zur gewollten Künstlichkeit bei. Stiehl trägt bewusst alles etwas zu dick auf, so die Begeisterung aller Herren für die Witwe (oder deren Reichtum) oder die lustvoll ausgespielten Frivolitäten. Valencienne, Gattin des naiv gutgläubigen Botschafters Baron Zeta (souverän: Martin Tzonev), dehnt im Flirt mit Camille den Begriff der "anständ'gen Frau" absurd weit aus (Marie Heeschen singt mit schönem Sopran, schleift die Töne aber oft von unten an) und lässt dabei auch schon einmal Dessous fallen. Bei Camille de Rossilons Lied "Wie eine Rosenknospe" (dem Tenor von Santiago Sanches fehlt es an Eleganz und Geschmeidigkeit) schweben einmal zu oft Rosenblätter vom Bühnenhimmel hinunter. Die Regie nimmt nicht nur hier die Operette ernst und parodiert sie im gleichen Atemzug, und das funktioniert ausgezeichnet.
Beim spektakulären Auftritt der reichen Witwe Hanna Glawari (Barbara Senator gibt sie in ziemlich modernem Outfit mit kühler Eleganz, wobei die Stimme noch eine Spur größer sein dürfte) regnet es Geldscheine, und angesichts des bröckelnden Marmors in der Botschaft versteht man schnell, warum auch der Staat großes Interesse an diesem Vermögen hat. In das scheinbar historische Ambiente haben sich ein paar moderne Büroaccessoires eingeschlichen, die man als sanften Seitenhieb gegen allzu viel Operettenseligkeit sehen kann oder vielleicht auch gegen allzu trostlose Versuche, dem Genre durch vermeintlich "moderne" Inszenierungen beizukommen (wie zuletzt in Wuppertal). Das Gesangsduell der Herren ("Ja, das Studium der Weiber ist schwer") und Damen (das Studium der triebgesteuerten Männer fällt ihnen leicht) wird zum handgreiflichen Nahkampf der Sorte "Mädchen gegen Jungs", wobei die Sympathien der Regie klar der Weiblichkeit gehören.
Studieren die Weiber: Kanzlist Njegus (horizontal) und Herrenensemble
Das Fest auf dem Schloss der Gräfin mit dem (von Barbara Senator sehr schön gesungenen) "Vilja-Lied" zeigt Stiehl mit aufreizender Naivität und unterstreicht das folkloristische Element sogar noch mit einem ein sehr jungen Kindertanzpaar, aber auch hier ist die Szene geschickt eine Spur zu sehr überzeichnet, als dass man das alles ernst nehmen könnte. Die Erwartungen an ein rauschendes Revue-Finale unterläuft er dagegen ein wenig. Ob ein heiterer oder ein melancholischer Schluss gewünscht sei, möchte Njegus zwischenzeitlich vom Publikum wissen, und lässt angeblich per "Hammelsprung" abstimmen (man gibt also seine Stimme dadurch ab, dass man durch die entsprechende Tür zur Pause schreitet - was in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn eine Pointe für sich ist). Stiehl zeigt beides. Das harmlose happy end, Danilo kriegt die Glawari und die Millionen obendrein. Und das melancholische, im Anschluss daran, mit dem Duett "Lippen schweigen, 's flüstern Geigen: Hab mich lieb!" vor dem Vorhang, der sich noch einmal öffnet und die beiden in ein Paradies entlässt. Ob man daran glaubt oder nicht, sei dahingestellt. Die schwierige Beziehung zwischen dem standesbewussten Aristokraten und dem reichgewordenen Mädchen aus dem Volk, in der Vorgeschichte der Oper eine Unmöglichkeit, die nimmt die Regie bei allem Trubel drumherum dann doch ernst.
Tolle Operettenproduktion mit ein paar eingebauten Boshaftigkeiten.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Einstudierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreographie
Chor
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Baron Mirko Zeta
Valencienne, Baron Zetas Frau
Graf Danilo Danilowitsch
Hanna Glawari
Camille de Rosillon
Vicomte Cascada
Raoul de St. Brioche
Kromow, pontevedrinischer Gesandtschaftsrat
Olga, Kromows Frau
Njegus, Kanzlist
Tanzensemble
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