Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Dieser Tenorstimme können auch Zombie-Frauen nichts anhaben
Von Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then
Mitunter hat man den Eindruck, dass den Regieteams Die tote Stadt ein wenig peinlich ist. Das reißerische, letztendlich recht banale Sujet mit dem Wechsel zwischen Realität und Traum, all' das verlangt nach einer rettenden Konstruktion. So ließ Tatjana Gürbaca den todessüchtigen Paul Edward-Hopper-mäßig einsam an der Bar beim Whiskey stranden (in Köln), Immo Karaman zeigte ihn im Schock-Zustand nach einem Autounfall (in Wuppertal), und Paul Esterházy stülpte eine hinzukonstruierte Kriminalgeschichte im Stile Hitchcocks über das Werk (in Hagen). Dessen Film Vertigo greift schließlich das Motiv der vermeintlich wiedererstandenen Toten, um das es in der toten Stadt geht, auf, und auch weil Korngold sich nach seiner Flucht vor den Nazis in Hollywood einen Namen machte, liegt eine Nähe zum Film in der Luft. Daran orientiert sich auch in Düsseldorf Regisseur Daniel Kramer, allerdings nicht mit konkreten Verweisen auf das Medium Film, sondern mit einer filmisch genauen Erzählweise, mindestens im ersten Akt. Dafür nimmt er sich die Freiheiten verschiedener Genres heraus, eben nicht die Wirklichkeit abzubilden. Wer würde das auch schon von einem Horror-Zombie-B-Movie erwarten? Paul will seine verstorbene Frau Marie als Puppe wiederauferstehen lassen; sein Freund Frank (hinten) ist besorgt ob dieser Obsession.
Ein paar Eingriffe in die Handlung leistet sich Kramer zwar durchaus, bleibt aber grundsätzlich recht eng am Libretto. Der um seine verstorbene Frau Marie trauernde Paul ist hier ein Puppenmacher, der sich ein möglichst lebensechtes Duplikat der Verflossenen schaffen will - ein Spinner, könnte man sagen; ein Psychopath. Aber was für einer! Corby Welch verleiht ihm mit seinem leicht dunkel eingefärbten, strahlenden Tenor eine ungeheure Wucht und damit jenes Maß an Charisma, das die Figur bei aller Absonderlichkeit des Charakters interessant und den Zuschauer zum Komplizen macht. Dieser Paul, der im Übrigen auch leise Töne klangschön singen kann, ist ein Besessener. Seine großbürgerliche Wohnung, die Tapeten und Holztäfelung deuten auf das frühe 20. Jahrhundert hin, hat er zur modernen Werkstatt umfunktioniert (Ausstattung: Marg Horwell). Im Bad steht hinter einem Vorhang das offenbar gelungenste Exemplar, davor ein Meer von Blumen. Damit ist die Figur klar umrissen. Tänzerin Marietta hat verblüffende Ähnlichkeit mit Marie und trägt auf Pauls Wunsch deren Kleid.
Die Tänzerin Marietta, die eine verblüffende Ähnlichkeit zu der Verstorbenen hat, tritt hier als Edel-Callgirl auf und lässt sich für ihre Dienste bezahlen. Das macht plausibel, warum sie sich auf Pauls merkwürdiges Verhalten einlässt und auf dessen Wink Maries Kleid anzieht. Kunden in diesem Metier haben eben manchmal eigentümliche Wünsche. Es wird aber auch die Atmosphäre zwischen Beklemmung und Faszination für Paul deutlich, die am Ende in Panik umschlägt. Nadja Stefanoff, eine blendende Erscheinung mit Model-Figur, spielt das eindrucksvoll. Stimmlich braucht sie einige Zeit, um in die Partie hineinzufinden, und erreicht erst im zweiten Akt die vokale Souveränität, der ihrer szenischen Präsenz entspricht. Der in der Mittellage nicht zu schwere, aber glutvoll leuchtende Sopran dünnt bei den Spitzentönen ein wenig aus und verliert an Farbe. Meist singt die Sängerin der Marietta auch die Stimme der Marie, die Paul aus dem Jenseits zur Treue ruft - hier ist die Partie mit einer zweiten Sopranistin besetzt, und das wird szenisch zur zentralen Idee. Diese Erscheinung der Marie wird nämlich ziemlich handfest dargestellt. Im engen schwarzen Kleid mit weißblonden Haaren und schwarzunterlaufenen Augen ist sie eine wandelnde Untote, ein blutsaugender Zombie, der von nun an immer wieder an Paul zerren wird. Mara Guseynova singt mit einer entrückt fahlen, unheimlich anmutenden und doch mit ihrem rätselhaften Timbre fesselnden Stimme, wodurch auch hier die szenische Idee musikalisch beglaubigt wird. Hier ist es nicht nur die Stimme der Toten, die von Paul Treue über den Tod hinaus verlangt - Marie erscheint als ziemlich widerspenstige Untote.
Natürlich ist das Kitsch, aber den muss man bis zu einem gewissen Grad bei dieser Oper wohl zulassen. Es funktioniert jedenfalls recht gut, wobei das Grundkonzept der Regie von da an, nun ja, übersichtlich bleibt: Marietta verkörpert das Leben, Zombie-Marie den Tod und bewirkt damit offenbar auch Suizid-Gedanken Pauls. Zwischen diesen Polen geht die Figur von Pauls Freund Frank, der zum vermeintlichen Nebenbuhler wird, weitgehend verloren. Im blauen Anzug von der 1950er-Jahre-Eleganz eines James Stewart in Vertigo, singt Emmett O'Hanlon mit schlanker Stimme tadellos akkurat, wobei ein wenig mehr sonorer Unterbau gerade für die Wunschkonzert-Arie "Mein Sehnen, mein Wähnen" schön wäre. Beinahe interessanter als dieser Charakter wirkt die Haushälterin Brigitta, von Anna Harvey mit schöner Stimme als junges Mädchen dargestellt. Sie hat durchaus Interesse an Paul, aber schreckt dann doch immer wieder zurück, wenn sich die Gelegenheit zum Kuss böte. Diese durchaus interessante Personenkonstellation geht im unscharfen zweiten Akt (wo alles nur geträumt ist) leider ein Stück weit verloren, weil Kramer hier eine nachtschwarze Revue mit Sarg inszeniert, die recht beliebig bleibt und zu wenig an den ersten Akt anknüpft. Ganz kann auch der wieder präziser inszenierte dritte Akt das nicht herausreißen. Den (geträumten) Mord Pauls an Marietta lässt die Regie weg, stattdessen zerschmettert Paul eine der Puppen - eine eher schwache Lösung. Und wenn man am Ende offenbar Maries Beerdigung beiwohnt (die müsste doch weit in der Vergangenheit liegen), geraten die verschiedenen Ebenen der Inszenierung unnötig durcheinander. Marietta (links) steht für das Leben, Marie für den Tod. Paul entscheidet sich bekanntlich am Ende für das Leben.
Weil die Regie aber trotz mancher Schwachpunkte meist nahe an der Geschichte bleibt und in ihrer Hauptfigur Paul ein klares Zentrum besitzt, kommt die aufwühlende Musik ziemlich ungetrübt durch zusätzliche Gedankenspiele zur Geltung. Chefdirigent Axel Kober liefert mit den sehr guten Düsseldorfer Symphonikern den großformatigen Orchestersound mit angemessener Dramatik dazu. Weil Corby Welch über entsprechende stimmliche Reserven verfügt, kann es dabei auch laut (aber nie lärmend) werden. Der Chor der Deutschen Oper am Rhein und (vom Band) der Düsseldorfer Mädchen- und Jungenchor steuern betörend schöne Klangfarben bei. Chidozie Nzerem, von 2008 bis 2020 prägendes Mitglied in Martin Schläpfers Ballettcompagnie, kehrt in der pantomimischen Rolle des Gaston zurück (mit der er deutlich unterfordert ist) und hat immer noch viele Fans im Premierenpublikum. In den kleineren Partien überzeugen Alexandra Yangel (Lucienne), Stefan Cifolelli (Victorin) Anna Sophie Theil (Juliette) und Florian Simson (Albert). Wer die Oper bislang nicht kennt, hat bei dieser Produktion die Möglichkeit, durch eine "Augmented Reality"-Brille, das "digitale Opernglas", Zusatzinformationen zu bekommen - mehr dazu hier.
Die Inszenierung hat gute und spannende Ansätze, verirrt sich aber zwischendurch in Korngolds Albtraumwelten. So wird Die tote Stadt zum großen Hörtheater mit einem grandiosen Corby Welch in der Hauptpartie. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Paul
Marietta
Marie
Frank/Fritz
Brigitta
Juliette
Lucienne
Victorin
Graf Albert
Gaston
|
© 2023 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de