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Peer Gynt

Ballett in zwei Akten von Edward Clug
nach dem gleichnamigen Drama von Henrik Ibsen
Musik von Edvard Grieg

Aufführungsdauer: ca. 2h 20' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 4. Februar 2023



Theater Dortmund
(Homepage)

Auf der Suche nach sich selbst

Von Thomas Molke / Foto: © Leszek Januszewski

Seit Xin Peng Wang Ballettdirektor in Dortmund ist, sind unter anderem große Handlungsballette der besonderen Art zu einem Markenzeichen der Compagnie geworden und haben deren Ruf auch überregional verbreitet. Dabei hat Wang häufig nicht auf Stoffe zurückgegriffen, die man mit dem klassischen Ballett verbindet, sondern große Werke der Weltliteratur für den Tanz regelrecht erschlossen. Als letztes Projekt ist hier Dantes Versepos Divina Commedia zu nennen, das eigentlich in der vergangenen Spielzeit als dreiteiliger Ballettabend zum 700. Todestag von Dante Alighieri präsentiert werden sollte, was aber aufgrund der Corona-Pandemie in die Spielzeit 2023/24 verschoben worden ist, wenn Wang sein 20-jähriges Jubiläum am Theater Dortmund feiert. So gab es in der vergangenen Spielzeit lediglich die Premiere des dritten Teils, Paradiso. In dieser Spielzeit ist einiges anders. Nachdem Wang zu Beginn der Spielzeit Jean-Christophe Maillot eingeladen hat, mit der Dortmunder Compagnie Romeo und Julia in einer Choreographie einzustudieren, die Maillot 1996 für das Ballet de Monte Carlo kreiert hat, folgt nun Edward Clugs Ballettabend Peer Gynt, der im November 2015 im Slowenischen Nationaltheater Maribor uraufgeführt worden ist. Clug ist in Dortmund kein Unbekannter. In der vergangenen Spielzeit studierte er im Rahmen des Doppelabends Strawinsky seine Choreographie Le Sacre du Printemps ein, die er als Ballettdirektor am Slowenischen Nationaltheater in Maribor 2012 anlässlich des 130. Geburtstagsjubiläums Strawinskys herausgebracht hatte (siehe auch unsere Rezension). 2017 schuf er im Rahmen des dreiteiligen Ballettabends Kontraste für das Ballett Dortmund die Kreation Hora (siehe auch unsere Rezension), mit der die Compagnie anschließend zum Prix Benois de la danse, einem der prestigeträchtigsten Tanzfestivals, ins Moskauer Bolschoi Theater eingeladen wurde.

Clug verdichtet Ibsens fünfaktiges Schauspiel, das ursprünglich als dramatisches Gedicht veröffentlicht worden war, auf zwei Akte und verwendet Musik von Edvard Grieg. Grieg hatte für die Uraufführung des Schauspiels 1876 eine Schauspielmusik mit 26 Musiknummern komponiert, die Grieg später zu zwei Suiten umarbeitete, aus denen sich heute vor allem "Solveigs Lied", "In der Halle des Bergkönigs" und die in der Werbung häufig zitierte "Morgenstimmung" großer Beliebtheit erfreuen. Da sich die Handlung allerdings nicht allein in diesen Musiknummern ausdrücken lässt, hat Clug weitere Kompositionen Griegs ergänzt, die die Erzählstruktur für den Tanz unterstützen. Musikalisch begleitet wird der Abend von den Dortmunder Philharmonikern unter der Leitung von Motonori Kobayashi, der mit dem Orchester einen romantischen Klang aus dem Graben zaubert, Tatiana Prushinskaya am Klavier, die eindrucksvoll die leisen und intimen Szenen des Stückes herausarbeitet, und dem Jugendkonzertchor der Chorakademie Dortmund unter der Leitung von Felix Heitmann, der von den Seiten im Zuschauerraum Peers Bedrohung in der Halle des Bergkönigs durch fulminanten Klang spürbar macht. Dabei bleibt Clug mit einigen Kürzungen sehr nah an Ibsens Vorlage.

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Peer Gynt (Javier Cacheiro Alemán, links) und der Hirsch (Arthur Henderson)

Als neue Figuren führt er einen Hirsch und den Tod als Peers ständigen Begleiter ein. Der Hirsch spielt gerade zu Beginn des Stückes für Peer eine besondere Rolle. Mit seinem majestätischen Geweih und stolzem Gebaren stellt er für Peer eine Identifikationsfigur dar, der Peer in seinen Tagträumen nachstrebt. Arthur Henderson tritt mit zwei Krücken auf, die als Vorderbeine des Hirsches fungieren und entwickelt in seinem blassen Kostüm mit dem ausladenden Geweih eine enorme Bühnenpräsenz, die die winterliche Kälte des Nordens unterstreicht. In seinen Bewegungen wirkt er nahezu arrogant und unnahbar, schüttelt Peer immer wieder ab, wenn dieser versucht, von ihm Besitz zu ergreifen. Am Ende des ersten Aktes ist er es, der Peer gewissermaßen zu seiner sterbenden Mutter zurückruft. Das Verhältnis zwischen Peers Mutter Åse und ihrem Sohn wird als sehr intensiv und nahezu ödipal beschrieben. Giulia Gemma Manfrotto hängt als Åse einerseits wie eine Klette an ihrem Sohn, malträtiert ihn jedoch permanent mit Schlägen, und Javier Cacheiro Alemán scheint als Peer diese Behandlung durch seine Mutter regelrecht herauszufordern. Clug verwendet zur Beschreibung hierfür Auszüge aus dem Streichquartett Nr. 1 op. 27.

Beim Auftritt Ingrids ist man musikalisch zunächst ein wenig verwirrt, weil hier "Solveigs Lied" erklingt. Clug verwendet die melancholische Musiknummer, die eigentlich Solveigs ewiges Warten auf Peer Gynt beschreibt, hier als Trauer Ingrids, die von Peer verlassen worden ist und nun den reichen Mads Moen heiraten soll. Fünf Paare und der Bräutigam versuchen, Ingrid aufzuheitern, was ihnen jedoch nicht wirklich gelingt. Paulina Bidzińska gibt die Ingrid recht teilnahmslos und ändert ihr Verhalten erst beim Auftritt Peers auf der Hochzeit. Hier begegnet Peer auch erstmals Solveig und ihrer Schwester Helga. Warum Helga riesige weiße Hasenohren trägt, erschließt sich nicht wirklich. Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten kommt es dann zum Eklat zwischen Peer und dem Schmied Aslak. Ausdrucksstark zeigt Cacheiro Alemán wie er Filip Kvaćák als Aslak provoziert, bis dieser schließlich zur Axt greift. Guillem Rojo i Gallego verhindert als Tod Schlimmeres und bewahrt Peer vor dem bevorstehenden Ende, weil er noch einiges mit ihm vorhat. Rojo i Gallego legt die Rolle mit mephistophelischen Zügen an und wirkt in seinem langen schwarzen Mantel wie ein Wesen aus einer anderen Welt.

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Trolle bei "In der Halle des Bergkönigs" (Ensemble)

Marko Japelj hat für die Szenenwechsel im ersten Akt ein flexibles Bühnenbild geschaffen. Auf der linken Seite befindet sich ein Berg mit einer darin befindlichen Höhle. Die Bühne wird von einem riesigen weißen Kreisring eingerahmt, der auf der linken Seite in den Berg führt oder hinter dem Berg verschwindet. Die Tänzerinnen und Tänzer gehen über diesen Kreisring hinter dem Berg am Ende einer Szene ab und leiten mit dem Auftritt durch die Höhle jeweils eine neue Szene ein. Die Kostüme von Leo Kulaš fangen einerseits den ländlichen Charakter der bäuerlichen Gesellschaft wunderbar ein, und sind bei den Trollen in der Halle des Bergkönigs sehr fantasievoll gestaltet. Besonders auffällig gelingt das bei der Frau in Grün (Isabelle Maia), die in den Körperformen des Kostüms zwar durchaus erkennen lässt, dass sie zu den Trollen gehört und mit ihren grünen langen Haaren anders wirkt als die Frauen aus dem Dorf, aber noch keinesfalls abstoßend auf Peer, so dass nachvollziehbar ist, dass er sich mit ihr einlässt. Erst nachdem er zu dem berühmten Stück "In der Halle des Bergkönigs" von den Trollen auf einer Art Skateboard in das Reich der Trolle geführt worden ist, zeigt die Frau in Grün ihr wahres Gesicht, das sich auf der Rückseite ihres Kopfes befindet und Peer erschaudern lässt. Auch hier kann ihn wieder nur der Tod vor der Rache des Bergkönigs und der Trolle bewahren. Es kommt zu einem kurzen glücklichen Moment zwischen Peer und Solveig, der von Daria Suzi und Cacheiro Alemán bewegend umgesetzt wird, bevor der Hirsch auf dem Berg die romantische Idylle unterbricht und Peer ans Sterbebett seiner Mutter ruft. Manfrotto gestaltet den Tod Åses eindrucksvoll.

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Kurzer Moment des Glücks: Solveig (Daria Suzi) und Peer Gynt (Javier Cacheiro Alemán)

Im zweiten Akt beginnen Peers Reisen. In einem schwarzen Anzug nimmt er von Solveig Abschied, besteigt ein kleines Spielflugzeug, das an ein Jahrmarktmodell erinnert, wirft eine Münze ein und reist zur "Morgenstimmung" in ferne Welten. Dort trifft er zunächst auf die Beduinen und Anitra. Die Beduinen treten in langen weißen Röcken mit riesigen Perserteppichen auf. Anitra (Giuditta Vitiello) lässt mit anderen orientalisch gekleideten Frauen Peers Herz höher schlagen und verführt ihn zu "Anitras Tanz". Dabei wird klar, dass Peer Solveig alles andere als treu bleibt und sich auf seinen Reisen mit zahlreichen Frauen vergnügt. Allerdings erkennt er nicht, dass er von Anitra nur ausgenutzt wird. Unter dem Teppich raubt sie ihm mit der Hose und den Schuhen sein letztes Hab und Gut, so dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als Begriffenfeldt zu folgen, der ihn für Experimente in seiner Irrenanstalt benutzt. Eindrucksvoll tritt die Compagnie hier als Verrückte auf, die Peer schließlich im Rollstuhl zum König krönen. In einem Fenster in der Rückwand erscheint Solveig, die in Peer den Wunsch entstehen lässt, in seine Heimat zurückzukehren. Der Berg wird nun auf die Bühne gefahren und der Kreisring in Teilen wieder zusammengesetzt, wenn Peer nach Hause kommt. Im Berg wird Peer nun von seinem eigenen Gewissen gerichtet und mit Staub überschüttet, was ihn sein bisheriges Leben bereuen lässt. Auch der Hirsch tritt nun wieder auf.

Solveig trägt eine riesige Tür auf die Bühne, hinter der sie wartend Platz nimmt. Auf "Solveigs Lied" wird musikalisch an dieser Stelle jedoch verzichtet. Peer will in dieses Haus eintreten, doch es kommt zunächst zu keiner Vereinigung der beiden. Solveig trägt die Tür weiter fort und bewegt sich auf dem Kreisring langsam in den Bühnenhintergrund. Die Figuren aus dem ersten Akt tauchen noch einmal auf, wahrscheinlich als Peers Erinnerung. Man sieht Ingrid erneut bei ihrer Hochzeit, dieses Mal aber glücklicher als im ersten Akt. Auch die Trolle sind mit dem Bergkönig und der Frau in Grün zu den Feierlichkeiten eingeladen. Der Tod tritt nun mit einem Sarg auf, den er für Peer öffnet. Peer betritt den Sarg, entflieht ihm jedoch stets auf der Rückseite, so dass er es schließlich doch noch zu der Tür schafft, hinter der Solveig auf ihn wartet. Er betritt den Raum, um hier gemeinsam mit Solveig zu sterben. Der Hirsch legt sein Geweih ab und hängt es über der Tür auf. Langsam fällt der Vorhang. Das Publikum feiert die eindrucksvolle Vorstellung mit frenetischem Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Edward Clug gelingt es, mit seinem Ballett relativ nah an der dramatischen Vorlage Ibsens zu bleiben, und erzählt eindrucksvoll Peers ständige Suche nach sich selbst. Das Dortmunder Ballett setzt diese Erzählung großartig um.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Motonori Kobayashi /
Koji Ishizaka

Choreographie und Libretto
Edward Clug

Bühnenbild
Marko Japelj

Kostüme
Leo Kulaš

Licht
Tomaž Premzl

Chorleiter
Felix Heitmann

Choreographische Einstudierung
Miloš Isailović

 

Dortmunder Philharmoniker

Klavier
Atsuko Seki /
*Tatiana Prushinskaya

Jugendkonzertchor der Chorakademie Dortmund

 

Tänzerinnen und Tänzer

*Premierenbesetzung

Peer Gynt
*Javier Cacheiro Alemán /
Simon Jones

Solveig
*Daria Suzi /
Sae Tamura

Der Tod
*Guillem Rojo i Gallego /
Filip Kvačák

Åse, Peer Gynts Mutter
*Gulia Gemma Manfrotto /
Isabelle Maia

Ein Hirsch
*Arthur Henderson /
Guillem Rojo i Gallego /
Maksym Palamarchuk

Ingrid, die Braut
*Paulina Bidzińska /
Amanda Vieira /
Manuela Souza

Aslak, ein Schmied
*Filip Kvaćák /
Lúcio Kalbusch

Die Frau in Grün
*Isabelle Maia /
Paulina Bidzińska /
Sae Tamura

Mads Moen, der Bräutigam
*Simone Dalé /
Francesco Nigro

Anitra, Tochter eines Beduinen-Häuptlings
*Giuditta Vitiello /
Manuela Souza

Klein Helga, Solveigs Schwester
*Rion Natori /
Yingyue Wang

Begriffenfeldt, ein Arzt
*Filip Kvaćák /
Cyril Pierre

König der Trolle
Cyril Pierre

Drei Sennerinnen
*Eliza Morozova
Isabella Nilsson
Anastasia Tristan

Vier Verrückte
Giuditta Vitiello
*Emma Grace Garrison
*Márcio Barros Mota
Joshua Green
*Eleonora Vio-Genova
Konami Omachi
Yingyue Wang
Lúcio Kalbusch
*Luigi Cifone

Ensemble
*Amanda Vieira
*Anastasia Tristan
*Giuditta Vitiello
*Konami Omachi
*Emma Grace Garrison
*Yingyue Wang
*Eleonora Vio-Genova
*Isabelle Maia
*Volodymyr Trystan
*Manuela Souza
*Rion Natori
*Eliza Morozova
*Isabelle Nilsson
*Sonja Svanberg
*Daniel Lapko
*Francesco Nigro
*Lúcio Kalbusch
*Marcelo Kanopka
*Márcio Barros Mota
Joshua Green
*Luigi Cifone
*Matheus Vaz
*Maksym Palamarchuk
*Simone Dalé
Filip Kvaćák

 


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