Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Schein und Sein in der Traumfabrik Von Thomas Molke / Fotos: © Hans Jörg Michel Francesco Cilea gehört neben Pietro Mascagni, Ruggero Leoncavallo und Umberto Giordano zu der Riege der Verismo-Komponisten, die heute mit noch genau einem Werk im Standardrepertoire vertreten sind. Bei Cilea ist es die 1902 am Teatro lirico in Mailand uraufgeführte Oper Adriana Lecouvreur. Aus seiner fünf Jahre zuvor komponierten Oper L'Arlesiana kennt man in der Regel höchstens noch die berühmte Tenor-Arie "È la solita storia del pastore", die unter dem Titel "Federicos Lamento" nahezu jeder namhafte Tenor im Repertoire hat. Doch auch Adriana Lecouvreur ist im Vergleich zu Mascagnis Cavalleria rusticana und Leoncavallos Pagliacci zumindest auf den deutschen Opernbühnen eher selten zu erleben. Auch für die Deutsche Oper am Rhein war in der vergangenen Spielzeit dieses Stück nicht die erste Wahl. Eigentlich hatte man Umberto Giordanos Andrea Chenier geplant. Der Ukraine-Krieg machte jedoch die Produktion mit dem geplanten Regie-Team unmöglich, so dass man sich kurzerhand zu einer Kooperation mit dem Staatstheater Mainz entschloss, das Adriana Lecouvreur am 21. September 2021 zur Premiere gebracht hatte. Immerhin gehören beide Werke zum Verismo, auch wenn Cileas Oper in der feinen Kolorierung eher an die französische Opéra comique und an Bellinis Kantilenen erinnert. Adriana Lecouvreur (Liana Aleksanyan) Die Titelfigur ist nicht der Fantasie eines Dichters entsprungen, sondern hat wirklich existiert. In den 1720er Jahren galt Adrienne Lecouvreur als die berühmteste Schauspielerin der Comédie-Française, die einen neuen, wesentlich natürlicheren Deklamationsstil im französischen Drama einführte und damit ihrer Vorgängerin, der großen Duclos, den Rang ablief. Seit 1720 unterhielt sie auch ein Verhältnis mit dem Grafen Moritz von Sachsen, einem Sohn von August dem Starken. Doch die Fürstin von Bouillon, eine ob ihrer Verführungskünste bei den Herren sehr erfolgsverwöhnte Dame, versuchte ebenfalls bei ihm ihr Glück und entwickelte sich zu einer großen Rivalin der Lecouvreur. Als Adrienne 1730 auf mysteriöse Weise starb, vermutete man zunächst, dass Gift im Spiel gewesen sei und verdächtigte die Fürstin, die zeitlebens die Tat bestritt. Die offizielle Untersuchung ergab, dass Adrienne an der Ruhr gestorben sei. Auch belegen Zeugnisse, dass ihre Liebe zu Moritz von Sachsen zu diesem Zeitpunkt schon nahezu beendet war, so dass sie keine Gefahr mehr für die Fürstin dargestellt hätte. Der Pariser Schriftsteller und Librettist Eugène Scribe sah allerdings in dieser Geschichte das Potenzial zu einem großen Gesellschaftsdrama und verfasste gemeinsam mit Ernest Legouvé 1849 ein Stück, auf dem auch Cileas Oper basiert. Hier ist es ein vergifteter Veilchenstrauß, den die Fürstin am Ende der Oper Adrienne (Adriana) schickt, dem die Titelfigur dann nach der glücklichen Aussprache mit Moritz (Maurizio) zum Opfer fällt. Rivalinnen um die Gunst Maurizios: die Fürstin von Bouillon (Ramona Zaharia, links) und Adriana Lecouvreur (Liana Aleksanyan, rechts) Da die Geschichte im Schauspieler*innen-Milieu spielt und Cileas Musikstil auch die Filme der frühen Hollywood-Ära beeinflusst hat, siedelt Gianluca Falaschi die Inszenierung an einem Film-Set an. In opulenten Kostümen, für die Falaschi als Ausstatter verantwortlich zeichnet, taucht das Publikum in die legendäre Zeit von Fred Astaire und Ginger Rogers ein. Man fühlt sich optisch stark an Andrew Lloyd Webbers Sunset Boulevard erinnert, wobei auch die Fürstin von Bouillon, die ja eigentlich nicht dem Film-Metier entstammt, mit ihren weißblonden Haaren und dem ausladenden Haarschmuck wie eine Ikone Hollywoods wirkt. Adriana ist ganz als große Diva angelegt, die diesen Ruhm genießt, an dem Zweifel an Maurizios Liebe jedoch schließlich zerbricht. So lässt Falaschi es gewissermaßen offen, ob wirklich die vergiftete Blume zu Adrianas Tod führt oder ihre Angst, ihrem Anspruch als gefeierte Diva nicht mehr gerecht zu werden. Auch Maurizio scheint ein Schauspieler zu sein. Wenn er im dritten Akt von seinem erfolgreichen Kampf berichtet, erzählt er die Handlung eines Films, für den er mit dem Oscar ausgezeichnet worden ist. Schließlich betritt er mit der Trophäe die Bühne. Dass er auch im dritten Akt der Fürstin gegenüber nicht abgeneigt ist, unterstreicht Falaschi in der Personenregie auf dem großen Ball beim Fürsten von Bouillon. Hier verdrückt sich Maurizio mit der Fürstin nach seiner Erzählung zu einem Schäferstündchen, was Adrianas Eifersucht noch schürt und den anschließenden Eklat mit der Fürstin noch forciert. Der Fürst von Bouillon (Beniamin Pop, oben Mitte rechts mit Ramona Zaharia als Fürstin von Bouillon) gratuliert Maurizio (Eduardo Aladrén, oben Mitte links). Adriana (Liana Aleksanyan, unten Mitte mit dem Chor) fühlt sich zurückgesetzt. Die Bühne als Film-Set ermöglicht dem Publikum unterschiedliche Einblicke. Mal ist man direkt in der Szene, dann wieder auf der Seite des Regie-Teams, wenn die Scheinwerfer bedient werden. Nur Michonnet fällt in dieser glitzernden Welt in Falaschis Personenregie ein wenig aus dem Rahmen. In seinem farblosen Pullover wirkt er sehr blass und passiv. Da verwundert es nicht, dass ein Star wie Adriana in ihm nur einen väterlichen Freund und niemals einen Geliebten sehen kann. Anooshah Golesorkhi erträgt als Michonnet die ständige Zurückweisung Adrianas recht stoisch und darf nur ganz am Schluss nach Adrianas Tod Gefühle zeigen. Der Fürst und der Abbé von Chazeuil werden als eine Art Paradiesvögel angelegt, die diese glitzernde Hollywood-Welt zu ihren Zwecken ausnutzen. So lassen sie keinen Flirt aus, wobei der Fürst den jungen aufstrebenden Künstlerinnen die Hoffnung auf eine große Bühnenkarriere verspricht. Dass er sie jedoch genauso schnell wieder fallen lässt, muss eine Statistin am eigenen Leib schmerzhaft erfahren. Mit großer Hoffnung lässt sie sich auf den Fürsten ein, wird beim "Urteil des Paris" sogar zur schönsten Dame des Balls von ihm gekürt, um anschließend mit ihm im Nebenzimmer zu verschwinden, aus dem sie dann als gebrochene Frau wieder auftaucht. Aussprache zwischen Adriana (Liana Aleksanyan) und Maurizio (Eduardo Aladrén) (im Hintergrund rechts: Michonnet (Anooshah Golesorkhi)) Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf gutem Niveau. Da ist zunächst Liana Aleksanyan in der Titelpartie zu nennen, die mit eindringlichem Spiel als Diva überzeugt. Für die dramatischen Passagen verfügt sie über einen runden Sopran mit großer Durchschlagskraft. Gekonnt changiert sie zwischen dramatischer und weicher Stimmführung, was vor allem in der wohl bekanntesten Arie im vierten Akt, "Poveri fiori", zum Ausdruck kommt. Hier fühlt sie sich von ihrem Geliebten Maurizio verlassen, was Aleksanyan stimmlich und darstellerisch mit bewegendem Spiel gestaltet. Auch als Tragödin überzeugt sie, wenn sie im dritten Akt auf den Rhythmus der Musik den Phaedra-Monolog deklamiert und damit das Verhalten der Fürstin von Bouillon in provozierender Weise bloßstellt. Ramona Zaharia begeistert als Fürstin mit diabolischem Spiel und dunkel gefärbtem Mezzosopran. Mit nahezu schwarzen Tiefen macht sie deutlich, dass sie eine ernstzunehmende Rivalin für Adriana ist. In den dramatischen Ausbrüchen zeigt sie, welch leidenschaftliches Feuer in dieser Fürstin steckt und wieso auch ihr die Männer zu Füßen liegen. So ist es für sie ein Leichtes, Maurizio auch im dritten Akt erneut zu verführen. Einen nahezu innigen Moment haben die beiden Frauen im zweiten Akt, wenn Adriana der Fürstin zur Flucht verhilft, bevor der Kampf um Maurizio offen zwischen ihnen ausbricht. Eduardo Aladrén überzeugt als Maurizio mit kraftvollem Tenor und eindringlichem Spiel, dem man abnimmt, dass er die Frauenherzen höher schlagen lässt. Die große Liebesszene mit Aleksanyan im vierten Akt gestaltet er sehr innig. Anooshah Golesorkhi punktet als Michonnet mit profundem Bariton, auch wenn die Personenregie ihn relativ steif agieren lässt. Ganz anders darf sich Beniamin Pop als Fürst von Bouillon präsentieren. Mit dunkel gefärbtem Bass stellt er eine große Autorität dar, die den jungen Damen mehr verspricht, als hinterher tatsächlich eingelöst wird. Tae-Hwan Yun überzeugt als durchtriebener Abbé von Chazeuil mit lyrischem Tenor. Auch die kleineren Partien sind mit Romana Noack als Jouvenot, Katarzyna Kuncio als Dangeville, Shengwu Ou als Poisson und Matteo Guerzé als Quinault spielfreudig und stimmlich gut besetzt. Der von Patrick Francis Chestnut einstudierte Opernchor hinterlässt als kraftvoll homogener Klangkörper einen bleibenden Eindruck. Die Damen zeigen beim "Urteil des Paris" auch große Spielfreude und Komik, wenn sie versuchen, zur schönsten Frau auf dem Fest gekürt zu werden. Péter Halász arbeitet mit den Duisburger Philharmonikern die vielschichtigen Klangfarben der Partitur differenziert heraus und weckt stellenweise das Gefühl, sich musikalisch wirklich in einem Film der großen Hollywood-Ära zu befinden. So gibt es am Ende lang anhaltenden und verdienten Applaus.
Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung und Ausstattung Licht Chorleitung Dramaturgie
Duisburger Philharmoniker Chor der Deutschen Oper am Rhein Statisterie der Deutschen Oper am Rhein
Solistinnen und Solisten*rezensierte Aufführung Adriana Lecouvreur
Maurizio
Fürst von Bouillon
Fürstin von Bouillon
Michonnet
Abbé von Chazeuil /
Maggiordomo
Jouvenot
Dangeville
Poisson
Quinault
|
© 2023 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de