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Rusalka

Lyrisches Märchen in drei Akten
Libretto von Jaroslav Kvapil
Musik von Antonín Dvořák


In tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (eine Pause)

Die Produktion entstand für die English National Opera und Les Théâtres de La Ville de Luxembourg
szenische Realisierung an der Staatsoper Hannover

Premiere an der Staatsoper Hannover am 11. März 2023
(rezensierte Aufführung: 1. Mai 2023)


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Staatsoper Hannover
(Homepage)

luft von anderem planeten

Von Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then

Irgendjemand muss in den 1970er-Jahren eine hässliche Zwischendecke eingezogen haben in den Teich, in dem Rusalka und die anderen Nixen leben. Zu einer Zeit, in der man stolz war auf einen Phonowagen mit Plattenspieler im Salon. Renaturierte Gewässer standen wohl noch nicht auf der Tagesordnung. Und so starrt die arme Rusalka auf das hässliche Ding über ihrem Kopf und möchte das weghaben. Verständlich. An seiner Liebe zu Kunststoff und Fensteröffnungen mit abgerundeten Ecken hat Bühnenbildner Klaus Grünberg zuletzt auch das Publikum in Essen bei Simon Boccanegra teilhaben lassen, was wir als "ästhetische Katastrophe" empfunden haben. Ganz so schlimm geht es in dieser Inszenierung (für die English National Opera und die Oper in Luxemburg konzipiert, aber wegen der Corona-Pandemie erst jetzt in Hannover szenisch realisiert) nicht zu. Gleichwohl: Nach schönen, gar romantischen Bildern steht dem Regieteam um Tatjana Gürbaca der Sinn nicht. Sie wollen das Märchen, natürlich, psychologisch deuten.

Vergrößerung in neuem Fenster Wasserwesen im beengten Biotop; ganz rechts Rusalka

Wobei sie die Handlung durchaus stringent nacherzählen, dabei aber verschiedene Deutungsebenen zulassen. Da ist zunächst das Entwicklungsdrama auf einer symbolisch-bildlichen Ebene. Der enge Bühnenraum des ersten Aufzugs weitet sich im zweiten und öffnet sich im dritten Akt - und wenn dabei das erwähnte Bühnenbildelement zu entschweben scheint, spürt man, wie sich die Welt Rusalkas weitet. Wichtiger sind vielleicht die Felskugeln, auf denen die Nixen anfangs herumturnen und die surreal auch am Hofe des Menschenprinzen herumliegen (kleinere Exemplare in der Vitrine, man hat die Natur vermeintlich unter Kontrolle), der Rusalka erst heiraten will und dann doch verstößt, weil ihm die mondäne fremde Fürstin den Kopf verdreht. Im dritten Aufzug schweben einige dieser Steinkugeln über der Bühne. "Ich fühle luft von anderem planeten dichtete Stefan George (in dieser Rechtschreibung) im Jahr 1907, sieben Jahre nach der Komposition der Oper. In diese Sphäre entschwindet Rusalka, nachdem sie den reumütigen Prinzen mit ihrem Todeskuss erlöst hat. Aber ist sie nun frei? Oder endgültig gescheitert? Tatjana Gürbaca lässt das offen.

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An Land: Rusalka und Prinz

Sie erzählt aber auch eine Coming-of-age-Geschichte, in der sich Rusalka durchsetzen muss gegen die Widerstände der Eltern, als die man den Wassermann und die Ježibaba, die Hexe, interpretieren kann. Ein Prozess mit Schmerzen, und das zeigt die Regie in einem prägnanten Bild: Um zu den Menschen zu gelangen, muss Rusalka einen Spiegel zerschlagen, und die Scherben werden in ihre Schuhe gefüllt. Als Naturwesen laufen die Nixen barfuß herum, bei den Menschen trägt man Schuhwerk - und holt sich prompt blutige Füße. Eine rote Strumpfhose, die Rusalka beim fürstlichen Ball tragen muss, hält das Bild in Erinnerung. Die Ježibaba hat diesen Gang offenbar auch irgendwann getan, jedenfalls schüttet sie ebensolche Scherben im dritten Akt aus ihren Schuhen. Der tödliche Kuss für den ungetreuen Liebhaber und vermeintlichen Erretter ist ein weiterer Akt der Emanzipation. Vorsichtshalber lässt Tatjana Gürbaca auch noch Vater Wassermann rechtzeitig an Herzversagen dahinscheiden, sodass die aufsteigenden Planeten eine ungewisse, aber vielleicht doch selbstbestimmte Zukunft der jungen Frau andeuten.

Vergrößerung in neuem Fenster Am Hof: Rechts und links vom Phonowagen der Prinz und Rusalka; hinten (in rot) die fremde Füstin

Dann kann man am Rande noch das Sozialdrama herauslesen: Als Kind des kleinbürgerlichen Wassermanns ist Rusalka auf dem fürstlichen Parkett, das hier eher dem diplomatisches Corps unserer Tage entspricht, völlig überfordert. Ihre Stummheit, Konsequenz der Menschwerdung, entspricht der Sprachlosigkeit angesichts der undurchschaubaren Etikette, die hier befolgt werden muss und die es der darin versierten fremden Fürstin leicht macht, den Prinzen auszuspannen. Die Inszenierung wirft diese Gedankengänge auf, ohne sich festzulegen, und das ist ihre große Stärke - neben der sehr emotionalen Erzählweise. Trotz aller Gedankenspiele und den merkwürdigen Bildern berührt die Inszenierung ganz unmittelbar, und das wird getragen von Kiandra Howarth in der Titelpartie, die mit hoher Intensität singt und spielt und damit das Individualdrama in den Mittelpunkt rückt. Die Stimme ist eher dramatisch als lyrisch, mitunter unkontrolliert flackernd, sodass sie innerhalb einer Phrase an Klang verliert. Ihr gelingen auch schöne Piano-Passagen, wobei es ausgerechnet dem populären Lied an den Mond an liedhafter Gestaltung fehlt, sodass es in Einzelteile zerfällt - wobei das sehr langsame Tempo es ihr hier nicht leicht macht. Die dramatische Attacke liegt ihr gleichwohl mehr, und die Unbedingtheit, mit der sie die Rolle gestaltet, verleiht dieser Rusalka Glaubwürdigkeit und Größe.

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Befreiung unter planetenbestücktem offenem Himmel? Die Tiermasken deuten an, dass Rusalka (mitte) das Jagdwild des Prinzen war

Die hier besprochene Aufführung dirigiert, anders als die Premiere, nicht GMD Stephan Zilias, sondern Masaru Kumakura, der sonst als Assistent von Kent Nagano an der Hamburgischen Staatsoper tätig ist. Mit dem guten Niedersächsischen Staatsorchester unterstreicht auch er mehr die dramatische Seite als die lyrische (und auch die volksmusikantische) des Werkes. Da kann es mächtig laut zugehen, was die Sänger aber gut verkraften. Gerard Schneider gibt einen Prinzen mit maskulin eingedunkeltem, strahlkräftigem Tenor, Daniel Miroslaw einen fulminanten Wassermann mit klarer, durchdringender Stimme. Dagegen fallen Magdalena Anna Hoffmann mit flackernder Stimme als fremde Fürstin und Monika Walerowicz als solide, recht brave Hexe Ježibaba ein wenig ab. Beeindruckend schön singt das sehr junge Elfentrio (Petra Radulović, Beatriz Miranda und Freya Müller).


FAZIT

Gut, dass das zuvor an Corona gescheiterte Konzept in Hannover doch noch umgesetzt werden konnte: Hier und da dreht das Regieteam eine Schleife zu viel, aber insgesamt gelingt eine vielschichtige und bewegende Inszenierung auf gutem musikalischen Niveau mit Kiandra Howarth als eindrucksvoller Hauptdarstellerin.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stephan Zilias
* Masaru Kumakura

Inszenierung
Tatjana Gürbaca

Bühne, Licht
Klaus Grünberg

Mitarbeit Bühne
Anne Kuhn

Kostüme
Barbara Drosin

Chor
Lorenzo Da Rio

Dramaturgie
Sophia Gustorff


Chor der
Staatsoper Hannover

Bewegungschor der
Staatsoper Hannover

Niedersächsisches Staatsorchester Hannover


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Rusalka
Kiandra Howarth

Der Prinz
Gerard Schneider

Der Wassermann
Shavleg Armasi /
* Daniel Miroslaw

Die fremde Fürstin
Magdalena Anna Hofmann

Die Ježibaba
Monika Walerowicz

Der Heger
Luvuyo Mbundu

Der Küchenjunge
Nina van Essen

Erste Elfe
Petra Radulović

Zweite Elfe
Beatriz Miranda

Dritte Elfe
Freya Müller

Der Jäger
Lluís Calvet i Pey /
* Peter O'Reilly



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Da capo al Fine

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