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Durch die Barockoper hindurch geschaut Von Christoph Wurzel / Fotos: © Kerstin Schomburg Nach der vielbeachteten Uraufführung von Charles Turnemires La Légende de Tristan im Dezember (siehe auch unsere Rezension) bereicherte das Theater Ulm seinen Opernspielplan zum Abschluss dieser Spielzeit mit Georg Friedrich Händels früher Oper Amadigi di Gaula, die sicherlich nicht zu den zentralen Opern Händels gehört, aber durchaus lohnenswert ist, wie mit dieser Koproduktion mit dem Stadttheater Meiningen nun gezeigt wurde. Vorteil auch, dass dieses Werk mit lediglich vier Sängerinnen und Sängern (eine sehr kleine fünfte Rolle wurde hier eingespart) auch von einem kleineren Haus gut zu bewältigen ist. Amadigi, eine der fünf Zauberopern Händels stammt aus seinen ersten Londoner Jahren (UA 1715) und fußt auf einem bearbeiteten Libretto, das bereits Lully vertont hatte. (In einigen Details scheint sich später Emanuel Schikaneder auch bedient zu haben.) Es ist die Geschichte des Ritters Amadigi, dessen Liebe zur schönen Oriana gleich zweimal hintertrieben wird - von seinem Nebenbuhler Dardano einerseits und von der Zauberin Melissa andererseits, die alles daran setzt, Amadigi für sich zu gewinnen. Eine Konstellation, wie sie in der Barockoper ja nicht selten ist. Allerdings fehlt der Handlung und den Figuren, so klar deren Charaktere auch umrissen sind, psychologische Glaubwürdigkeit und es herrscht eben Zauberlogik. Gut und Böse sind klar verteilt, was die Kostüme anschaulich noch mit eindeutigen Farben unterstreichen. Was soll kluge Regie daraus machen, mag sich Hinrich Horstkotte gedacht haben und hat sich für die Ironisierung des barocken Illusionstheaters entschieden. Das führt zu schönen Kostümen und Bühnenbildern, unterhaltsamen Bühnenaktionen (jedenfalls meistens) und mancher Gelegenheit zum Schmunzeln - wie es in Ulm zu erleben war. Sie entsteigt den Wolken der prachtvollen Kulisse: Die Zauberin Melissa (Maryna Zubko). Bereits in der ersten Szene wird eine Illusion von Barockoper aufgebaut und sogleich wieder zerstört. Vom Zuschauerraum aus bekommt man sozusagen einen Durchblick durch die barocke Theater-Maschinerie: Man sieht von hinten über eine Bühne auf der Bühne mit ihren rückwärtigen, zusammen gezimmerten Kulissen in den Zuschauerraum eines künstlichen Theaters. Dort im Parkett sitzen Amadigi und Dardano und bewundern die eitle, extrovertierte Selbstdarstellung Melissas, der Primadonna der folgenden Oper in ihrem üppigen Barockkostüm und applaudieren ihr bewundernd. Dann entspinnt sich das Spektakel von Händels Oper und die Illusion jeder auch nur fiktiven Opernrealität ist verflogen. Verfremdung im besten Sinne. So lässt sich die Handlung gut erzählen und die Sängerinnen und Sänger dürfen die Affekte ihrer Figuren über die Rampe bringen. Da ist Amadigi, der erst nach einigen Wirrungen seine Geliebte in die Arme schließen darf: das heißt nach einer Feuerprobe (wie Tamino), nach Wahnvorstellungen während eines Zauberschlafs und nach einem Zweikampf, in dem er seinen Rivalen tötet - eine Rolle also, die dem Sänger große Vielseitigkeit abverlangt. Diese Partie (bei der Uraufführung sang sie der umschwärmte Altkastrat Nicolini) stattete hier der Countertenor Benno Schachtner mit starker, wandlungsfähiger Stimme und schönem Timbre aus. Sowohl lyrisches Innehalten in pastoraler Stimmung (wenn Amadigi sich an eine Quelle richtet, die ihm Seelenruhe bereiten soll) wie auch Entschlusskraft und Energie ("Nichts kann mich schrecken") konnte der Sänger vokal überzeugend vermitteln. Mit der überschäumenden Freudenarie ("Sento la goia") am Schluss, dabei begleitet von triumphierenden Trompeten, zeigte Schachtner seine glänzenden Qualitäten in jubelnden Koloraturen. In Schönheit sterben? Catalina Bertucci als Oriana Seine angebetete Oriana war Catalina Bertucci, eine erstklassige Sopranistin mit einer Stimme, die sich edel verströmte, einem wundervollen Piano und seelenvollem Ausdruck. Ähnlich wie Pamina hat sie eine Largo-Arie, in der sie in leisen Moll-Tönen den (vermeintlichen) Verlust des Geliebten betrauert und sich nach dem Tode sehnt. Natürlich bringt sie sich am Ende nicht um, sondern widersteht allen Widrigkeiten, vor allem den unablässigen Versuchen Melissas, Amadigi und sie zu entzweien: "Affannami, tormentami" - "Quäle mich, foltere mich! Von Amadigi werde ich mich nie abwenden!". Catalina Bertucci ließ es an energischem Mut und Entschlossenheit nicht fehlen. Sie schwört blutige Rache: Maryana Zubko als Melissa und Furien im Gothic-Style (Statisterie) Einerseits Furie, aber auch enttäuscht Liebende war die Melissa von Maryna Zubko, quasi eine barocke Stalkerin, die mit allen Mitteln, die ihr als Zauberin zur Verfügung stehen, ihren Willen durchzusetzen versucht und doch an den Realitäten scheitert. Ihr hat Händel natürlich furiose Arien zugedacht. Sie droht: "Du willst dich nicht beugen" im stampfenden Rhythmus; hämisch spottet sie: "Ich freue mich über dein Leid" schleudert sie Amadigi entgegen; am Schluss ruft sie vergeblich alle Höllengeister an und sinkt vor der Aussichtslosigkeit ihres Begehrens in verzweifelter Raserei tot zu Boden. Die Sängerin machte aus all diesen Szenen ganz große Auftritte, wofür ihr Regie und Kostüm die passende Ausstattung bereiteten. Und auch als sie sich ganz privat an ihrem Toilettentisch abschminkte und alle Zweifel an ihren Teufeleien gleich wieder wegwischte, war Maryna Zubko ungemein präzise in der Darstellung der Affekte, stimmlich wie auch im Spiel. In der Mittellage war ihre Stimme klangvoll und ausdrucksstark, allein in extremer Höhenlage klang sie etwas spitz. Die Moral von der Geschicht: Unerschütterliche Liebe lohnt sich, Eifersucht nicht: Amadigi (Benno Schachtner) und Orinana (Catalina Bertucci) gehen ins Glück. Die Rolle des vor unerfüllbarer Liebe zu Oriana schier kranken und von Eifersucht auf Amadigi zerfressenen Dardano sang die Mezzosopranistin I-Chiao Shih. Stark in den Koloraturen und mit heftiger Attacke ("Ich werde mich gegen das Schicksal stemmen") war die Sängerin expressiv präsent. Die Regie hatte Dardano auch die Rolle des deus ex machina zugedacht, der am Schluss vom Balkon aus alles zum Guten wendet. Doch ob diese hier scheinbar hergestellte Liebesharmonie nun unbeschwert ist, daran lässt die Regie doch zweifeln. Das Paar entschwindet zwar im schönsten barocken Hochzeitsornat in den Wellen der Theaterkulisse. Aber die Meeresungeheuer, die sich in diesen Wellen tummeln, verheißen nichts Gutes. So lässt sich der Regisseur, der auch sein eigener Ausstatter ist, am Schluss noch einen augenzwinkernden Kommentar nicht entgehen. Das Philharmonische Orchester der Stadt Ulm, meist wohl eher im klassisch-romantischen Repertoire zuhause, spielte einen wunderbaren barocken Schönklang. An einigen Stellen traten vielleicht die obligaten Soloinstrumente etwas zu stark hervor, insgesamt dirigierte der Ulmer GMD Felix Bender, der auch die Rezitative am Cembalo begleitete, umsichtig und differenziert. In der letzten Szene gibt es einen Jubelgesang des glücklichen Paares, das Ende aber bilden leise Klänge nur der Solovioline. Ein untypischer Schluss einer Händeloper, der aber noch einmal die fehlende Illusion besonders betonte. FAZIT Szenisch zeigt diese Produktion in Bühnenbild und Kostümen die ironisierte Illusion einer Barockoper, musikalisch dagegen wird Barockmusik völlig real. Das Orchester erfüllt gemeinsam mit den beeindruckenden Solistinnen und Solisten das Klangideal der Musik Händels auf beste Weise. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
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