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Musiktheater
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Zaïde / Adama

Opernfragmente in zwei Akten
Zaïde: Singspiel mit einem Libretto von Johann Andreas Schachtner
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart
Adama: Stück in einer Version mit Chor von der Komponistin und Ludger Engels
Musik von Chaya Czernowin

in deutscher Sprache mit hebräischen und arabischen Einwürfen mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 40' (eine Pause)

Premiere im Theater Aachen am 27.04.2024

 



Theater Aachen
(Homepage)

Mozart trifft auf Moderne

Von Thomas Molke / Fotos: © Annemone Taake und Matthias Baus

Als Wolfgang Amadeus Mozart 1781 aus München einen Kompositionsauftrag für die Oper Idomeneo erhielt, arbeitete er eigentlich gerade an dem ernsten Singspiel Zaïde in Salzburg. Da das Angebot aus München aber lukrativer zu sein schien, ließ er das Singspiel unvollendet und nahm die Arbeit daran später auch nicht wieder auf. Ein Grund mag das 1782 am Burgtheater in Wien uraufgeführte heitere Singspiel Die Entführung aus dem Serail sein, das eine vergleichbare Handlung aufweist. Uraufgeführt wurde das Werk erst 75 Jahre nach Mozarts Tod in Frankfurt am Main mit einem Finale, das Johann Anton André 1838 hinzugefügt hatte. Ab 2004 setzte sich die israelische Komponistin Chaya Czernowin mit dem Fragment auseinander und schuf im Auftrag der Salzburger Festspiele 2006 ein eigenes Stück unter dem Titel Zaïde / Adama, das Mozarts Fragment um eine moderne Geschichte erweiterte. 2017 ergänzte sie für das Theater Freiburg ihre Komposition gemeinsam mit dem damaligen Regisseur Ludger Engels um einen Chor. In Aachen kreiert man nun - unter Anwesenheit der Komponistin - diese beiden Versionen zu einer neuen "Aachener Fassung" und bildete für die Chorpartie einen "Community Chor" aus Laiensängerinnen und -sängern aus Aachen und Umgebung, die von Mitgliedern des Extrachors unterstützt werden.

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Zaïde (Laia Vallés) und Gomatz (Ángel Macías) lieben einander. (© Matthias Baus)

Mozarts Fragment basiert auf einem verschollenen Libretto von Johann Andreas Schachtner, der sich wahrscheinlich von Voltaires Stück Zaïre inspirieren ließ, das 1777 in Salzburg aufgeführt wurde. Die Handlung spielt im 16. Jahrhundert am Hof des fiktiven türkischen Sultans Soliman. Dieser hat sich in seine Sklavin Zaïde verliebt, doch sie liebt den einfachen Soldaten Gomatz. Gemeinsam mit dem Sklaven Allazim planen Gomatz und Zaïde die Flucht. Doch sie werden vom Sklavenhändler Osmin an den Sultan verraten und vor der Grenze gefasst. Soliman ist in seiner Ehre tief gekränkt und verurteilt sie zum Tod. Ob ihr Flehen um Gnade Gehör findet, bleibt offen, da Mozarts Komposition an dieser Stelle abbricht. Czernowin fügt in ihrer Fassung eine weitere Ebene ein und überträgt das Beziehungsdreieck zwischen Zaïde, Gomatz und dem Sultan in die Gegenwart. Hier ist es eine israelische Frau, die einen palästinensischen Mann liebt, was ihr Vater nicht akzeptieren kann und schließlich gewaltsam unterbindet. Die beiden Geschichten werden ineinander verwoben, wobei auch zwei Orchester zum Einsatz kommen. Aus dem Graben erklingt Mozarts Musik. Im hinteren Bühnenteil sind Musikerinnen und Musiker platziert, die Czernowins Komposition spielen. Teilweise greifen die unterschiedlichen Stile auch ineinander.

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Die Gesellschaft (Community Chor) blickt misstrauisch auf die Liebe zwischen der Frau (Christina Baader, Mitte) und dem Mann (Samuel Pantcheff, Mitte) in Adama. (© Annemone Taake)

Als der Plan für die Inszenierung des Stückes entstand, waren die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten noch nicht absehbar. Dennoch oder gerade deswegen hat das Team um den in Deutschland lebenden israelischen Regisseur und Bühnenbildner Ran Chai Bar-zvi an dem Projekt festgehalten und sieht in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema das Bemühen um die Sehnsucht nach Frieden und einen Dialog, der der einzige Weg dorthin ist. Bar-zvi, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, arbeitet für den Part von Mozart mit recht klassisch gehaltenen Prospekten, die an ein Hoftheater mit bemalten Gassen erinnern. Diese Prospekte werden aus dem Schnürboden herabgefahren, wenn das Stück in die Geschichte um Zaïde und Gomatz eintaucht. Belle Santos hat für die Figuren Kostüme entworfen, die mit diesem Ambiente korrespondieren. Die Welt von Adama zeigt einen leeren Bühnenraum, der die Maschinerie des Theaters sichtbar macht, die normalerweise im Sinne der Illusion verborgen ist. Doch hier ist alles desillusioniert. Die Figuren, die bei Czernowin keine Namen haben, sondern nur als Mann, Frau und Vater bezeichnet werden, sind relativ farblos gekleidet. Während der Vater und die Frau ein helles Kostüm tragen, ist der Mann in Schwarz gekleidet. Der Chor verkörpert in Alltagskleidung das Volk. Nach der Pause reißt der Sultan die Prospekte herunter. Nun finden beide Stücke im gleichen Bild statt. Von den Seiten werden mehrere Stahlpodeste auf die Drehbühne gefahren, auf denen mit Oben und Unten verschiedene Machtstrukturen herausgearbeitet werden. Hier wird jetzt auch der Chor aus Adama Teil des Volkes aus Zaïde.

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Zaïde (Laia Vallés) mit Gomatz (Ángel Macías, Mitte links) und Allazim (Jonathan Macker, Mitte rechts) auf der Flucht (© Annemone Taake)

Czernowin hat für ihre Komposition Adama kein Libretto im eigentlichen Sinne verfasst, sondern verwendet ausschließlich Wörter aus dem Zaïde-Text, die dabei jedoch völlig zusammenhanglos wirken. Bisweilen werden auch einzelne Sprachfetzen auf Hebräisch für die Frau und ihren Vater bzw. Arabisch für den Mann eingefügt. Verstehen lässt sich das alles nicht. Laut Programmheft soll damit angedeutet werden, dass die Figuren um ihre Sprache ringen, also die Kommunikation zwischen ihnen gestört ist. Ob damit allerdings der Text von Mozart gedanklich hinterfragt wird, ist Ansichtssache, da man ohne den Hinweis im Programmheft mit Ausnahme an einer Stelle im Stück gar nicht wahrnimmt, dass die Wörter, die die Figuren stammeln und die man ohne die Übertitel gar nicht verstehen würde, da sie immer einzelne Silben wiederholen und sie wahllos zusammensetzen, aus Mozarts Zaïde stammen. Natürlich kann man aus heutiger Sicht hinterfragen, ob die liebliche Musik Mozarts dem Ernst der Geschichte gerecht wird. Andererseits gibt sie jedoch auch Hoffnung, die man in diesen Zeiten dringend benötigt. Und dieser Hoffnung will sich dann am Ende wohl auch die Inszenierung nicht verschließen. Der Abend endet mit dem Quartett aus Zaïde, in dem die drei Gefangenen den Sultan um Gnade anflehen. Doch während Mozart offen lässt, ob ihr Flehen erhört wird, gibt die Inszenierung eine deutliche Antwort. Nachdem der Sultan zunächst noch seine Macht ausgekostet hat und die drei Gefangenen mit Texten versorgt hat, die sie vortragen sollen, wenden sich am Ende das Volk und die Soldaten von ihm ab, und auch die drei Gefangenen gewinnen ein Selbstbewusstsein, ihre Bitten wesentlich fordernder vorzutragen und ihm die ausgeteilten Blätter an den Kopf zu werfen. Das Gute hat gesiegt, eine schöne Utopie.

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Sieg über den Sultan (Philipp Nicklaus, Mitte): Zaïde (Laia Vallés), Gomatz (Ángel Macías, Mitte rechts) und Allazim (Jonathan Macker, rechts) (© Annemone Taake)

Auch wenn die Musik Czernowins alles andere als eingängig ist, passt sie genau zu dem, was die Komponistin mit ihrem in das Fragment eingewobenen Stück erreichen möchte. Dabei macht bereits der Titel Adama klar, worum es Czernowin geht. Als Ganzes bedeutet das Wort "Erde" oder "Land", enthält aber auch die Begriffe "Mensch" (Adam) und "Blut" (Dam). Es geht also um ein Dreieck von Zugehörigkeiten, die vor allem in der israelischen Gesellschaft untrennbar miteinander verbunden sind, sei es durch den Holocaust oder die Kampfhandlungen im Nahost-Konflikt. In diesem Konflikt geht die Kommunikation, also die Sprache, verloren. Daher dekonstruiert Czernowin die Musik und den Text. Schreckliche Bilder lassen sich nicht durch Harmonien beschreiben. Von daher gibt es auch bei der Musik Mozarts, die uns musikalisch in "wohlige" Klänge abtauchen lässt, immer wieder "Störfaktoren" durch das zweite Orchester auf der Bühne. Chanmin Chung führt die Musikerinnen und Musiker auf der Bühne mit sicherer Hand durch die fremden Klangwelten und findet eine subtile Abstimmung zu Mathis Groß und den übrigen Mitgliedern des Sinfonieorchesters Aachen, die aus dem Graben agieren und Mozart in voller Pracht zum Klingen bringen. Der Community Chor Aachen überzeugt durch eindrucksvolles Spiel als manipulierbare Masse, aus der einzelne Personen immer wieder auszubrechen versuchen.

Auch die Solistinnen und Solisten lassen keine Wünsche offen. Laia Vallés gibt mit strahlendem Sopran eine wunderbare Zaïde, die das Herz des Sultans gewonnen hat, aber tiefe Gefühle für Gomatz hegt. Mit leuchtenden Koloraturen begeistert sie in ihrer ersten Arie, wenn sie Gomatz ihre Liebe gesteht und rührt mit bewegender Melancholie zu Tränen, wenn sie auf der Flucht allmählich die Hoffnung verliert. Wieso sie Gomatz statt eines Bildnisses einen Handschuh überreicht, erschließt sich nicht. Ángel Macías verfügt als Gomatz über einen höhensicheren Tenor, der mit großer Leidensfähigkeit punktet. Wieso der Text zu Beginn der Oper von Band eingesprochen wird (Furkan Yaprak) und Macías nur die Lippen bewegt, bleibt jedoch unklar. Jonathan Macker gefällt als Allazim mit leichtem Buffo-Bariton und erinnert ein wenig an Pedrillo aus Mozarts Entführung aus dem Serail. Anders als in der Entführung ist die Partie des Sultans Soliman keine Sprechrolle. Philipp Nicklaus überzeugt durch exaltiertes Spiel, das die Unberechenbarkeit des Sultans glaubhaft herausstellt, und punktet mit sauberem Tenor. Man wundert sich vielleicht, wieso Mozart diese Partie nicht für einen Bass komponiert hat, wobei es auch durchaus spannend ist, wenn zwei Tenöre um die Gunst der Sopranistin buhlen. Pawel Lawreszuk gibt den Osmin mit dunklem Bass. Deutlich stellt er seine Angst vor dem Sultan heraus. Am Ende wird er genauso gefangen genommen wie die drei Flüchtlinge, obwohl er doch eigentlich dem Sultan geholfen hat, was wiederum die Unberechenbarkeit des Sultans betont.

Christina Baader, Samuel Pantcheff und Andreas Fischer arbeiten die Parallelgeschichte eindrucksvoll heraus. Baader und Pantcheff stellen die langsam entflammende Liebesgeschichte zwischen der israelischen Frau und dem palästinensischen Mann größtenteils pantomimisch mit starkem Ausdruck dar. Nachdem sie zunächst durch die Hölle gegangen sind, gibt es am Schluss für sie trotzdem ein Happy End. Andreas Fischer überzeugt als Vater, der zwischen der Liebe zu seiner Tochter und fehlender Akzeptanz für ihre Entscheidung hin- und hergerissen ist und ähnlich wie der Sultan das Volk manipuliert. Am Ende ist für ihn genauso wenig Platz wie für den Sultan.

FAZIT

Auch wenn das Stück mit Czernowins Musik immer wieder die "Komfortzone" Mozarts verlässt und stellenweise anstrengend ist, bleibt der Abend als Ganzes eindrucksvoll.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Chanmin Chung (Adama)
Mathis Groß (Zaïde)

Regie und Bühne
Ran Chai Bar-zvi

Kostüme
Belle Santos

Licht
Eduard Joebges

Video
Luca Fois

Dramaturgie
Lucien Strauch



Sinfonieorchester Aachen

Community Chor Aachen

Extrachor Aachen


Solistinnen und Solisten

Zaïde
Laia Vallés

Gomatz
Ángel Macías

Allazim
Jonathan Macker

Sultan Soliman
Philipp Nicklaus

Osmin
Pawel Lawreszuk

Frau
Christina Baader

Mann
Samuel Pantcheff

Vater
Andreas Fischer

Gomatz' Stimme
Furkan Yaprak

 


Weitere Informationen
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Theater Aachen
(Homepage)





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