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Triumphmarsch als Skandal
Von Thomas Molke / Fotos: © Herwig Prammer Ernst zu nehmende Regisseure oder Regisseurinnen versuchen schon längst nicht mehr, das historische Ägypten irgendwie zu rekonstruieren, wenn sie Verdis Aida inszenieren. Auch wenn Antikenpomp, Kostümorgien und Pyramidendeko sich zum Vergnügen des touristischen Publikums in Veronas Arena anscheinend hartnäckig halten. Nein, Verdi war selbst nur zögerlich auf das Angebot eingegangen, für das Opernhaus in Kairo eine Ägyptenoper zu schreiben. Einer überdeutlichen couleur locale wollte er auch musikalisch nicht allzusehr nachgeben. Dem Handlungsentwurf des französischen Ägyptologen François Auguste Ferdinand Mariette stand er daher zunächst skeptisch gegenüber. Er spürte wohl auch, dass eine Oper von ihm vor allem dem übersteigerten Repräsentationsbedürfnis des osmanischen Vizekönigs, des Khediven von Kairo Ismail Pascha, zugute kommen sollte. Dieser war in jenen 1870er Jahren in erklärter Absetzbewegung vom konservativen Modell der "Hohen Pforte" (d.h. der Sultansherrschaft in Konstantinopel) dabei, in seinem Herrschaftsgebiet ein florierendes Wirtschaftswunder nach dem Vorbild der aufstrebenden Industrialisierung vor allem in Frankreich aufzubauen. Kairo sollte ein "Paris am Nil" werden. Dazu gehörte die Errichtung einer Eisenbahnlinie, der Aufbau einer schlagkräftigen Armee und nicht zuletzt der Bau des Suezkanals, alles mit vor allem französischem Kapital. Ein Opernhaus, natürlich in französischem Stil, für eine sehr kleine westlich orientierte bürgerliche Elite gehörte selbstverständlich dazu. Im Kleinen prallten zu dieser Zeit in Kairo die Konflikte des wirtschaftlichen Imperialismus und des Kolonialismus (in europäischer Variante) aufeinander und der Khedive war der Motor der ganzen Entwicklung. 1874 zettelte Ägypten einen Eroberungskrieg gegen Äthiopien an, den es verlor. Die hochfliegenden Machtpläne zerstoben bald auch wirtschaftlich, so dass Frankreich und England die Kontrolle über die bankrotten Staatsfinanzen Ägyptens übernahmen. 1. Akt, 2. Szene: Weihe der Waffen (Victoria Randem als Priesterin, Chor) Aber 1869, kurz nach der Eröffnung des Suezkanals, hob sich repräsentativ erst einmal der Vorhang der Königlichen Oper in Kairo: für Verdis Rigoletto. Von Aida war noch nicht die Rede. Erst aufgrund des Angebots von 150.000 Franc in Gold entschloss sich Verdi zur Komposition, deren Uraufführung 1871 stattfand. Und tatsächlich taugt die Oper, trotz des Trompeten schmetterndenTriumphmarschs, eigentlich wenig zur Bejubelung irgendwelcher Großmachtsphantasien. Vielmehr hegte Verdi eine tiefe Abneigung gegen Säbelrasseln und Kriegsgeschrei, Z.B. des preussischen Königs und ersten deutschen Kaisers Wilhelm. Denn mitten in den Kompositionsprozess der Aida fällt der unselige Deutsch-Französische Krieg 1870/71. Dies vorausgeschickt sind alles in allem wichtige Hintergründe, um den Regieansatz Calixto Bietos und seiner Dramaturgen angemessen würdigen zu können. Die Premierenkritik ging ungnädig mit dieser Produktion um. Sofern man sich aber auf diese Sichtweise einlassen möchte, war sie nicht so schlecht, wie sie gemacht wurde. Konsequent erzählt die Regie die Handlung aus der Metaebene, sie konfrontiert die Handlung an vielen Stellen mit ihrem historisch-gesellschaftlichen Kontext und zerstört dabei so manche vielleicht liebgewordene Sichtweisen. Sicherlich: das provoziert. Es weitet aber auch den Blick. 2. Akt, 2. Szene: Triumphmarsch (Chor) Bereits das Bühnenbild scheint in seinem kaltweißen Betoncharme wie eine Anspielung zur Geschichte von Aida zu sein, denn das Kairoer Opernhaus, die historische Spielstätte der Uraufführung, brannte irgendwann einmal ab und heute befindet sich an diesem Ort - eine Tiefgarage. Tiefgreifender aber sind die übrigen assoziativen Bezüge, die sich gerade auch in dieser minimalistisch spröden Bühnenarchitektur herstellen lassen. Sie dient u. a. als Fläche für Projektionen von Kriegshandlungen, während die Ägypter ihr "Guerra"-Geschrei anstimmen (der Chor ist großartig in seiner aggressiven Kraft); gut, dies ist nur eine Verdoppelung, aber andere Lösungen können eher als Kontrapunkte überzeugen. Die anschließende 2. Szene des 1. Akts wird als obszöne Waffenweihe gezeigt. In eindeutig erotisch konnotiertem Gestus schreitet eine Priesterin mit einem Kranz aus Gewehrpatronen im Haar durch die Reihen der ägyptischen Männer , während diese ihre aufgerichteten Waffen streicheln, ja regelrecht liebkosen: Kriegsbegeisterung als erotische Erfahrung. Erwin Schrott als Ramphis tut als Militärgeistlicher das Seinige dazu, in Stiefeln und mit Koppelschloss: autoritativ und kompromisslos, gestisch und vokal gleichermaßen eine starke Figur. 4. Akt, Gerichtsszene: Amneris (hier Premierenbesetzung) Der Obszönität des Krieges steht der Skandal der Siegesfeier über die unterworfenen Äthiopier nicht nach. Schon Radamès erscheint nicht als strahlender Held, sondern wie ein Geschlagener. Verletzt, traumatisiert und hilfsbedürftig muss er gestützt werden. Hier ist die Bühne dreigeteilt. Trompeten und Banda schmettern vom Podest im Hintergrund ihre Jubelfanfaren, im Vordergrund werden die Kriegsopfer hereingeführt, gedemütigte und verletzte Gestalten und Kinder, die Elektroschrott in Plastiktüten sortieren. Ein krasser Sprung ins Heute, in die Armenvierteln des globalen Südens, zugleich ein Fingerzeig auf die elenden Auswirkungen des Kolonialismus. In der Mitte hinter einer Absperrung dann das ägyptische Volk, beleuchtet wie ein altes rotstichiges Foto und kostümiert als bürgerliches Publikum aus der Zeit der Uraufführung der Oper. Während diese Kriegsgewinnler schließlich die Befreiung der Gefangenen bejubeln, reichen die Leute den Kindern Almosen über die Brüstung, milde Gaben für die "Dritte Welt": Das ist provokativ, aber doch eine eindeutige Aussage. Noch an zahlreichen Stellen kommentiert die Regie die Handlung mit Assoziationen an die Rezeptionsgeschichte, erzählt sie gleichsam aus der Metaebene, mit Mitteln "aus dem Archiv der Erinnerung" (Bieto). Dabei verliert sie die Darstellung der Konflikte zwischen den Figuren aber nicht aus den Augen. Die Personenregie schafft durchaus spannende Momente, wenngleich mitunter zu sehr der Rampengesang dominierte. Stark die beiden Bilder des vierten Akts. Im grellen Licht der Neonbeleuchtung verfolgen wir genau, mit welchen Qualen Amneris Radamés' Verurteilung durch die Priester erlebt. Über ihr senkt sich langsam eine schräge Ebene herab, die sie zu erdrücken scheint. Die Schlussszene zeigt Radamés wie an einen Elektrischen Stuhl gefesselt. Amneris nimmt ihm die Kapuze vom Kopf. Dann wird Aida, die äthiopische Fahne hinter sich herziehend, in diese Hinrichtungskammer geführt, Amneris stellt sich dem Paar zur Seite und singt abgewandt vom Publikum ihr "pace". Da bleibt nur Hoffnungslosigkeit, die in der Musik ausgedrückte Verklärung wird szenisch verweigert. In nahezu allen Rollen war an diesem Abend die Zweitbesetzung dieser Produktion angetreten und sämtlich erwies sich das Solistenensemble als staatsopernwürdig. Am meisten begeisterte Clémentine Margaine als Amneris das Publikum. Sie gestaltete die Rolle stimmlich ungemein ausdrucksvoll mit glutvollem Mezzo und hochexpressivem Temperament. Maria José Siri war eine Aida, überzeugend in Leid und Verzweiflung aber auch selbstbewusst im Widerstehen gegen die väterliche Autorität. Alle Farben verströmte ihr makellos geführter Sopran in berührender Schönheit. Ivan Magri als Radamés gelang es, die Spannung zwischen Heldischem und Lyrischem zu halten, stets kultiviert und wohlklingend setzte er sein Stimmpotential ein. Der König (Grigory Shkarupa) Auf den starken Auftritt Erwin Schrotts als Ramphis wurde schon hingewiesen. Als Playboy mit der Attitüde des Waffennarren legte die Regie den König an, den Grigory Shkarupa markant präsentierte. Fast furchterregend stark auch Alfredo Daza als äthiopischer König Amonasro, der seine Tochter als Lockvogel benutzen will, um den Aufmarsch der Gegner zu erkunden. Neben dem wandlungsfähigen Bühnenbild von Rebecca Ringst dienen in dieser Produktion die Kostüme von Ingo Krügler als besonders charakterisierende Elemente. Tierfelle als Trophäen kolonialer Großwildjagden, Amneris' weißes Brautkleid, die großbürgerliche Kleidung des 19. Jahrhunderts für den Chor, aber auch der wie Chaplins Großer Diktator mit der Weltkugel Weltmacht spielende Horrorclown wirken als Symbole für die Gedankenwelt dieser Interpretation. Von Nicola Luisotti hätte man mehr Italianitá im Orchester erwartet und mehr Flexibilität des Ausdrucks. Da blieb Vieles in Verdis reicher Partitur ungehoben, wenngleich das Orchester klangschön spielte. FAZIT Kulinarisch wäre dieser Opernabend nicht zu nennen. Das ambitionierte Ziel der Interpretation wurde erreicht, ob man es so beim Opernbesuch allerdings sehen will, ist sicherlich umstritten. Im Publikum jedenfalls war gegenüber der Inszenierung nicht nur Ablehnung auszumachen. Musikalisch aber kam es auf seine Kosten. Was das Gesangsensemble betrifft auf jeden Fall. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische
Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Video-Design
Dramaturgie
Einstudierung Chor
Staatsopernchor Staatskapelle Berlin
Solistinnen und Solisten
Der
König
Amneris, seine Tochter
Aida, äthiopische Sklavin
Radamés, Hauptmann der ägyptischen Truppen
Ramphis, Oberhaupt der Priester
Amonasro, König von Äthiopien, Aidas Vater
Priesterin
Ein
Bote
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Mitglied des Internationalen Opernstudios
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