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Falstaff

Commedia lirica in drei Akten
Libretto von Arrigo Boito
Musik von Giuseppe Verdi


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Bielefeld am 31. Mai 2024


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Theater Bielefeld
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Eine Spießbürgerkomödie in Beigetönen

Von Stefan Schmöe / Fotos von Bettina Stöß

Das Orchester lacht. Nicht nur ein- oder zweimal, sondern fast den ganzen Abend über. Es lacht in allen Farben; manchmal leise wie hinter vorgehaltener Hand, oft laut und triumphierend, und immer wieder platzt dieses Lachen ganz plötzlich heraus. Die in jedem Moment präsenten und wendigen Bielefelder Philharmoniker lassen dieses Gelächter unter der Leitung ihres Chefdirigenten Alexander Kalajdzic ganz wunderbar hörbar werden. Weil es sich vor allem in den Bläsern gut kichern, prusten und herausplatzen lässt, wirken die Streicher manchmal etwas unterrepräsentiert.

Szenenfoto

Falstaff mit Pistola und Bardolfo

Auch im Publikum wird viel gelacht, denn auf der Bühne agiert ein fabelhaft spielfreudiges Ensemble. Allen voran Evgueniy Alexiev in der Titelpartie, der, anders als im Libretto vorgesehen, keineswegs einen gealterten Ritter mit Wohlstandsbauch darstellt, sondern einen durchtrainierten, recht jungen Mann in nonkonformer schlabbriger Kleidung, Typ "großer Lausbub". Er tänzelt elegant über die Bühne, singt mit schlankem, fulminant zupackendem Bassbariton, dem es in manchen Momenten wie dem Schluss seines Monologs über die Nutzlosigkeit des Begriffs "Ehre" ein wenig an Wucht fehlt, aber über solche Momente spielt er geschickt hinweg (und hat im Dirigenten einen verlässlichen Partner, der die Musik rasant vorantreibt). Vielleicht könnte Regisseur Wolfgang Nägele ihn noch stärker seinen Charme gegenüber den Frauen ausspielen lassen, auch so etwas wie erotische Spannung aufbauen. Aber darum geht es der Regie nicht, die eine wirtschaftswundergesättigte Wohlstandsgesellschaft zeigt, die sich gegen jede Veränderung wehrt und immer wieder die Drehbühne anhalten möchte, wenn die sich bewegt.

Szenenfoto

Identische Liebesbriefe für Meg Page (ganz rechts) und Alice Ford - Mrs.Quicly (links) und Nanetta schauen interessiert zu.

Bühnenbildnerin Lisa Däßler hat als Ausdruck von Beständigkeit vier nahezu identische Räume auf diese Drehbühne gesetzt, und die Plastiktischdecken wie auch die Kostüme von Marie-Luise Otto sind im wörtlichen Sinne kleinkariert. Die Farbskala der Ausstattung reicht von verblasstem Altrosa bis zu Pappkartonbraun, wobei sich jede Menge verwaschener Grautöne einmischen. Farbloses Beige als Gemütszustand: Es ginge in diesem völlig unenglischen Windsor herzzerreißend langweilig zu, wäre da nicht Falstaff, der wie ein entfernter Verwandter des Puck aus dem Sommernachtstraum jede Menge Chaos stiften würde. Er ist der allgegenwärtige anarchistische Geist und gleichzeitig der Narr, der die Narrheit der anderen sichtbar macht. In der (zu) langen stummen Eingangssequenz sieht man als eingefrorenes Standbild die Gesellschaft mit neckischen Hütchen bei einer Party mit Konfetti und Bowle (fehlt nur der Mett-Igel), und Falstaff geistert unheimlich um sie herum. Die Inszenierung vermeidet eine realistische Erzählweise, vor allem hat Nägele auf den Ortswechsel verzichtet und Falstaffs Quartier im heruntergekommenen Gasthof gestrichen. Das ist ein bisschen schade, denn die Komödie gewinnt bei Verdi aus dem genau kalkulierten Gegensatz der Spielorte zusätzlichen Witz.

Szenenfoto

Ab in die Wäschekiste mit dem liebestollen Falstaff

Die deplatzierten Höflichkeitsgesten etwa, wenn Mrs. Quickly im zweiten Akt die Einladungen von Alice Ford und Meg Page (denen Falstaff identische Liebesbriefe geschickt hatte) zum vermeintlichen Rendezvous überbringt, hat man schon pointierter ausinszeniert gesehen - wobei Alexandra Ionis diese Mrs. Quickly nicht nur mit gouvernantenhaftem Witz, sondern auch mit einer tollen dunkelsatten Altstimme ausstattet, die das wiederholte "Reverenza!", eine schier unendlich tiefe auskomponierte Verbeugung, gerne noch mehr herausstellen dürfte. Und wenn Alice, Meg und die feine Gesellschaft von Windsor Falstaff im Original mitsamt der Schmutzwäsche in die Themse werfen, dann schmeißen sie ihn ja damit auch aus ihrer geordneten Welt hinaus - hier kippen sie lediglich den Wäschekorb samt darin verstecktem Möchtegern-Liebhaber Falstaff im Zimmer aus, was doch um einiges harmloser bleibt. Aber hier wird man diesen Falstaff eben nie los, und statt Schmutzwäsche gibt es ausrangierte Kleidungsstücke in allen unpassenden Größen, die als Verkleidung für das Finale dienen. Das wiederum, in seinem sommernachtstraumhaften Feen-und-Geister-Verkleidungsspiel meist ein Stolperstein für die Regie, funktioniert ziemlich gut auf der im dritten Akt weitgehend offenen Bühne. Von den Räumen zuvor sind nur noch leere Rahmen übriggeblieben.

Szenenfoto

Das Finale: Falstaff am Boden, Ford triumphiert

Es wird viel pralle Komödie geboten, szenisch wie musikalisch. Wobei Dušica Bijelić als Alice Ford und Ruth Häde als Meg Page vokal etwas zu brav bleiben gegenüber dem in seiner Eifersucht stimmlich mit großer Durchschlagskraft tobenden Todd Boyce als Ford und dem in aller Hilflosigkeit musikalisch immer präsenten Dr. Cajus, dem tollpatschigen Wunschschwiegersohn Fords. Veronika Lee als Fords Töchterchen Nanetta, als indisponiert angesagt (ob es daran lag, dass die Stimme ein wenig wacklig klang?), glänzt mit beeindruckenden Pianissimo-Tönen in hoher Lage. Davon könnte sich Andrei Skliarenko als Liebhaber Fenton ruhig etwas ablauschen, denn sein leicht metallischer, höhensicherer Tenor verlässt allzu selten das Forte. Dass die beiden ein bewegteres Leben führen werden als ihre im Wohlstand erstarrte Elterngeneration, das glaubt die Regie diesem durch und durch angepassten Paar nicht. Dumitru-Bogdan Sandu und Moon Soo Park als agile Diener Bardolfo und Pistola sowie der klangschöne Opernchor runden ein gutes Ensemble ab, das in einer fulminant gesungenen und gespielten Schlussfuge resümieren kann: Was sind wir doch für Narren.


FAZIT

Shakespeare und Verdi hätten sicher mitgelacht: Dieser Falstaff präsentiert sich dank einer tollen Ensembleleistung als witzige und ausgesprochen kurzweilige Komödie.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Kalajdzic

Inszenierung
Wolfgang Nägele

Bühne
Lisa Däßler

Kostüme
Marie-Louise Otto

Licht
Johannes Paul Volk

Chor
Hagen Enke

Dramaturgie
Laura Herder


Chor und Extrachor
des Theaters Bielefeld

Bielefelder Philharmoniker


Solisten

* Besetzung der Premiere

Sir John Falstaff
Evgueniy Alexiev

Ford
Todd Boyce

Fenton
Andrei Skliarenko

Dr. Cajus
Lorin Wey

Bardolfo
Dumitru-Bogdan Sandu

Pistola
Moon Soo Park

Alice Ford
Dušica Bijelić

Nannetta
*Veronika Lee /
Mayan Goldenfeld

Mrs. Quickly
Alexandra Ionis

Meg Page
Ruth Häde



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