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Der mehrfache elende Tod eines einst so berühmten Mannes
Von Stefan Schmöe /
Fotos von Bettina Stöß
Columbus wird zweimal vom Sockel gestoßen. Statuen werden geschleift, darunter die im Kapitol des Staates Kalifornien in Sacramento. Die Figurengruppe, 1883 aufgestellt und 2020 entfernt, zeigt den Seefahrer mit der spanischen Königin Isabella I. (1451 - 1504), seiner wichtigsten Unterstützerin für die Fahrten, die den Seeweg nach Indien zeigen und neue Länder - und Reichtümer - erschließen sollten. Mit Columbus' Landung auf dem "neuen" Kontinent, wenn auch zunächst auf den vorgelagerten Inselgruppen (erst auf seiner vierten Reise betrat Columbus das mittelamerikanische Festland) begann die Versklavung und Vernichtung der Bewohner. Die Inszenierung von Jakob Peters-Messer blendet ab und zu Textpassagen mit den Zahlen der Opfer ein, um diesen Aspekt im Bewusstsein zu halten. Als heroischer Pionier und Entdecker, als der er einmal wahrgenommen wurde, hat Columbus ausgedient.
Dieses längst revidierte Bild mochte Werner Egk noch vor Augen gehabt haben, als er 1930 im Auftrag des Bayerischen Rundfunks mit der Arbeit an seiner rund 90-minütigen "Funkoper" begann. Im ersten Akt erscheint Columbus als Visionär, dem niemand Glauben schenken mag. Wobei er keineswegs wissenschaftliche Argumente für die Unternehmung anführt, sondern die Ausbreitung des katholischen Glaubens und die Aussicht auf wirtschaftliche Ausbeutung der fremden Länder. Dafür war, so geht Egks Erzählung, nicht einmal eine Besatzung für die Schiffe zu finden. Erst das Versprechen von Amnestie für Strafgefangene, die sich zur Teilnahme an der Expedition bereiterklärten, brachte die erforderliche Mannschaft zusammen. Die Verkündung spanischen Eroberungsrechts steht im Zentrum des zweiten Aktes. Doch alsbald erfolgt der Sturz des Helden: Weil sich die Hoffnung auf schnelles Gold nicht erfüllt und Columbus sich als unfähiger Gouverneur der neuen Kolonialgebiete erweist, wird er in Ketten zurück nach Spanien gebracht. Egk, der das Libretto selbst verfasste, übergeht die zweite, dritte und vierte Reise und zeigt im dritten Akt den Tod des resignierten Seefahrers. Der gelangt im Sterben zu der Erkenntnis, dass sein Paradies nun mit Blut besudelt ist. Verstand und Weisheit seien, so seine letzten Worte, mehr als Silber und Gold. Habgier und Eigennutz, so resümiert der Chor, zogen in die "neuen" Länder ein. "Wenn aber einer diesen Teufeln die Herrschaft streitig zu machen vermag, dann füllen sich die Schatzhäuser den blühenden Geschlechtern."
Entschlossen, neue Welten zu entdecken: Columbus
Egk zeichnet also ein recht zwielichtiges Columbus-Bild, das sich nicht leicht einordnen lässt. So recht wussten die Verantwortlichen beim Rundfunk auch nicht, wie die erste Ausstrahlung der Oper am 13. Juli 1933 bei den neuen nationalsozialistischen Machthabern ankommen würde. Die Musik hat immer wieder Anklänge an Egks Lehrer Carl Orff (insbesondere der mehrfach wiederholte blockhafte Chorsatz am Beginn der Oper erinnert stark an Orffs - später entstandene - Carmina Burana) und distanziert sich klar von der Zwölftonmusik der Schönberg-Schule. Die Musik wirkt andererseits anti-psychologisch im Vergleich zu Richard Strauss oder Giacomo Puccini und steht darin Hindemith, Weill und Eissler näher. Gleichwohl fand das Werk gefallen. Egk, der nie der NSDAP beitrat, arrangierte sich mit den Machthabern, komponierte eine Festmusik für die Olympischen Spiele 1936 und stieg später zum einflussreichen Funktionär der Reichsmusikkammer auf. Zum Columbus-Jahr 1942, also 450 Jahre nach der Landung, erlebte seine Rundfunkoper mit der nüchternen Werksbezeichnung "Bericht und Bildnis" die szenische Uraufführung in Frankfurt, ohne an die Erfolge anderer Bühnenwerke Egks wie Peer Gynt anknüpfen zu können. Egk setzte seine Karriere im Nachkriegsdeutschland nahezu bruchlos fort und stand ab 1954 an der Spitze des Deutschen Komponistenverbandes. Als später die 68er aufbrachen, den Muff von tausend Jahren zu durchlüften, geriet er mehr und mehr in Vergessenheit. Eine gewisse Berühmtheit bewahrte er sich bei Kreuzworträtselliebhabern als allgegenwärtiger "Komponist mit drei Buchstaben": Ein Nachruhm der tragikomischen Art.
Die Bonner Oper stellt Columbus im Rahmen der ambitionierten Reihe "Fokus '33", die das Verbleiben und Verschwinden von Werken des Musiktheaters in den Spielplänen untersucht, zur Diskussion. Wobei in diesem Fall der kolonialismuskritische Ansatz die historische Einordnung überdeckt und dem Werk eine Spannung ganz eigener Art verleiht. Die schillernde, oft allerdings auch holzschnittartig pompöse Musik, die mitunter wie ein groß dimensioniertes musikalisches Puppentheater klingt, lässt an vielen Stellen Interpretationsspielräume. Die Regie von Jakob Peters-Messer liefert dazu letztendlich erwartbare Zutaten: Die schon erwähnte Isabella-Columbusstatue, die sich über den Trümmern von Kunstwerken der amerikanischen Ureinwohner erhebt (und am Ende symbolisch gekippt wird); eine mit viel Gold als Symbol vermeintlicher Bodenschätze ausgeschlagene Bühne (Sebastian Hannak), die eher modernen, auch auf die deutsche Kolonialgeschichte verweisenden Kostüme (Sven Bindseil). Das Orchester sitzt in einem tempelartigen Bau auf der Bühne wie der eigentliche Schatz, die Trümmer auf der Vorderbühne erklären das Geschehen zur archäologischen Spurensuche, etliche Fernseher mit unterschiedlichen Videosequenzen ordnen alles in die Gegenwart ein. Hinzu kommt eine Erweiterung der Szene auf den Zuschauerraum, der oft in das Geschehen einbezogen wird, als wolle die Funkoper hier sehr bewusst das Theater erobern wie einst Columbus ferne Kontinente. Stärker allerdings ist hier der Bezug zum antiillusionistischen Brecht-Theater, das die Zuschauer hier zu Komplizen der Eroberer macht. Insgesamt geht dieses Konzept hier recht gut auf.
Historiker schauen bitte kurz weg: Der sterbende Columbus in den Armen der blutbefleckten Königin Isabella (die streng genommen einige Jahre vor ihm starb)
Weil die Akteure, insbesondere der ausgezeichnete Chor (verstärkt durch den Extra-Chor), bestens bei Stimme sind, wird es immer wieder ziemlich laut, manchmal auch lärmend - was hier durchaus Sinn entfaltet, wenn in der Musik affirmativ dem Katholizismus gehuldigt wird und die darin verborgene Ambivalenz, ob nun vom Komponisten geplant oder nicht, durch den geballten Klang hörbar wird. Giorgos Kanaris ist mit unerschütterlich strahlkräftigem Bariton ein machtbewusster Columbus. Anna Princeva, manchmal durch recht ausladendes Vibrato etwas unscharf, gibt der Königin Isabella mit betörend schönem, mädchenhaftem Timbre vokal großes Format, gegen das Santiago Sánchez mit beweglichem Tenor als zaudernder König Ferdinand nicht ankommt. Das Geschehen wird durchgängig von zwei Sprechern kommentiert (eindrucksvoll: Bernd Braun und Christoph Gummert), der eine eher euphorisch, der andere skeptisch. Was seinerzeit der Hörerschaft vor dem Radio die Handlungszusammenhänge erschließen sollte, unterstreicht auf der Bühne den Diskurscharakter. Unter der Leitung von Hermes Helfricht lässt das bestens disponierte Beethoven Orchester an Präzision und Farbreichtum keine Wünsche offen.
Egks etwas spröde zwischen Eroberungswahn und Gewissensbissen zerrissener Columbus bleibt sicher eine Randerscheinung des Repertoires, aber diese musikalisch hochkarätige Bonner Produktion entwickelt in der Regie von Jakob Peters-Messer daraus einen durchaus spannenden Diskurs über unseren Umgang mit der Kolonialgeschichte.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Video-Design
Co-Video-Design
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Columbus
Ferdinand
Isabella
Erster Rat
Zweiter Rat
Dritter Rat
Ein Mönch
Herold
Vorsänger
Sprecher
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