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Bilder gegen das Bilderverbot
Von Stefan Schmöe /
Fotos von Sebastian Hoppe
Kompliziert genug ist eine Produktion von Moses und Aron schon unter normalen Umständen. In Bonn kam die Corona-Pandemie hinzu, die eine Verschiebung des Mammut-Projekts erforderte. Dann verstarb im April dieses Jahres Dramaturg Andreas K. W. Meyer, der ganz maßgeblich für die Konzeption und Umsetzung der grandiosen Reihe FOKUS '33 verantwortlich war, die etliche vergessene (und einige im Repertoire verankerte) Opern aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts präsentiert und damit untersucht, wie der Kulturbruch von 1933 bis heute in die Spielpläne hinein wirkt. Die Premiere von Schönbergs zwischen 1930 und 1932 komponierter, nicht vollendeter Oper - in mancher Hinsicht Höhepunkt der Reihe - hat er nun nicht mehr erleben können. Und der Überfall auf Israel am 7. Oktober mit allen Konsequenzen setzt die Oper, die auch als Reaktion (und Vorausahnung) des Komponisten auf den Antisemitismus seiner Zeit gedeutet worden ist, zusätzlich in ein grelles Licht. Die Flucht aus Ägypten und die Suche nach dem von Gott verheißenen gelobten Land, also die Frage nach den Bedingungen der Existenz des Volkes Israel, ist plötzlich von einer Brisanz, die man sich so nicht gewünscht hat.
In der eigenwillig verrätselten Inszenierung von Lorenzo Fioroni gibt es zwei große Tableaus, die indirekt (und ohne konkreten Bezug zu den aktuellen Ereignissen) darauf anspielen. Im ersten sieht man im riesigen goldenen Bilderrahmen, der in dieser Szene das Bühnenportal einfasst, den Chor als großbürgerliche Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts (Bühne: Paul Zoller, Kostüme: Sabine Blickenstorfer). Dahinter lässt sich der politische Zionismus um Theodor Herzl (der 1896 seine Schrift Der Judenstaat veröffentlichte) erahnen. In der nächsten Szene hat der Chor die schwarze Oberbekleidung abgelegt, stellt in der Wüste Tische und Stühle auf und nimmt mit Geräten zur Landvermessung offenbar Besitz von den Gebieten, die man erreicht hat. Damit umreißt Fioroni die historisch-politische Dimension, ohne allzu konkret zu werden. Vielmehr dominiert insbesondere in der ersten der genannten Szenen eine theaterhafte Künstlichkeit, als seien die Figuren in ein Diorama hineingestellt worden. Die Inszenierung verweigert sich nicht nur hier einem Illusionstheater.
Historienbild: Soll man sich so das israelische Volk zur Zeit Theodor Herzls vorstellen?
Um die Frage der Bebilderung kreist das eigentliche Thema dieser Oper. Du sollst Dir kein Bild von Gott machen - Moses wird zum Vertreter eines dogmatischen Bilderverbots, das den reinen Gedanken propagiert. Aron will dem Volk die Religion über Bilder vermitteln. Darin sind die beiden Antagonisten, der Dogmatiker und der Pragmatiker; Gesinnungsethiker und Verantwortungsethiker. In der ersten Szene lässt die Regie die beiden wie große Figuren aus dem Kasperletheater agieren, Moses als gesetzter alter Mann, Aron als gehörnter Teufel. Damit wird das vermeintliche Gegensatzpaar vorgeführt und direkt karikiert. Den Hintergrund bildet zunächst eine fotografische Landschaftsaufnahme, mit dem Fisheye, einem extremen Weitwinkelobjektiv, aufgenommen - mehr Bild lässt sich per Fotografie eigentlich nicht machen. Die Puppen, ein paar Pappschafe und eine barock anmutende Theaterkulisse bilden den irritierenden Gegensatz dazu. Wenn Moses und Aron aber später die Puppenkostüme ablegen, sehen sie ganz gleich aus, Zwillinge - oder vielmehr dieselbe Person? Aron wird in der Oper zum Sprachrohr Moses', dessen Worte versagen. Die Regie spielt auch hier mit verschiedenen Modellen - und auch mit sehr unterschiedlichen ästhetischen Ansätzen.
Die Frage nach den Bildern und Symbolen als Repräsentanten für Ideen führt zum Künstlerdrama. Das betrifft natürlich auch die Komposition, und deren heikelste Szene ist der Tanz um das goldene Kalb, das Aron gießen lässt. In einem orgiastischen Ritual werden Menschen geopfert, darunter vier nackte Jungfrauen, so fordern es Libretto und Partitur. Zwangsläufig läuft jede Musik hier Gefahr, als illusionistisch verstanden zu werden. Fioroni zeigt diese Szene gar nicht, sondern den abwesenden Moses (der von Gott die Gesetzestafeln erhält). Dieser Moses ist in einem weißen Raum eingeschlossen, in dem allerlei Gerümpel liegt und in den von oben die Bilder vorheriger Szenen hinabgeworfen werden - wie zum Beispiel die Pappschafe des Beginns. Moses, der Künstler, entkleidet sich, übergießt sich mit Farbe, wirft sich dann gegen die Wände - ein happening, eine Suche nach radikalen künstlerischen Formen zur Überwindung der Bildhaftigkeit. Sängerdarsteller Dietrich Henschel, von blendender Statur und offensichtlich bestens durchtrainiert, liefert ein beeindruckendes Spektakel. Seine Nacktheit kann man als Anspielung auf die vom Libretto vorgesehenen nackten Jungfrauen deuten, und die Abgründigkeit der Szene ist kein schlechter Ansatz, das Opferritual durch ein völlig anderes Bild zu ersetzen. Man kann hier wie auch in vielen anderen Szenenbildern sicher im Detail über die Logik des Gezeigten diskutieren. Fioroni, Zoller und Blickenstörfer finden immer wieder faszinierende und gleichzeitig irritierende Bildlösungen, die viel eher Gedanken provozieren (im Sinne Moses') als das Geschehen bebildern.
action painting: Moses
Das Gesetz ist Moses selbst. Er bringt keine Gesetzestafeln mit, die er zertrümmern kann - er zerstört sich selbst. Damit stellt sich die Frage nach dem von Schönberg nie komponierten dritten Akt und dem richtigen Umgang mit diesem Opernfragment gar nicht, den zwangsläufig ist die Handlung hier an ihrem Ende angekommen. Fioroni versucht, im letzten Bild die verschiedenen Elemente noch einmal zusammenzuführen, was nicht recht gelingt. Man sieht ein Krokodil aus dem Kasperletheater, natürlich Aron (jetzt ohne Ähnlichkeit zu Moses), und im Hintergrund den Zug der Israeliten. Die Regie kann oder will die Erzählstränge nicht bündeln und schafft keine geschlossene Interpretation. Aber in dieser Offenheit liegt eine große Stärke. Schönbergs großes Werk wird nicht enträtselt. Es liegt wie ein großes Geheimnis vor uns.
Dabei entfaltet die Aufführung eine ungeheure musikalische Wucht. Als Hauptakteur leisten der Bonner Opernchor und das Vocalconsort Berlin mit bewundernswerter Präzision und Sicherheit Außerordentliches (Einstudierung: Marco Medved). Der Klang kann ins Monumentale gesteigert werden, bleibt aber sehr differenziert und auch im Pianissimo von großer Spannung. Gerade die (extrem schwierig zu singenden) Chorpassagen sind von großer Sinnlichkeit. Dietrich Henschel ist auch vokal ein großartiger, volltönender Moses, der den der Figur von Schönberg verordneten Sprechgesang perfekt und mit großer Musikalität umsetzt. Martin Koch singt mit wendigem und agilem Tenor einen eindrucksvollen Aron. Auch die kleineren Partien sind sehr gut besetzt. Dirk Kaftan am Pult des ausgezeichneten Beethoven Orchesters lässt den Klang nie massig werden. Er romantisiert Schönbergs Partitur nicht, folgt den Linien aber mit großem Bewusstsein für die klanglichen Qualitäten - so klingt diese Zwölftonmusik keineswegs spröde, sondern berührt auch auf der emotional erfahrbaren Ebene. Großer, beinahe einhelliger Jubel beim Premierenpublikum.
Als Bürgerschreck hat Schönberg ausgedient: Diese auch szenisch, vor allem aber musikalisch höchst eindrucksvolle und bewegende Produktion unterstreicht die Bedeutung von Moses und Aron in der Theatergeschichte. Eine Großtat der Bonner Oper.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Mitarbeit Regie
Chor
Dramaturgie
Solisten
Moses
Aron
Ein junges Mädchen / Erste nackte Jungfrau
Eine Kranke
Ein junger Mann / Der nackte Jüngling / Jüngling
Ein anderer Mann / Ephraimit
Ein Priester
Zweite nackte Jungfrau
Dritte nackte Jungfrau
Vierte nackte Jungfrau
1. Solostimme
2. Solostimme
3. Solostimme
4. Solostimme
5. Solostimme
6. Solostimme
Chorsoli
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