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Anatevka (Fiddler on the Roof)

Musical in zwei Akten
basierend auf den Geschichten von Scholem Alejchem
mit ausdrücklicher Genehmigung von Arnold Perl
Buch von Joseph Stein
Musik von Jerry Bock
Gesangstexte von Sheldon Harnick
Deutsch von Rolf Merz und Gerhard Hagen


in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 20' (eine Pause)

Premiere am 18. Mai 2024 im Opernhaus Düsseldorf
(rezensierte Aufführung: 2. Juni 2024)


Homepage

Rheinoper
(Homepage)
Die Vertreibung aus dem Paradies, das nie eines gewesen ist

Von Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then

Anatevka ist eine Geschichte von Flucht und Vertreibung einer jüdischen Gemeinde aus einem Dorf im russischen Zarenreich. Und es ist eine Geschichte von Traditionen und deren Zerbrechen, von der Unvermeidbarkeit (und Notwendigkeit) des Wandels. Und natürlich ist es eine tragikomische Familiengeschichte, bei der drei der fünf Töchter gegen den Willen der Eltern dem vermeintlich falschen Mann folgen. Angesichts des armen, aber tüchtigen Schneiders Mottel kommen Vater Tevje, Milchmann und pragmatischer Jude, und seine Frau Golde bei der ältesten Tochter Zeitel über die unvorhergesehene Liebeshochzeit schnell hinweg - auch wenn sich damit die Aussicht auf Wohlstand durch einen vermögenden Schwiegersohn wie den reichen, aber eben auch ziemlich alten Fleischer Lazar Wolf zerschlägt. Hodel, die zweitälteste, folgt ihrem studentischen Liebhaber und Anarchisten Perchik in die Verbannung nach Sibirien - aber der ist immerhin Jude. Das ist der junge Russe Fedja nicht, mit dem Chava anbandelt, und da hat auch Tevje bei allen Vatergefühlen kein Einsehen und verstößt das Lieblingskind. Fast jede Inszenierung endet mit wenigstens einem kleinen Zeichen der Versöhnung der beiden. Diese nicht. Hier bleibt Tevje verbittert und sprachlos zurück.

Szenenfoto

Tevje und der Fiedler auf dem Dach

Regisseur Felix Seiler belässt die Geschichte im Jahr 1905. Das zeigt sich vor allem an den schönen Kostümen (Sarah Rolke), die sich erkennbar historisch - oder besser: traditionell - geben, gleichzeitig eine gewisse Künstlichkeit und Zeitlosigkeit besitzen. Aus einem breiten Spektrum an Pastellfarben stechen Tevjes Frau und Töchter durch leuchtend blaue Kleider hervor. Eine wirkliche Dorfkulisse gibt es nicht; auf der zunächst leeren Bühne hängen die Menschen weiße Tücher auf wie ein Zeichen der Landnahme - und hängen sie ab, wenn sie das Dorf nach einem zaristischen Dekret binnen drei Tagen verlassen müssen, sodass eine leere schwarze Bühne zurückbleibt (Bühnenbild: Nikolaus Webern). Aus diesen Tüchern, raffiniert ausgeleuchtet (Licht: Volker Weinhardt), entsteht sehr eindrucksvoll eine fragile Welt, die in ihrer Abstraktion die Geschichte verallgemeinert. Dieses Anatevka kann überall liegen.

Szenenfoto

Golde (links) und Heiratsvermittlerin Jette

Es gelingt der Regie gut, so viel Zeitkolorit wie nötig zu zeigen, ohne ins gefühlig-folkloristische abzudriften. Ein paar Auftritte eines Herren-Tanzensembles (Choreographie: Danny Costello) rücken manche Szenen in Richtung Revue - Seiler unterschlägt keineswegs, dass die Gattung Musical eben auch unterhalten möchte, und das tut sie auch hier mit Erfolg. Das ist kein Widerspruch zum ernsten Grundton. Der Fiedler auf dem Dach, der dem Werk (das im amerikanischen Original Fiddler on the Roof heißt) den Namen gibt, ist schwarz gekleidet und auf der Bühne ziemlich präsent (Victoria Moreno Zaldúa spielt die stumme Figur nachdrücklich und mit schönem Geigenton). Als Symbol für den kulturellen Selbstbehauptungswillen dieser Gemeinschaft wird ihr beim Pogrom auch das Instrument zerstört. Seiler idealisiert die jüdische Gemeinde nicht mehr als nötig; er zeigt Streit und Egoismus, ohne diese allzu sehr als schrullige Eigenart abzumildern. Er nimmt die Tragik des Stückes ernst und verniedlicht sie nicht (auch wenn man das Pogrom ausgerechnet beim Hochzeitsfest von Hodel und Mottel schon drastischer inszeniert gesehen hat). Und wenn am Ende die beiden jüngsten Töchter den schweren Korb mit Habseligkeiten der Familie kaum tragen können, dann ahnt man zumindest ganz entfernt, was Vertreibung bedeutet.

Szenenfoto

Liebesheirat: Zeitel und Mottel

Schauspieler Andreas Bittl (an seine spröde Art der Darstellung muss man sich einen Moment gewöhnen) spielt und singt den Tevje, aus dessen Perspektive das Stück erzählt wird, nicht nur mit Witz und Menschlichkeit, sondern auch mit Strenge und Würde. Er ist im Gegensatz zu allen anderen Darstellerinnen und Darstellern kein Opernsänger, was den Blickwinkel ein Stück Richtung Schauspiel verschiebt, bewältigt die Songs dabei recht ordentlich. Der musikalische Tonfall ist natürlich ein anderer als etwa bei Susan Maclean als lebenspraktisch denkende Mutter Golde. Anna Sophia Theil (Zeitel), Kimberley Boettger-Soller (Hodel) und Mara Guseynova (Chava) sind klangschön singende Töchter, die mit Charme wie mit Nachdruck um ihre Selbstbestimmtheit kämpfen. Das Opernensemble der Rheinoper, u. a. mit Morenike Fadayomi (Jente), Roman Hoza (Mottel), Florian Simson (Perchik), Valentin Ruckebier (Fedja) und Günes Gürle (Lazar Wolf), gibt sich ausgesprochen spielfreudig, wobei die Stimmen von der Tontechnik ruhig etwas subtiler elektronisch verstärkt werden dürften. Auch der Chor (Einstudierung: Patrick Francis Chestnut), in diversen kleinen Partien auch solistisch gefordert, singt und spielt sehr engagiert und zuverlässig.

Szenenfoto

Abschied von Vater Tevje: Hodel folgt ihrem verurteilten Verlobten nach Sibirien

Im Orchestergraben begleiten die Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung von Kapellmeister Harry Ogg ganz ausgezeichnet, wobei die Solo-Klarinette sehr schön (und wunderbar unopernhaft) da, wo es verlangt ist, den Klezmer-Tonfall der Musik trifft. Hier und da dürfte Ogg das Tempo noch eine Spur anziehen. In dieser Nachmittagsvorstellung vor vollem Haus sieht man im Publikum alle Generationen. Theater für alle also, mit großem Applaus belohnt.


FAZIT

Der Rheinoper gelingt eine schöne, berührende Inszenierung von Anatevka in tollen Bildern.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
* Harry Ogg /
Christoph Stöcker /
Katharina Müllner

Inszenierung
Felix Seiler

Bühne
Nikolaus Webern

Kostüme
Sarah Rolke

Licht
Volker Weinhart

Choreographie
Danny Costello

Chor
Patrick Francis Chestnut

Dramaturgie
Juliane Schunke



Chor der Deutschen Oper am Rhein

Düsseldorfer Symphoniker


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Tevje
Andreas Bittl

Golde
Susan Maclean

Zeitel / Oma Zeitel
*Anna Sophia Theil/
Vero Miller/
Lavinia Dames

Hodel
Kimberley Boettger-Soller

Chava
Mara Guseynova

Sprintze
*Marla Rockstroh/
Nora Kriele

Bielke
*Carla Schwitzke/
Mara Schneider

Jente
Morenike Fadayomi

Fruma Sarah
Katarzyna Włodarczyk/
*Alina Grzeschik

Mottel
Roman Hoza

Perchik
Florian Simson

Lazar Wolf
Günes Gürle

Fedja
Valentin Ruckebier

Wachtmeister
Stefan Stechmann

Rabbi
Johannes Preißinger

Sascha
Andrés Sulbarán

Mendel
*Ingmar Klusmann/
Zhive Kremshovski

Awram
*Klaus Walter/
Jonas Gudmundsson

Nachum
*Cezar Adrian Dima/
Junho Jung

Motschach
Mathias Tönges

Erste Frau
Mirjana Burnaz/
*Anna Neufeld

Zweite Frau
Diana Klee/
*Mirjana Burnaz

Schandel
*Birte Hopstein/
Cornelia Maria Orendi

Eine Frau
Manuela Kunze

Ein Mann
*Jonas Gudmundsson/
Klaus Walter

Fiddler
*Victoria Moreno Zaldúa/
Annika Franke

Tänzer
*James Atkins/
Jack Widdowson
*Luca Graziosi/
Shin-Nosuke Nagata/
Giovanni de Dominico
*Ulrich Kupas
*Lorenzo Malisan
*Antonio Rasetta
*Evaldo de Oliviera Melo jr.
*Thomas Bauer
*Rodrigo Tavella



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



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