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Des Grales Rätsel bleiben ungelöst
Von Stefan Schmöe / Fotos von Andreas Etter und Sandra Then
Vermutlich hat noch niemand den Parsifal richtig verstanden. Nietzsches Verärgerung über die pseudokatholische Attitüde des Bühnenweihfestspiels ist genauso unsinnig wie jedes Ansinnen, Richard Wagner zu einem Verfechter sexueller Askese stilisieren zu wollen. Netterweise lässt das Libretto Parsifal selbst die vielleicht entscheidende Frage stellen: "Wer ist der Gral?" (er fragt tatsächlich "wer" und nicht "was"). Und Gurnemanz antwortet ausweichend mit den berühmten Worten: "Das sagt sich nicht". So mancher Regisseur hat da herausgehört: "Das sage ich Dir nicht" und sich fortan berufen gefühlt, das Rätsel zu lösen. Michael Thalheimer geht in seiner Inszenierung, die bereits im koproduzierenden Opernhaus in Genf zu sehen war, einen anderen Weg: Er lässt das Rätsel um den Gral unbeantwortet. Statt der Oper die soundsovielste (Um-)Deutung mitzugeben, zieht er sich ziemlich weit zurück und beschränkt sich darauf, mit Bühnenbildner Henrik Ahr und Kostümbildnerin Michaela Barth für die Rätsel der Oper eine adäquate Bildsprache zu finden. Irgendeine schwere Schuld lastet auf diesen blutbefleckten Gralsrittern, denen Gurnemanz (vorne) mit Engelsgeduld noch einmal die Geschichte ihres Ordens erzählt (Foto: Sandra Then)
Die Bühne besteht im ersten Aufzug aus einer grauen Wand, in der Mitte vertikal wie horizontal durch einen Spalt geteilt (wodurch das christliche Kreuz als Bildelement entsteht) - ein nüchterner, abstrakter Raum ohne irgendeine örtliche oder historische Fixierung. Installiert ist das auf einer Drehbühne, die sich auch gelegentlich dreht (etwa zur Verwandlungsmusik), was dann schon nach überflüssigem Aktionismus aussieht. Hinzu kommen Seitenwände, auf die alsbald mit Blut allerlei Kreuze gemalt werden, sodass eine veritable Friedhofslandschaft entsteht. Für Klingsors Zaubergarten im zweiten Aufzug erscheinen die Seitenwände massiver und die kreuzförmige Öffnung weicht einer rein vertikalen, die Klingsors Turm zeigt. Der dritte Aufzug spielt im nahezu gleichen Ambiente wie der erste, nur dass statt der Seitenwände nun eine Batterie an Scheinwerfern rechts und links die Spielfläche begrenzt. Dieser karge Raum lässt viele Assoziationen zu - wenn man sich auf die Freiheiten, die dem Zuschauer hier gegeben sind, einlässt. Oder eben auch nicht, jedenfalls gab ein Premierenbesucher in einer der Pausen knapp, aber durchaus präzise per Mobiltelefon zu Protokoll: Betonwände, Licht von der Seite, und die Sänger stehen herum. So kann man es auch sehen. Solche Handgriffe sollte Klingsor besser unterlassen, denn Kundry weiß sich, siehe nächstes Bild, zu wehren. (Foto: Sandra Then)
Es passiert eben nicht sehr viel an äußerer Handlung im Parsifal, und Thalheimer lässt auch davon noch einiges weg - es gibt keinen Schwan, der von Parsifal getötet wird; keinen Sarg für den gestorbenen Gralskönig Titurel; und die Gralsenthüllung besteht aus einem Lichtbündel - mehr Gral gibt's nicht. Dafür ist Kundry, eine attraktive moderne Frau, im Besitz einer Handfeuerwaffe - das wird Klingsor das Leben kosten, nachdem dieser ziemlich pubertär verdeutlicht hat, dass der heilige Speer ein Phallussymbol ist. Also doch action, wenigstens im zweiten Aufzug. Und Blut gibt es zu sehen, sogar reichlich, nicht nur an den Wänden. Die weißen Gewänder der Gralsritter sind blutbefleckt, wohl als Zeichen einer nicht näher benannten Schuld (auch hier ist die Deutung dem Betrachter überlassen). Wenn Kundry im dritten Aufzug die magischen Worte "durch Mitleid wissend, der reine Tor" mit Blut auf die besagte Bühnenwand schreibt, ist das allerdings reine Beschäftigungstherapie, weil Wagner die (inzwischen stumme) Figur unbedingt auf der Bühne haben wollte und die Regie irgendeinen Grund dafür nachliefern muss. Und Parsifal nimmt in dieser Inszenierung zwar nicht die Schuld, aber zumindest die Unwissenheit aller Opernfreunde auf seine Schultern und bleibt ein ahnungsloser Tor mit Clownsgesicht ganz im Sinne Bertold Brechts: Der Vorhang zu und alle Fragen offen. Eros und Thanatos? Die Waffen der Frau sind in dieser Inszenierung jedenfalls vielfältig, wie Parsifal (vor allem aber später Klingsor) erfahren muss (Foto: Andreas Etter)
Alles in allem gar kein so schlechtes Konzept, das in seiner Statik nun von der Musik mit Leben gefüllt werden müsste - das gelingt einigermaßen gut, aber keineswegs überragend. Am Pult der recht ordentlich spielenden Düsseldorfer Symphoniker begleitet der Bayreuth-erfahrene Chefdirigent Axel Kober in vielen Details plastisch und klangschön und immer sängerfreundlich. Das führt zu guter Textverständlichkeit, geht aber zu Lasten der großen Linie und der Spannungsbögen. Die Musik wird kleinteilig und verliert an Wucht, aber genau die bräuchte die auf Grundelemente reduzierte Inszenierung. So wird insbesondere der lange erste Aufzug mit der schier endlosen Gurnemanz-Erzählung der Vorgeschichte recht zäh. Hans-Peter König singt diesen Gurnemanz mit sonorem Bass und legt ihn stimmlich als Typus "gutmütiger Märchenonkel" an. Das klingt durchweg schön, entwickelt aber nicht die Spannung, die der Szene guttäte. Dabei kann er durchaus unfreundlich mit seinen Gehhilfen herumfuchteln. Eine genauer ausgearbeitete Personenregie wäre insgesamt hilfreich. Den heiligen Speer bringt Parsifal (vorne) zurück, weiß aber auch nicht weiter - wogegen Kundry immerhin Wagnerzitate auf die Wand hinten schreibt und Gurnemanz auf Erlösung, wovon auch immer, hofft (Foto: Sandra Then)
Daniel Frank ist ein hell timbrierter, konditionsstarker Parsifal mit nicht unbedingt elegantem, aber zuverlässigem Tenor, Michael Nagy ein vergleichsweise lyrischer, klangschöner Amfortas. Joachim Goltz gestaltet den Klingsor mit metallisch scharfem, zupackendem Bassbariton, der einige Dramatik in das Geschehen bringt. Ambivalent bleiben die Eindrücke bei Sarah Ferede, die engagiert die Kundry singt. Die Stimme ist recht klein und wenig tragfähig, weshalb die Sängerin oft forcieren muss, auch im Piano, um der Gesangslinie Nachdruck zu verleihen. Die Blumenmädchen hat man schon besser in den Orchesterklang eingebunden gehört als hier. Vokale Glanzlichter setzen Chor und Extrachor, wobei die Frauenstimmen in den oberen Foyers stehen und bei geöffneten Saaltüren wie aus weiter Ferne erklingen - das koordiniert Axel Kober (der an anderen Stellen mit großer Souveränität auseinanderlaufende Tempi "einfängt") ganz hervorragend. Vor allem in diesen Chorszenen bekommt die Aufführung etwas von dem Gralszauber, den man mit Worten nicht benennen kann und der an anderen Stellen ausbleibt. Am Ende gab's gemischte Reaktionen vom Premierenpublikum.
Michael Thalheimers puristischer Inszenierung wie Axel Kobers unpathetisch solidem Dirigat fehlt die entscheidende Zutat zum großen Wagner-Glück - szenisch wie musikalisch keine schlechte, aber auch keine ganz große Produktion. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Parsifal
Gurnemanz
Kundry
Amfortas
Klingsor
Titurel
Erster Gralsritter
Zweiter Gralsritter
1. Knappe
2. Knappe
3. Knappe
4. Knappe
Blumenmädchen 1/1
Blumenmädchen 1/2
Blumenmädchen 1/3
Blumenmächen 2/1
Blumenmädchen 2/2
Blumenmädchen 2/3
Stimme aus der Höhe
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