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Septembersonate

Kammerspiel in sechs Szenen
Text von Manfred Trojahn frei nach der Erzählung The Jolly Corner von Henry James
Musik von Manfred Trojahn


in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 45' (keine Pause)

Uraufführung am 5. Dezember 2023 im Opernhaus Düsseldorf


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Rheinoper
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Kammermusikalisch verhandelte Identitätsprobleme

Von Stefan Schmöe / Fotos von Wolf Silveri

Wer wäre ich geworden, wenn ich damals anders gehandelt hätte? Diagnose: midlife crisis, möchte man darauf entgegnen. Ganz originell ist die Frage jedenfalls nicht, die im Zentrum von Manfred Trojahns im Auftrag der Deutschen Oper am Rhein komponierten Oper Septembersonate steht. Nun ist Trojahn mit 74 Jahren über das Alter hinaus, in dem man autobiographisch motivierte Selbstzweifel unterstellen wollte - auch wenn der Plan von einer Oper nach der Kurzgeschichte The Jolly Corner von Henry James (1843 - 1916) aus dem Jahr 1908 bereits in den 1990er-Jahren aufkam. Das Libretto hat Trojahn recht frei nach der Vorlage selbst gestaltet und dabei eine kunstvolle Sprache gewählt, die den Stoff noch einmal veredelt und gleichzeitig elegant im Ungefähren belässt.

Szenenfoto

Im Zeitkolorit gefangen: Osbert und Ellice

Hier ist es der erfolgreiche Schriftsteller Osbert Brydon, der über Sinnhaftigkeit und Konsequenzen früheren Handelns sinniert - und das eine ganze (eindreiviertel Stunden dauernde, ohne Pause gespielte) Oper lang. Und der dabei allerlei Kämpfe mit seinem mögliches anderen Ich austrägt. Aber der Reihe nach: Dieser Osbert kehrt in seine Heimat und sein Elternhaus zurück, um sein Erbe anzutreten, und dabei begegnet er seiner Jugendfreundin Ellice, inzwischen eine Schauspielerin. Eine Liebe ist nie daraus geworden, aber Ellice spricht angesichts seines geschäftsmännischen Auftretens den Satz: "Wenn ich Sie so getroffen hätte, ich hätte mich in Sie verliebt." Damit ist das Spiel "wer hätte ich sein können?" in Gang gesetzt. Ein spätes Liebesglück kommt für Osbert, aber nicht für Ellice infrage. So entwickelt sich in Osberts Fantasie eine Rivalität zu seinem möglichen anderen Ich, das zum Nebenbuhler wird (und am Ende auch ganz real singen darf).

Szenenfoto

Osbert, Ellice und Videoprojektion

Der innere Kampf mit sich selbst bleibt naturgemäß eine ziemlich intime Angelegenheit, selbst wenn sich die große Frage stellt, wer dieses "Ich" eigentlich ist. Trojahn jedenfalls kommt mit einem Kammerensemble von 15 Musikerinnen und Musikern im Orchestergraben aus. Bläserquintett, Schlagwerk und ein Streichseptett ohne Violinen (drei Bratschen, drei Celli und Kontrabass) bilden den orchestralen Klangkörper, der delikat den Seelenregungen des Osbert nachspürt. Trojahn verwendet eine Tonsprache, bei der die Tonalität mit allerlei Dissonanzen unterlegt ist - das verschreckt kaum einen Opernliebhaber, klingt aber auch nie anbiedernd. Im Programmheft macht Trojahn auf zahlreiche Anspielungen auf Ravel und konkrete Zitate von Richard Strauss aufmerksam - das Finale aus Arabella und (ich habe es nicht identifiziert) das Hauptthema aus Tod und Verklärung. Dabei handelt es sich um zwei durchaus umstrittene Werke eines seinerseits keineswegs unumstrittenen Komponisten, da darf man das wohl als gewollten Konservatismus auffassen, zumindest aber als bewusste Verankerung in einer zutiefst bürgerlichen Opernkultur. Die Musik illustriert nie (was auch, es passiert ja nichts), erinnert immer wieder an Musik vergangener Epochen (das korrespondiert mit der Verwendung einer über 100 Jahre alten Geschichte als Thema) und gibt sich moderat modern, dabei im Ausdruck ziemlich melancholisch (wie man es von einer Septembersonate ja auch nicht anders erwartet).

Szenenfoto

Osbert und sein anderes Ich, das er vielleicht hätte werden können, hätte er andere Entscheidungen getroffen.

Das alles hat Trojahn so gentlemenlike souverän verarbeitet, dass sich eigentlich jegliche Kritik verbietet und man zustimmend nicken möchte: Eindrucksvoll war's. Dabei liegt das Problem des Werkes ja auf der Hand: Es ist völlig undramatisch, und so schön und kunstvoll jeder Takt auch komponiert wird, so schmerzlich vermisst man einen Spannungsbogen, der aus gepflegter Kammermusik einen spannenden Opernabend machen könnte. Von der Klangfülle her reichen in der ersten Hälfte des Abends auch 15 Instrumentalisten und Instrumentalistinnen aus, um das singende Personal auf der Bühne zu übertönen - Vitali Alekseenok, Kapellmeister und designierter Chefdirigent der Rheinoper (ab 2024), braucht einige Zeit, um die richtige Balance zwischen den sehr guten Düsseldorfer Symphonikern und den Akteuren auf der Bühne zu finden, was aber immer besser gelingt und mehr und mehr berückend schöne Momente ermöglicht, bei denen einem allerdings zunehmend gleichgültig ist, was auf der Bühne gerade passiert. Dabei singt Holger Falk einen zwar stimmlich eher leichtgewichtigen, aber sehr fein nuancierten Osbert, dem gegen Ende in Gestalt von Roman Hoza sein (stimmgewaltigeres) anderes mögliches Ich entgegentritt. Juliane Banse steuert eine leuchtende, intensive Ellice bei, Susan MacLean eine mehr als solide Haushälterin Mrs. Muldoon (mehr singende Akteure gibt es nicht).

Szenenfoto

Finale auf dem Theater: Haushälterin Mrs. Muldoon und Ellice

Regisseur Johannes Erath und Ausstatterin Heike Schelle haben die Bühne in das für Erath typische Schwarz getaucht. Ellice erscheint im weißen Kleid bei hartem Seitenlicht als scharfer Kontrast zum übrigen Ambiente - eine unwirkliche Lichtgetalt, die später in wechselnden Aufmachungen erscheint und wenig greifbar wird. Erath inszeniert eine Traumwelt aus der Innenperspektive Osberts. Er bleibt dabei ungefähr in der Zeit am Anfang des 20. Jahrhunderts (also in der Entstehungszeit der Kurzgeschichte von James), ohne allzu konkret zu werden. Das Theaterhafte der Anordnung wird immer wieder angedeutet (Ellice ist hier wohl eher eine Varieté-Tänzerin als eine seriöse Schauspielerin). Ein bisschen Hitchcock liegt in der Luft, und alles ist von einem Hauch Surrealismus umgeben. Die Videosequenzen von Bibi Abel steuern extreme Blickwinkel auf Treppen bei. Das alles passt perfekt und rettet doch nichts. Die Regie liefert den stimmungsvollen ästhetischen Rahmen und kapituliert gleichzeitig vor der Textlastigkeit der Oper, die ihre Thematik vornehmlich über Worte verhandelt. Höflicher Beifall. Aus dem Sitz erheben wollte man sich nur, um den Saal zu verlassen.


FAZIT

Schöne Musik, aber eine wenig aufregende Handlung: Manfred Trojahns inzwischen fünfte Oper präsentiert sich als gepflegtes untheatralisches Kammerspiel für Liebhaber in hübsch anzuschauender Regie.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Vitali Alekseenok

Inszenierung
Johannes Erath

Bühne und Kostüme
Heike Scheele

Licht
Nicol Hungsberg

Video
Bibi Abel

Dramaturgie
Anna Melcher



Düsseldorfer Symphoniker


Solisten

Osbert Brydon
Holger Falk

Ellice Staverton
Juliane Banse

Osbert II
Roman Hoza

Mrs. Muldoon
Susan Maclean



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



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