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Die Frau ohne Schatten

Oper in drei Akten
Libretto von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss


In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 20' (zwei Pausen)

Premiere an der Sächsische Staatsoper Dresden am 23. März 2024
(rezensierte Vorstellung: 2. April 2024)


Homepage

Sächsische Staatsoper Dresden
(Homepage)
Eine Paartherapie der ganz besonderen Art

Von Stefan Schmöe / Fotos © Ludwig Olah

Szenen einer Ehe: Er will Sex, sie nicht. Und so sitzen sie bedröppelt auf dem ärmlichen Bettgestell unter einem großformatigen Hochzeitsfoto aus besseren Zeiten. Das könnte ein Stoff für eine Boulevard-Komödie sein oder für eine schlechte Vorabendserie. Hier aber ertönt in den banalen Moment der Sprachlosigkeit hinein die allerschönste Musik, dass einem die Tränen kommen können, und erzählt von einer besseren Welt, um die es sich zu kämpfen lohnt. Wobei es natürlich gar nicht um Sex geht, sondern um gescheiterte Hoffnungen wie den unerfüllten Kinderwunsch und das Fehlen von Perspektiven.

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Die Färberin

Die Welt des Färbers Barak ist ganz unten angesiedelt, am unteren Ende der sozialen Skala sowieso, aber auch durchaus bildlich. Bühnenbildner Patrick Bannwart hat einen bunkerartigen Kellerraum gebaut, gleichzeitig angedeutete Werkstatt wie Wohnraum. Man gelangt per Lastenaufzug hinunter in dieses Strauss'sche Nibelheim. Und in der Regie von David Bösch ist die namenlose Färbersfrau eine hinreißende Parodie auf das, was man sich gemeinhin allzu überheblich als "Prekariat" vorstellt. Miina-Liisa Värelä gibt ihr nicht nur stimmlich mit leicht eingedunkeltem, jederzeit zur dramatischen Attacke bereitem, immer klangschönem Mezzosopran imposante Statur, sondern legt auch ein schauspielerisches Kabinettstückchen hin, indem sie großartig die Balance zwischen Karikatur und der vom Leben enttäuschten, aber um ihre Würde kämpfenden Frau zeigt. Als Kettenraucherin hat sie zunächst lässig die Kippe im Mund, die sie leicht gequält herausnimmt, wenn sie singen muss; wenn aber die Kaiserin und deren Amme ihr eine vermeintlich bessere Welt im schönsten Barbie-Rosa vorgaukeln, dann führt sie die Zigarette an die Lippen wie die Dame von Welt und lässt sich von den herbeigezauberten, spärlich bekleideten Jünglingen nur zu gern Feuer geben. Nicht nur hier besitzt die Regie viel Witz und fängt das Pathos der Frau ohne Schatten mit einer gehörigen Portion Ironie auf.

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Färber Barak (links) und sein Bruder, der Einarmige

Den Gegenpol zu dieser abgründigen und ziemlich konkret dargestellten Menschenwelt bildet die ätherische, durch leichte Schleier umrissene Sphäre von Kaiser und Kaiserin, die über den Dingen zu schweben scheinen. Bösch erzählt hier das Hofmannsthal'sche Kunstmärchen in großen Bildern. Immer wieder sieht man in Videoprojektionen das verliebte Paar als Scherenschnitt, und oft erscheint die Gazelle, in deren Gestalt die Kaiserin aus dem Geisterreich vom jagenden Kaiser erlegt wurde. Es gibt auch einen überdimensionalen Falken (Lea-ann Dunbar singt von der Seite sehr ordentlich, der Stimme fehlt es aber ein wenig an Intensität, um sich gegen das großformatige Bild zu behaupten). Für den erkrankten Eric Cutler sprang in der hier besprochenen vierten (und letzten) Aufführung anlässlich der Richard-Strauss-Tage kurzfristig Andreas Schager als Kaiser ein und glänzte einmal mehr mit strahlendem und durchdringendem, allerdings auch fast durchgehend im Fortissimo singendem Heldentenor. Fabelhaft gestaltet Camilla Nylund die Kaiserin, zunächst mit fast gläsernem Sopran, bei ihrem Abstieg in die Menschenwelt zunehmend handfester, dabei mit jugendlicher Leuchtkraft wie mit dramatischer Wucht, wenn es darauf ankommt. In der sehr genauen Personenregie spielt sie hinreißend die Wandlung zur empathischen Frau, die ihren Gatten nur durch das Unglück des Färberpaares vor der Versteinerung retten könnte - und am Ende verzichtet (was ihr nach echter Märchenlogik dann die Rettung und beiden Paaren das Happy End bringt).

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Kaiserin und Falke

Die Frau ohne Schatten gerät schnell zum unzeitgemäßen (im Ersten Weltkrieg komponierten) Märchenspiel oder zum erzkonservativ die Mutterschaft zum höchsten Ziel der Frau erklärenden Moralstück. David Bösch geht in seiner scharf analysierenden Regie einen anderen Weg und überblendet mehr und mehr die scheinbar so unterschiedlichen Welten der beiden Paare. Diese Sichtweise zeigt auf, wie modern die Dramaturgie von Hofmannsthal und Strauss ist - und rückt das Werk mit absurdem Humor und manchen Revueeinlagen sogar stellenweise in die Nähe der Zeitoper von Weill und Hindemith. Dafür nähern sich das Färber- und das Kaiserpaar immer mehr an. Färber Barak tritt dabei zunächst keineswegs als der ewig gutmütige und fleißige Märchengutmensch auf, sondern erinnert im Unterhemd und mit Bierflasche an den vulgären Stanley Kowalski aus Tennessee Williams' Endstation Sehnsucht - den Laden jedenfalls hält hier wohl eher seine energisch zupackende Frau zusammen. Oleksandr Pushniak singt diesen Barak unprätentiös mit großem, kultiviertem, dabei nicht ins naiv-liedhafte gewendetem Bariton. Zum versöhnlichen Ende zieht er sich ein sauberes Hemd über, seine Gattin hat offenbar dem Rauchen entsagt, und das Kaiserpaar tritt in Alltagskleidung auf: Man trifft sich in der gutbürgerlichen Mitte der Gesellschaft. Ob das gut geht? Man darf Zweifel haben. Zurück bleibt die Amme, die Evelyn Herlitzius mit bestechender Präsenz singt und spielt, mit beeindruckender, bestens fokussierter Höhe, und was der Stimme in der Mittellage an klanglicher Fülle fehlt, macht sie durch präzise Artikulation wett. Zum durch und durch großartigen Ensemble trägt auch der stimmlich imposante Geisterbote von Andreas Bauer Kanabas bei.

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Die Amme bleibt am Ende allein zurück

Aus dem nicht unproblematischen Stoff wird hier großes, oft ironisch doppelbödiges Theater. Die starke Regie wie die exzellente Besetzung sorgen dafür, dass die Produktion nicht im Schatten des Dirigenten Christian Thielemann steht, für den Die Frau ohne Schatten die letzte Opernpremiere an der Semperoper ist (und die hier besprochene Aufführung für ihn gleichzeitig die letzte als Chef im Orchestergraben in Dresden; ein Konzert wird noch folgen). Mit der ganz großartigen Staatskapelle findet er traumwandlerisch sicher den richtigen Tonfall für jede Szene, gestaltet die Übergänge außerordentlich souverän, lässt die Musik nie einfach nur "schön" klingen, sondern dirigiert mit ungeheurer Spannung, dabei immer mit Rücksicht auf Sängerinnen und Sänger. Faszinierend gelingen die Passagen, in denen die Musik in tiefster Lage geradezu körperlich erfahrbar wird. Und immer wieder gibt es Momente, in denen die Musik so unfassbar schön aufleuchtet, dass es einem den Atem verschlägt. Aber solche Schönheit steht nicht für sich, sondern ist eingebettet in den großen, dramatischen Zusammenhang. Keine Frage: Ein würdiger Schlusspunkt der Ära Thielemann an der Semperoper.


FAZIT

Ein ganz großer Opernabend: David Bösch vereint in seiner fesselnden Regie mit bösem Witz die unterschiedlichen Sphären von Märchenwelt und Sozialdrama der Frau ohne Schatten und ergänzt kongenial die großartige musikalische Interpretation, mit der sich Christian Thielemann von der Semperoper verabschiedet.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christian Thielemann

Inszenierung
David Bösch

Bühne
Patrick Bannwart

Kostüme
Moana Stemberger

Licht
Fabio Antoci

Videodesign
Patrick Bannwart
Falko Herold

Chor
André Kellinghaus

Kinderchor
Claudia Sebastian-Bertsch

Dramaturgie
Johann Casimir Eule



Sächsischer Staatsopernchor Dresden

Kinderchor der
Sächsischen Staatsoper Dresden

Sächsische Staatskapelle Dresden


Solisten

Der Kaiser
Eric Cutler /
* Andreas Schager

Die Kaiserin
Camilla Nylund

Die Amme
Evelyn Herlitzius

Der Geisterbote
Andreas Bauer Kanabas

Ein Hüter der Schwelle des Tempels
Nikola Hillebrand

Erscheinung eines Jünglings
Martin Mitterrutzner

Die Stimme des Falken
Lea-ann Dunbar

Eine Stimme von oben
Christa Mayer

Barak
Oleksandr Pushniak

Baraks Frau
Miina-Liisa Värelä

Der Einäugige
Rafael Fingerlos

Der Einarmige
Tilmann Rönnebeck

Der Bucklige
Tansel Akzeybek



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Sächsische Staatsoper Dresden
(Homepage)



Da capo al Fine

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