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Walhall als Altersresidenz
Von Thomas Molke /
Fotos: © Thomas M. Jauk
Der neue Ring in der Oper Dortmund in der Regie von Peter Konwitschny geht in diesem Jahr bereits in die dritte Runde. Auf dem Premierenplan steht jedoch nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, Siegfried, sondern der Vorabend der Tetralogie, Das Rheingold. Das Besondere in Dortmund ist, dass man sich nicht an die von Wagner vorgegebene Reihenfolge des Bühnenfestspiels hält, sondern den Zyklus mit der Walküre begonnen hat, um die vier Einzelstücke vom "Zwang des roten Fadens" zu befreien und zu zeigen, dass jeder Teil auch die Kriterien für einen unabhängigen Opernabend erfülle. Richard Wagner dürfte da sicherlich anderer Meinung gewesen sein. Schließlich hatte er mit allen Mitteln zu verhindern versucht, dass die ersten beiden Teile bereits vor Vollendung des kompletten Zyklus in München zur Uraufführung gelangt waren. Aber während in den vergangenen Jahren an anderen Häusern sogar von Teil zu Teil das ganze Regie-Team gewechselt wurde, was die einzelnen Stücke noch mehr auseinander gerissen hat, wechseln in Dortmund lediglich die Bühnenbildner*innen, was jedoch einen ähnlichen Effekt hat, da so jeder Teil ebenfalls eine ganz eigene und vor allem andere Lesart erhält. Nach Frank Philipp Schlößmann in der Walküre und Johannes Leiacker im Siegfried zeichnet nun Jens Kilian für die Ausstattung im Rheingold verantwortlich. Dass am Ende der Premiere zahlreiche Unmutsbekundungen kommen, mag ein wenig verwundern. Da hat man schon wesentlich provokantere Deutungen gesehen. Aber vielleicht wird das Regie-Team in diesem Teil auch von Teilen des Publikums abgewatscht, weil es für eine Neuinszenierung zu wenig Neues gewagt hat. Allen kann man es eben nicht recht machen. An der musikalischen Umsetzung des Abends kann es jedenfalls nicht gelegen haben. Generalmusikdirektor Feltz, der nach der Vollendung des Rings in der kommenden Spielzeit nach Kiel wechselt, lässt es sich sogar nicht nehmen, vor der Premiere noch eine kurze Einführung in die musikalische Struktur des Werkes zu geben und dabei die Klangwelten noch transparenter zu machen. Mit welchem Esprit und Humor er diesen Vortrag gestaltet, bevor er sich in den Orchestergraben begibt, ist schon beeindruckend. Da hat die Dramaturgin Bettina Bartz, die schon zahlreiche Inszenierungen mit Konwitschny erarbeitet hat, nicht viel zu ergänzen. Wenn es dann in den Saal geht, hat man wie schon beim Siegfried ein Déjà-vu. Vor dem roten Vorhang hängt eine Baumkrone in sattem Grün. Bevor das musikalische Vorspiel beginnt, fängt diese Krone an, heftig zu wackeln, und stürzt schließlich zu Boden. Damit soll der Eingriff in die Natur mit der Verletzung der Weltesche durch Wotan angedeutet werden, was das ganze Drama letztendlich in Gang setzt und wie ein Menetekel über dem Untergang am Ende steht. Auch die sechs Harfen, die auf den beiden Seiten der Bühne positioniert sind, kennt man schon aus den beiden vorangegangenen Teilen. Während sie bei der Walküre für den Feuerzauber zum Einsatz kommen und beim Siegfried untermalen, wie der Held den Felsen mit der schlafenden Walküre erklimmt, markieren sie nun den Einzug der Götter am Ende des Rheingolds in die Burg Walhall. Nach der kurzen Eingangsszene wird es zunächst absolut finster im Saal. Aus dem Dunkel setzt Feltz dann mit den hervorragend aufgelegten Dortmunder Philharmonikern zu dem berühmten Es-Dur-Vorspiel an, mit dem man aus den tiefsten Tiefen des Rheins allmählich an die Oberfläche geführt wird. Feltz lässt sich mit dem Orchester hier viel Zeit, diesen gewaltigen Klang ganz langsam aufwabern zu lassen. So differenziert und plastisch hört man dieses Vorspiel selten. Der rote Vorhang ist zunächst noch geschlossen. Wenn dann das Licht allmählich auf der Bühne erscheint, so wie es auch die tiefen Wogen des Rheins zu durchdringen vermag, ist man zunächst ein wenig irritiert, Alberich an der Rampe beim Angeln sitzen zu sehen. Sein Kostüm erinnert an eine Figur aus einem Märchen der Gebrüder Grimm. Die Rheintöchter hört man zunächst nur hinter dem geschlossenen Vorhang. Ab und zu lugen sie unter dem Vorhang beim Spiel in den Wogen hervor, so wie ein Fisch vielleicht kurz an der Oberfläche erscheint. Erst dadurch wird Alberich auf sie aufmerksam, packt seine Angel ein und überlegt sich, etwas anderes zu fangen. Sooyeon Lee, Tanja Christine Kuhn und Marlene Gaßner begeistern als Rheintöchter durch klare Diktion und harmonieren stimmlich wunderbar miteinander. Joachim Goltz verleiht dem Alberich einen kraftvollen Bariton. Wenn er von den Rheintöchtern verspottet wird, kommt eine Leiter auf der Bühne zum Einsatz, über die die Rheintöchter ihm entwischen. Auch goldenen Staub streuen sie auf die Bühne, auf denen er bei der Jagd ausgleitet. Soll das schon eine Anspielung auf das Rheingold sein, das in den Tiefen des Rheins verborgen ist? Wenn die Sonne auf den Grund des Rheins fällt, öffnet sich der Vorhang und offenbart ein riesiges goldenes Tuch auf dem Boden. Das ist also der Schatz, den die Rheintöchter bewachen und an dessen Glanz sie sich erfreuen. Auch Alberich lässt sich davon anziehen, wickelt sich sogar in dieses Tuch ein, so dass er beschließt, dass dieser Schatz wesentlich ertragreicher ist als das Liebesspiel mit den Wassernixen. Wenn er die Liebe verflucht, befestigt er sich und das goldene Tuch an zwei Drahtseilen, die aus dem Schnürboden herabkommen, und schwebt mit dem geraubten Gold nach oben. Die Rheintöchter bleiben frustriert auf der nun leeren Bühne zurück. Krisensitzung mit den Riesen Fafner (Artyom Wasnetsov, rechts) und Fasolt (Denis Velev, 2. von rechts): die Götter von links: Donner (Ks. Morgan Moody), Freia (Irina Simmes), Froh (Sungho Kim), Wotan (Tommi Hakala), Fricka (Ursula Hesse von den Steinen) und Loge (Ks. Matthias Wohlbrecht) Für den Übergang in luftige Höhen wird nun mit viel Bühnennebel gearbeitet, der sich leider etwas laut und damit für den musikalischen Genuss störend auf der Bühne verbreitet, um das Bühnenbild für die Götter aufzubauen. Diese erinnern in der Kostümierung an prähistorische Höhlenmenschen, die in Lehm- bzw. Fellhütten und einem Zelt leben. Neben dem Zelt, das wohl das Heim Freias ist, sieht man auch einen kleinen Baum mit Äpfeln. Hier züchtet sie wohl die Früchte, die den Göttern ewige Jugend verleihen. Wotans Speer ist eher ein gewaltiger Knochen, den er im weiteren Verlauf auch als Stock benutzt. Es verwundert nicht, dass diese Götter von einem luxuriöseren Heim wie Walhall träumen. Doch die Burg, die man an diesem Abend nicht zu sehen bekommt, hat eben ihren Preis. Die Riesen Fafner und Fasolt verlangen dafür Freia als Lohn. Während der eher romantisch veranlagte Fasolt wirklich verliebt in die Göttin der Jugend ist, verfolgt Fafner von Anfang an andere Ziele. Schließlich kennt er den Effekt, den Freias Äpfel auf die Götter haben und will lieber ihre ewige Jugend enden lassen als sich Liebesfreuden hingeben. Denis Velev und Artyom Wasnetsov machen diese unterschiedlichen Charaktere mit ihren dunklen Stimmen hervorragend deutlich. Während Velev mit fast lyrischen Bögen eine gewisse Verliebtheit anklingen lässt, ist Wasnetsovs Bass noch schwärzer und härter und unterstreicht, dass er zu allem bereit ist, um seine Ziele zu erreichen, selbst zum Brudermord. Wotan (Tommi Hakala, links) und Loge (Ks. Matthias Wohlbrecht, rechts) planen, Alberich das Gold zu rauben. Ks. Matthias Wohlbrecht begeisterte im letzten Jahr im Siegfried mit hellem, stellenweise etwas schneidenden Tenor als Mime. Nun kehrt er als Loge nach Dortmund zurück und gibt den windigen Feuergott ebenfalls mit klaren Höhen. Sein Auftritt wird recht bühnenwirksam in Szene gesetzt, da er aus einer Bühnenklappe hochgefahren wird, die sich direkt hinter der Feuerstelle der Götter befindet. Optisch unterscheidet er sich nicht von den übrigen Höhlenmenschen. Mit herrlichem Spiel weckt er die Lust der Riesen am Rheingold und vereinbart mit Wotan, nach Nibelheim hinabzusteigen, um Alberich das Gold zu rauben. Auch die übrigen Göttinnen und Götter lassen stimmlich keine Wünsche offen. Tommi Hakala punktet als Wotan mit kraftvollem, autoritärem Bariton, der manchmal etwas polternd ist wie sein Charakter, so dass Loge alle Mühe hat, ihn zu bremsen. Ks. Morgan Moody legt den Donner als kraftprotzenden Gott an, der gerne die Fäuste sprechen lässt und ebenfalls mit dunklem Bariton punktet. Dabei wird er im Kampf von Fafner und Fasolt aber immer wieder vorgeführt, genauso wie sein Bruder Froh, den Sungho Kim mit hellem Tenor präsentiert. Ursula Hesse von den Steinen stattet die Partie von Wotans Gattin Fricka mit rundem Mezzosopran aus, der in der Erzählung vom geraubten Rheingold auch zärtliche Töne anzuschlagen weiß. Irina Simmes, ehemaliges Ensemble-Mitglied der Oper Dortmund, die in Erl im Ring als Sieglinde und Gutrune begeisterte, glänzt auch als Freia mit strahlendem Sopran und intensivem Spiel. Alberich (Joachim Goltz, Mitte auf dem Stuhl) knechtet seinen Bruder Mime (Fritz Steinbacher, auf dem Boden liegend) und die Nibelungen (Statisterie). Für den Abstieg nach Nibelheim verwandelt sich dann die Bühne von der Steinzeit in ein modernes Utopia mit zahlreichen Hochhäusern. Der Bühnenprospekt erinnert ein wenig an ein Bild aus dem Stummfilm Metropolis. Wunderbar wird hier der Klang der Ambosse eingefangen, der nicht so künstlich aus den Lautsprechern kommt, wie man es in zahlreichen Inszenierungen an anderen Opernhäusern erlebt hat. Man hat den Eindruck, dass die Ambosse auf der Bühne hinter dem Prospekt stehen und von dort erklingen. Die Maschinengeräusche kommen also quasi aus dem Moloch, den sie haben entstehen lassen. Alberich hat sich in einen Geschäftsmann in schwarzem Anzug verwandelt, der von einem dunklen Bürostuhl mit einem Tablet als Tarnhelm das ganze Geschehen leitet. Die Schätze, die er die Nibelungen schmieden lässt, sind Waffen, was inhaltlich Sinn macht, da er damit ja schließlich die Weltherrschaft erlangen will. Grausam geht er mit seinem Bruder Mime (Fritz Steinbacher mit hellem Tenor) um, der im weißen Chemikerkittel auftritt. Natürlich fallen hier Wotan und Loge als Höhlenmenschen sofort auf. Die Verwandlungen fungieren dann als eindrucksvolles Schattenspiel auf der Rückwand. Zurück bei den Göttern wird dann nicht ganz klar, wie der Schatz Freias Gestalt bedecken soll. Schließlich besteht der Schatz aus zahlreichen Atomraketen, die im Bühnenhintergrund aufgestellt sind. Freia bewegt sich dazwischen, wird aber eigentlich gar nicht verdeckt. Da nützen weder das Tablet als Tarnhelm etwas noch der Ring, den Wotan zunächst nicht bereit ist abzugeben, bis schließlich Erda Schlimmeres verhindert. Wieso Erda mit zahlreichen Kindern und einem Einkaufswagen auftritt, der sie wie eine Obdachlose erscheinen lässt, erschließt sich nicht wirklich. Drei Kinder haben einen dicken roten Faden. Das sollen wohl die Nornen sein, die die Schicksalsfäden spinnen. Dieser rote Faden wird um die Riesen und Götter herumgelegt. Ob die anderen Kinder die zukünftigen Walküren sein sollen, bleibt genauso unverständlich wie das schreiende Baby, das Erda während ihres Gesangs wickelt, und das kleine Mädchen, dessen Wunde sie ein bisschen zu heftig verarztet, während sie Wotan rät, von dem Ring zu lassen, so dass das Kind schreiend von der Bühne läuft. Melissa Zgouridi punktet als Erda mit sattem Mezzosopran und großartigen Tiefen. Dem Verlangen Wotans, noch mehr zu erfahren, entzieht sie sich geschickt mit dem Einkaufswagen und den Kindern. Schon muss Wotan feststellen, wie sich der Fluch des Rings erfüllt, wenn Fafner seinen Bruder Fasolt erschlägt. Einzug der Götter in Walhall: vorne von links: Freia (Irina Simmes), Fricka (Ursula Hesse von den Steinen), Wotan (Tommik Hakala), Froh (Sungho Kim) und Donner (Ks. Morgan Moody), hinten stehend von links: Woglinde (Sooyeon Lee), Wellgunde (Tanja Christine Kuhn) und Flosshilde (Marlene Gaßner) Ist es dann vielleicht die Schlussszene, die einige Gemüter im Publikum erhitzt und zu den Unmutsbekundungen veranlasst? Wenn die Göttinnen und Götter in die Burg Walhall einziehen, legen sie ihre Höhlenkleidung ab und lassen sich in moderne Anzüge einkleiden. Dann erscheinen die drei Rheintöchter als Krankenschwestern und schieben Rollstühle auf die Bühne, in denen die Göttinnen und Götter Platz nehmen. Der Verzicht auf die Äpfel während Freias Abwesenheit hat wohl die eingetretene Alterung nicht wieder aufheben können. Einzig Loge, der nun einen roten Anzug trägt, scheint von diesem Alterungsprozess verschont geblieben zu sein. Während Fricka zu einem Hörrohr greift, um Wotans Erklärung für den Namen der Burg zu verstehen, fällt Freia aus ihrem Rollstuhl. Sie wird die Burg Walhall nicht mehr betreten. Wenn die Rheintöchter am Ende um das verlorene Gold klagen, halten sie eine riesengroße Regenbogenfahne hoch, die den Vorwurf zeigt, den sie den Göttern machen: Falsch und feig ist, was dort oben sich freut. Zettel mit diesem Text fallen auch in den Saal auf das Publikum hinab, während die Götter dann zu den hehren Klängen mit den Rollstühlen in den Bühnenhintergrund steuern. FAZIT Musikalisch bietet dieser Vorabend Wagner auf gutem Niveau. Szenisch bürstet er das Stück nicht gegen den Strich und ist eigentlich in sich schlüssig.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme
Lichtdesign
Dramaturgie
Dortmunder Philharmoniker OpernKinderchor der Statisterie Theater Dortmund
Solistinnen und Solisten *Premierenbesetzung Wotan Donner Froh Loge Fricka Freia Erda Alberich Mime Fasolt Fafner Woglinde Wellgunde Flosshilde
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