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Die Piraten der 80er Jahre
Von Thomas Molke /
Fotos: © Björn Hickmann
"Partizipation und Teilhabe - für alle von 8 bis 99 Jahren" ist das Motto des Projektes We DO Opera!, bei dem Dortmunder Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben wird, Musiktheater nicht nur zu genießen sondern auch selbst zu gestalten. Im Bereich der Jungen Oper gibt es dafür für Kinder ab 8 Jahren die OpernKids und für junge Menschen ab 16 Jahren die OpernYoungsters, die die Möglichkeit bekommen, Bühnenluft an der Oper Dortmund zu schnuppern. In der Vergangenheit sind dabei mit der Unterstützung durch Profis des Theater Dortmund beeindruckende Produktionen auf die Bühne gebracht worden. Erinnert sei dabei an die musikalische Revue Linie 1 in der im April 2018 neu eröffneten Spielstätte der Jungen Oper neben dem Schauspielhaus (siehe auch unsere Rezension), Andrew Lloyd Webbers Musical Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat auf der großen Bühne im Opernhaus 2019 (siehe auch unsere Rezension) und die Operetten-Adaption Orpheus in der Unterwelt 2022, bei der die beiden Opernclubs - damals noch unter dem Namen Tortugas und Turtles - von dem Schulorchester des Heisenberg-Gymnasiums, einem Projektorchester und dem Universitätschor der TU Dortmund unterstützt wurden (siehe auch unsere Rezension). Mittlerweile hat sich mit den YoungSymphonics ein eigenes Orchester gebildet, das die neueste Produktion, die zum Ende der Spielzeit im Rahmen des Festivals Beyond Opera 2024 Premiere feiert, begleitet. In diesem Jahr ist die Wahl auf Die Piraten von Penzance von dem englischen Erfolgs-Duo Gilbert & Sullivan gefallen. Hinter Gilbert & Sullivan verbergen sich der Schriftsteller und Librettist William Schwenck Gilbert und der Komponist Arthur Sullivan, die - inspiriert von der französischen "Opéra bouffe" Jacques Offenbachs - in England eine nationale Musiktheatertradition etablierten, die sich mit ihrem großartigen Sprachwitz und den irrwitzigen Geschichten zu einem Vorläufer des absurden Theaters entwickelte. Obwohl sich ihre Zusammenarbeit Berichten zufolge nicht immer ganz harmonisch gestaltete, schufen sie zahlreiche Werke, die sich im englischsprachigen Raum auch heute noch sehr großer Beliebtheit erfreuen und häufig auf den Spielplänen stehen. Dass dies in Deutschland eher selten der Fall ist, hängt zum einen mit der Auswahl der Themen zusammen, die stereotype britische Verhaltensweisen parodieren, deren Komik sich für Nicht-Briten nicht immer erschließt, und zum anderen mit dem englischen Sprachwitz, der sich vor allem in den Patter Songs schwer übersetzen lässt und in Form von Übertiteln wegen der Schnelle der Texte kaum vermittelt werden kann. Umso herausfordernder scheint es, dieses recht komplexe Stück mit größtenteils jungen Menschen zu erarbeiten, die noch nicht so viel Bühnenerfahrung haben. Aber Regisseur Alexander Becker findet einen in jeder Hinsicht passenden Zugang, der das Stück zwar um ca. eine halbe Stunde länger macht, als es gewöhnlich dauert, dabei aber keinen Moment Langeweile aufkommen lässt. Die große Spielfreude der Darstellerinnen und Darsteller überträgt sich dabei in vollem Umfang auf das Publikum. Bevor das Stück beginnt, sieht man in einer Videoprojektion zwei Kinder mit einem Modellschiff spielen, das die Fantasie an alte Piratenfilme weckt. Auf der Seitenbühne treten die OpernKids in Matrosenkostümen auf und singen "What shall we do with a drunken sailor", was wohl der erste Zugang für die Kinder zu dem Stück gewesen sein mag. Wenn sich der eiserne Vorhang hebt, erklingt Musik aus Pirates of the Caribbean, was den jungen Menschen zu Beginn des Projektes sicherlich auch näher gewesen sein mag als das Originalstück und vielleicht auch Teile des Publikums zunächst in ihrer Erwartungshaltung abholt. Auf der Bühne sieht man die alte Ruth (Johanna Schoppa), die mit ihrer Ehefrau Elisabeth-Mary auf dem Sofa einen alten Piraten-Film schaut. Plötzlich schneien die Enkelkinder herein und wollen auf dem Dachboden in alten Kostümen stöbern. Sie öffnen eine alte Kiste, in der sie zahlreiche Piratenkostüme und einen klassischen Piratenhaken finden. Ruth soll nun von ihrer Vergangenheit erzählen, in der sie einige Jahre unter Piraten gelebt hat. Nach vielem Bitten lässt Ruth sich überreden. Die Rückwand öffnet sich, und ein Boot fährt herein, mit dem sich Ruth, Elisabeth-Mary und die Kinder gemeinsam auf eine Reise in die Vergangenheit begeben. Generalmajor Stanley (Georg Kirketerp, Mitte) wird vom Piratenkönig (Malte Beran Kosan, links) und seiner Gang (OpernYoungsters) verschont, weil er vorgibt, ein Waisenkind zu sein. Die Vergangenheit liegt in der Inszenierung aber nicht im 19. Jahrhundert, sondern in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Piraten sind vielmehr eine Art "Jugendgang" von Waisen, die nicht erwachsen werden möchten und ihre Freiheit nicht mit Arbeit und einem bürgerlichen Leben vergeuden wollen. Stattdessen ist Feiern angesagt. Immerhin ist Frederic, der als junges Waisenkind gemeinsam mit seiner Nanny Ruth zu den "Piraten" gekommen ist, gerade 21 und damit volljährig geworden und soll nun als vollwertiges Mitglied in die Gang aufgenommen werden. Doch Frederic hat andere Pläne. Er möchte die Welt kennenlernen und erfahren, ob es nicht noch andere Frauen außer Ruth gibt. Die begegnen ihm dann auch in Hülle und Fülle am Strand. Der Generalmajor Stanley hat zwar auch im Original eine Vielzahl von Töchtern, aber diese jungen Damen, die hier alle auftreten, können keinesfalls allesamt von ihm abstammen. Die Mädchen sind auch alles andere als naive Backfische eines Internats, sondern entsprechen vielmehr einem modernen, selbstbewussten Frauenbild, zu dem wohl auch das Rauchen gehört. Zwischendurch wird die Geschichte immer wieder von den Kindern im Boot mit Fragen unterbrochen. Besonders amüsant ist dabei Lio Grünstern als vorlauter Mitch, dem die Geschichte viel zu lange dauert und der endlich einen Piratenkampf sehen möchte, weil er doch dringend zur Toilette muss. Den gibt es dann auch, nachdem die Kinder ihr Boot verlassen haben, bis schließlich Elisabeth-Mary als Queen dem kämpferischen Treiben Einhalt gebietet. Denn schließlich sind ja alle königstreu, auch die Piraten. Das ist dem kleinen Mitch aber dann doch zu viel und er liest den Erwachsenen gehörig die Leviten, sich doch jetzt mal wie vernünftige Erwachsene aufzuführen. Auf diese Weise kommt es dann auch in Beckers Fassung zu einem Happy End. Ruth (Johanna Schoppa) und der Piratenkönig (Malte Beran Kosan, links) erklären Frederic (Lennart Pannek) das Paradox, dass Frederic eigentlich noch gar nicht volljährig ist. Während die Dialogfassung von Regisseur Becker stammt, verwendet man für die Songs keine Übersetzung, sondern setzt auf deutsche Übertitel. Das funktioniert eigentlich ganz gut, weil man bei den schnellen Passagen der Patter Songs darauf verzichtet, den Sprachwitz zu übersetzen und nur den Inhalt paraphrasiert. Der Witz kommt trotzdem zum Zuge, auch wenn man den englischen Text im einzelnen nicht versteht, weil die Komik schon allein durch die Geschwindigkeit des gesungenen Textes deutlich wird. Dass Ruth am Sterbebett von Frederics Vater den Wunsch nach der Ausbildungsstätte für den Sohn falsch verstanden hat, lässt sich ins Deutsche kaum übertragen. Schließlich sollte es eine Ausbildung zum "pilot" (Schiffslotse) und nicht zum "pirate" sein, was im Englischen einfach besser passt. Auch das Paradox, dass Frederic ja eigentlich noch gar nicht volljährig sei, da er am 29. Februar geboren sei, entspinnt sich im englischen Text wesentlich witziger. Klanggewaltig unterstützt wird das Ensemble vom Universitätschor der TU Dortmund unter der Leitung von Heike Kirzinger. Die Chormitglieder übernehmen zum einen die Partien der Sergeanten, die zur Rettung des Generalmajors und seiner Töchter zum Internat eilen, und füllen zum anderen die Töchter im Internat reichlich auf. Die YoungSymphonics begleiten unter der Leitung von Stefan Scheidtweiler aus dem Graben das Geschehen auf der Bühne sehr schwungvoll. Am Ende sind doch alle königstreu (Ensemble mit von links: Kate (Selma Kirketerp), Edith (Kathrin Engelhardt), Samuel (Mattis Markmann), Piratenkönig (Malte Beran Kosan), Frederic (Lennart Pannek) und Mabel (Lisa Pauli)). Auch die Hauptpersonen auf der Bühne lassen keine Wünsche offen. Die Partie der Ruth ist wieder eine Paraderolle für Johanna Schoppa, die in den Songs sowohl mit beweglichem Mezzo punktet als auch mit großartiger Komik und tiefer Bruststimme die Erzählung "When Frederic was a little lad" im ersten Akt anstimmt. Lennart Pannek war schon vor zwei Jahren als Unterweltsgott Pluto in Orpheus in der Unterwelt zu erleben und verleiht dem jungen Frederic einen herrlich naiven Charme. Ein musikalischer Höhepunkt ist das Terzett "A Paradox", das Pannek mit Schoppa und Malte Beran Kosan als Piratenkönig anstimmt. Kosan macht als grimmiger Piratenkönig, der das Herz dennoch am rechten Fleck hat, ebenfalls eine gute Figur. Auch Lisa Pauli war vor zwei Jahren schon bei Orpheus in der Unterwelt zu erleben. Damals spielte sie die Göttin Diana. Nun begeistert sie als kecke, selbstbewusste Mabel. Auch Selma Kirketerp und Kathrin Engelhardt begeistern als Mabels Schwestern Kate und Edith. Georg Kirketerp gibt den Generalmajor Stanley herrlich steif, muss bei seinem berühmten Patter Song allerdings ein wenig mit den Tempi kämpfen. Das restliche Ensemble glänzt ebenfalls durch große Spielfreude, so dass es am Ende stehende Ovationen für alle Beteiligten gibt. FAZIT Mit derartigen Projekten kann es hoffentlich gelingen, neue und junge Besucherinnen und Besucher für das Musiktheater zu gewinnen.
Ihre Meinung
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme
Choreographie
Licht
Videodesign
Leitung Universitätschor
Dramaturgie
Projektleitung
YoungSymphonics Universitätschor der TU Dortmund OpernYoungsters OpernKids
Solistinnen und Solisten *Premierenbesetzung
Piratenkönig Frederic Ruth Generalmajor Stanley Mabel Kate Edith Samuel 1. Polizeisergeant 2. Polizeisergeant Elisabeth-Mary Mitch
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