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Schmerzhafte Lernprozesse
Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung Ein guter Schluss muss her! Giacomo Puccini starb, bevor er die Finalszene von Turandot vollenden konnte, aber die Probleme liegen tiefer. Da hatte der Komponist eine männermordende Prinzessin von monumentaler Gefühlskälte aufgebaut, die es nun binnen Minuten in eine liebende Frau zu verwandeln galt. Wobei Herausforderer Calàf nicht wesentlich mehr einzubringen hat als den fragwürdigen Anspruch, jede Frau herumkriegen zu können, und dessen Gefühlshaushalt selbst angesichts des Freitods der ihn liebenden Sklavin Liù (die sich lieber umbringt, als unter der Folter seinen Namen zu verraten) kaum in Aufruhr gerät. Puccini fand, als er noch bei Kräften war, keine Lösung. Nach seinem Tod vollendete der seinerzeit populäre Franco Alfano die Partitur - vom Uraufführungsdirigenten Arturo Toscanini heftig kritisiert und daher schnell umgearbeitet und gekürzt. "Zu viel Alfano, zu wenig Puccini", heißt seitdem der Vorwurf. Luciano Berio hat 2002 eine alternative Fassung enger an Puccinis hinterlassenen Skizzen erstellt. Und dann bliebe ja noch die Möglichkeit, wie seinerzeit Toscanini bei der Uraufführung, die Oper als Fragment zu spielen und mit dem Tod der Liù abzubrechen. Turandot und der persische Prinz, der beim Ratespiel versagt hat und nun regelkonform hingerichtet wirdDas Theater Detmold hat sich für Alfanos ursprüngliche Fassung entschieden und es ist durchaus interessant, dass nicht der Dirigent und GMD Per-Otto Johansson, sondern Regisseur Holger Potocki diese Entscheidung im Programmheft rechtfertigt. "Alfano I" sei "ambivalenter und zerrissener", so die Argumentation, und man darf in Gedanken ergänzen: Sie gibt wegen der relativen Länge der Regie mehr Zeit, die Wandlung Turandots szenisch nachvollziehbar auszugestalten. Wobei in dieser Detmolder Aufführung das Dirigat die musikalischen Argumente nachliefert, denn bei Johansson und dem guten Detmolder Orchester klingt dieser Schluss stark nach Alfano und wenig nach Puccini, und das ergibt Sinn. Mit dem Tod Liùs hat sich die Situation für alle auf der Bühne geändert, und das spiegelt sich im stilistischen Bruch der Musik wider. Johansson interpretiert Alfanos Musik modern und als eigene kompositorische Leistung (die Schlusstakte, die den Kaisermarsch und Calàfs Arie "Nessun dorma" aufgreifen, klingen in diesem Kontext geradezu konventionell). Es hat sich auch hörbar etwas verändert. Calàf (links unten) vor Turandot (im Bild: Gabriele Mangione und Maureen Brabec). Augen und Mund symbolisieren den Kaiser Altoum Damit ist auch das Thema der Regie umrissen. Mit der Selbstlosigkeit Liùs wird nicht nur Turandot einem befreienden Erkenntnisprozess unterworfen, sondern die gesamte Gesellschaft, die bis dahin versteinert erschienen ist - was Ausstatterin Lena Brexendorff in den betonartig grauen Kostümen für den Chor zum Ausdruck bringt, die am Ende zumindest teilweise abgelegt werden und echte Menschen erscheinen lassen. Bis dahin ist der Chor klingender Teil der eindrucksvollen Bühneninstallation, die aus einer Art Gitterkäfig besteht, der mit Glasscherben behängt ist. Glas, Metall und Beton als Materialien, grau und rot (Blut!) als Farben geben optisch stringent eine fremdartige, abweisende und gleichzeitig geheimnisvoll faszinierende Atmosphäre wieder, die auf asiatisches Kolorit (und auf den aufgehenden Mond) verzichtet. Der persische Prinz, der bei Turandots Rätseln versagt hat und nun hingerichtet wird, erscheint als lebende Skulptur, von Scherben durchbohrt. Lebendige Menschen sind hier nur Liù und der alte Timur sowie dessen liebestoller Sohn Calàf, später die drei Minister Ping, Pang und Pong in ihrer buffonesken Szene im zweiten Akt und Turandot, die ihren roten Mantel zunächst wie einen Panzer trägt, aber schnell ablegt. In schlichten schwarzen Kostümen (die Minister in rot) sind diese Figuren ort- und zeitlos angesiedelt und das Drama wohltuend klar auf seinen Grundkonflikt reduziert. Ringen um den Namen: Turandot lässt Calàf festnehnem; rechts wird Liù gefoltertDas daraus resultierende Kammerspiel hinter der Fassade der großen Choroper müsste allerdings sehr viel genauer ausformuliert werden, und hier fehlt es entschieden an einer schlüssigen Personenregie. Vielleicht liegt das daran, dass alle Hauptpartien doppelt (die der Liù sogar dreifach) besetzt sind und die Probenzeiten limitiert waren? Jedenfalls steht die Premierenbesetzung ziemlich statisch herum. Oksana Kramareva wird als "führender Spinto-Sopran der Nationaloper Kiew" angekündigt und singt die Titelpartie mit beeindruckender Souveränität und großer, nicht scharfer Stimme. Von der Regie wird sie als nicht mehr ganz junge Frau gezeichnet, was in deutlichem Kontrast steht zum sehr jugendlichen Calàf, den Ji-Woon Kim mit höhensicherem, baritonal eingefärbtem Tenor singt (was ihn gelegentlich an den Rand des berüchtigten "Knödelns" bringt), ohne zu forcieren. Stimmlich bewältigt er die Partie eindrucksvoll und weitgehend klangschön (das Piano ist mitunter wacklig), die Phrasierung gerät manchmal kurzatmig. Christina Giannelli singt eine großformatige, wenig mädchenhafte Liù mit tollem Pianissimo, das allerdings eher nach Aida als nach der fragilen Liù klingt. Gleichwohl werden die drei Sängerinnen und Sänger der Hauptpartien vom Premierenpublikum zu Recht gefeiert, denn hier wird großes Musiktheater geboten. Momente der Erkenntnis: Calàf und Timur an der Leiche Liùs (im Bild: Gabriele Mangione, Christin Stanowsky, Jaime Mondaca) Dabei kann es mitunter mächtig laut, gar lärmend werden. Chor und Extrachor verfügen über ein schönes Piano, aber auch über ein sattes Fortissimo, das seine Berechtigung hat, aber gelegentlich über die akustischen Grenzen des kleinen Hauses hinausgeht. Dazu geraten mögliche Ruhepunkte zu laut, wie die Auftritte von Ping, Pang und Pong, die deutlicher abgestuft sein müssten gegen die Massenszenen. Daniel Gwon, Stephen Chambers und Hyunsik Chin singen überzeugend, dürften ihre Partien aber eine Nummer leiser anlegen. Vor allem in den ersten beiden Akten setzt die Aufführung zu sehr auf Überwältigung durch Lautstärke, was nicht notwendig wäre (nach der Pause klingt vieles ausgewogener). Dirigent Per-Otto Johansson wählt flotte, gelegentlich atemlose Tempi und kann den Spannungsbogen insbesondere im ersten Akt gut halten - und, wie bereits erwähnt, im Finale einen anderen Grundton einsteuern. Wenn die Regie dann den großen Kuss, der librettogemäß die Wende zum Guten bringen sollte, unterschlägt und den Anblick der aus Liebe gestorbenen Sklavin zum Wendepunkt macht, ist der Produktion auch ein überzeugender Schluss gelungen.
Auch wenn es einige Dezibel weniger sein dürften: Ein musikalisch großer Abend in Detmold. Die Regie findet prägnante Bilder, die über die blasse Personenführung hinwegtrösten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Licht
Maske
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Turandot
Timur
Altoum
Calàf
Liù
Ping
Pang
Pong
Mandarin
Prinz von Persien
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