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Ein utopischer Augenblick des Verzeihens
Von Stefan Schmöe / Fotos von Barbara Aumüller
Am Ende gibt es doch noch einen Moment der Hoffnung. Dabei ist bis dahin kaum eine Katastrophe ausgeblieben: Die uneheliche Schwangerschaft Jenůfas; die Weigerung des Kindesvaters Štewa, sie zu heiraten; die Entstellung Jenůfas durch den eifersüchtigen Laca, der ihr die Wange aufschneidet; die Ermordung des Kindes durch die Stiefmutter, die Jenůfas "Fehltritt" vertuschen will; und schließlich die Entdeckung des Leichnams ausgerechnet in dem Moment, der durch die Vernunftheirat Jenůfas mit Laca immerhin ein geordnetes Leben ermöglichen könnte. Und dann stehen nach einer schier unendlich langen Generalpause (schon deshalb lang, weil nach der vorangegangenen Chorszene die Bühne erst einmal geräumt werden muss) Jenůfa und Laca alleine da, und Leoš Janaček komponiert ihnen eine unfassbar schöne, kaum greifbare Musik. Vielleicht ist doch noch so etwas wie Glück möglich. Jenůfa und Štewa
Dirigent Axel Kober, der an diesem Abend seine letzte Premiere als Generalmusikdirektor an der Deutschen Oper am Rhein leitet, hebt hier nicht so sehr die utopisch anmutende Melodielinie der Streicher hervor als mehr die Begleitung, die wie ein sich endlos drehendes Mühlrad darunter liegt - und dieser Ansatz prägt den gesamten Abend. Vom ersten Takt an bestimmen kreisende Ostinato-Figuren die musikalische Struktur. Die Duisburger Philharmoniker könnten (vor allem in der ersten halben Stunde) noch mehr rhythmische Präzision und Härte zeigen, um den unbarmherzigen Puls der Musik hörbar zu machen. Der scheint auch in den volkstümlichen Passagen weiterzuklingen: Das Mühlrad, das man nie sieht und das doch Sinnbild ist für die Unausweichlichkeit, das ist in Kobers Interpretation immer präsent. Was nicht untypisch ist für den Dirigenten, der seit 2009 musikalisch an der Spitze des Hauses steht. Den Typus des glamourösen oder kapriziösen Pultstars hat er nie verkörpert, sondern eher den des grundsoliden, uneitlen Kapellmeisters, der sich in den Dienst der Musik stellt. Das Orchester war selten der Star und soll es auch an diesem Abend nicht sein, der vor allem im Zeichen von herausragenden Akteuren auf der Bühne steht, aber eben auch einer höchst konzentrierten Auseinandersetzung mit der Musik Janačeks. Die dirigiert Kober wenig opernhaft, ohne Pathos oder gar Sentimentalität (auf der anderen Seite auch ohne die ganz große Schärfe), aber er trifft den eigenen Gestus des Komponisten sehr schön und spannt den ganz großen Bogen vom in sich kreisenden Beginn bis zum erwähnten, utopisch aufgehellten Finale. So wie diese Musik im Grunde nie endet und ihre Ostinato-Figuren in alle Ewigkeit fortsetzen könnte, so werden die Konflikte und wechselseitigen Verletzungen, die auf der Bühne verhandelt werden, immer fortbestehen. Die Küsterin vor der Zinkwanne, in der Jenůfas Kind schläft
Jenůfa ist zeitlos, auch wenn sich die sozialen Randbedingungen verschoben haben mögen und eine uneheliche Schwangerschaft nicht die Katastrophe bedeutet wie in den Szenen "aus dem mährischen Bauernleben" (so hat es der Komponist über die 1904 uraufgeführte Oper geschrieben). Regisseurin Tatjana Gürbaca lässt sie im Einheitsbühnenbild spielen, einer überdimensionierten Holzhütte mit einer riesigen, nach oben ansteigenden Treppe (Bühne: Henrik Ahr), die wirkungsvoll für Auf- und Abtritte genutzt wird und für die Chorszenen ebenso einen passenden Rahmen bietet wie für das in der Personenregie genau ausgelotete Kammerspiel. Die soziale Enge wird vor allem in den Chorszenen greifbar. Zwei Akte lang sind die Kostüme (Silke Willrett) neutral gehalten und lassen sich zeitlich und örtlich kaum fixieren. Erst im dritten Akt werden Trachten getragen, deren Farben, (weiß, rot, blau) unwirklich leuchten, im Detail allzu artifiziell erscheinen und damit das Missverhältnis der Situation ausdrücken. Die einen feiern die bevorstehende Hochzeit von Jenůfa und Laca und bekräftigen durch die Festtagskleidung Sitte und Tradition, die letztendlich zum Tod von Jenůfas Kind (im Verborgenen zur Welt gebracht) geführt haben. Die rote Farbe der Mütze des Kindes spiegelt sich dabei geradezu aggressiv in den volkstümlichen Kostümen wider. Aus Vernunftsgründen bereit, Laca zu heiraten: Jenůfa
Ein anderes bildliches Leitmotiv ist eine Zinkwanne, in der im ersten Akt der in der Oper besungene Rosmarin (in der Antike der Liebesgöttin Aphrodite zugeordnet) wächst und die im zweiten Jenůfas Kind als Bettchen dient, deren spätere Leere dementsprechend stark symbolisch aufgeladen ist. So kommt die Regie mit wenigen Requisiten aus, um die Geschichte ziemlich genau und sehr konzentriert nachzuerzählen und die Personen in ihrer Widersprüchlichkeit - oder besser: Komplexität - in den Mittelpunkt zu stellen. Und dafür steht ein ganz ausgezeichnetes Ensemble bereit. Allen voran die beiden Hauptdarstellerinnen: Jacquelyn Wagner spielt und singt eine junge, keineswegs naive Jenůfa, nicht zu mädchenhaft, mit großer Stimme, der aber auch etwas Zerbrechliches anhaftet. Sie wird nicht zur Leidensfigur, sondern handelt beinahe sachlich - eine auch im Unglück starke Frau, die sich irgendwie mit der Katastrophe arrangieren muss. Großartig agiert Rosie Aldrige als Küsterin und Stiefmutter Jenůfas. Sie beginnt im ersten Akt noch verhalten, um im zweiten dann immer mehr an Präsenz zu gewinnen. Bei aller Intensität wird die Stimme dabei nicht scharf. Auch daran liegt es, dass die Figur ambivalent bleibt, weitaus mehr als die boshafte, um den Ruf der Familie besorgte Kindsmörderin - man nimmt der Figur den Gewissenskonflikt ab. Man hat Jenůfas totes Kind gefunden.
Diese Empathie der Regie mit den schuldig Gewordenen setzt sich in den anderen Figuren fort. Jussi Myllys singt einen strahlenden, tenoral höhensicheren und sympathischen Štewa, hinter dessen siegessicherer Fassade des Frauenhelden ein doch ziemlich verunsicherter Kerl steckt. Passend dazu ist der Laca von Giorgi Sturua dunkler timbriert, weniger glänzend, aber ausdauernd. Ausgezeichnet besetzt sind auch die kleineren Partien. Um nur zwei hervorzuheben: Stefanie Schaefer singt mit großer Präsenz eine keineswegs alte Großmutter und Mühlenbesitzerin Buryja - eine Geschäftsfrau mitten im Leben. Und Lavinia Dames wertet die Partie der Karolka, Štewas neuer Liebe und sogar Verlobter (bis sie ihm, als seine Vaterschaft offenkundig wird, den Laufpass gibt), mit leuchtendem Sopran auf. Dabei geht es gar nicht um moralisierende Kleingeistigkeit, sondern um Verantwortung für den anderen. Das Verzeihen fällt schwer. Für Laca und Jenůfa, die am Ende ganz bildlich aus diesem Gesellschaftssystem heraustritt, könnte es der Schlüssel zu einem glücklicheren Leben sein - aber allzu optimistisch wirkt die Regie da nicht. Jenůfa bleibt ein ebenso großartiges wie beklemmendes Werk. Einhelliger Jubel beim Premierenpublikum.
Axel Kober verabschiedet sich mit einer musikalisch grandiosen Jenůfa von der Rheinoper, die Tatjana Gürbaca in ihrer (bereits in Genf gezeigten) Inszenierung analytisch klar in eindrucksvollen Bildern umsetzt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Mitarbeit Kostüm
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Die alte Buryja
Laca Klemen
Štewa Buryja
Die Küsterin
Jenůfa
Altgesell
Dorfrichter
Seine Frau
Karolka
Schäferin
Barena
Jano
Tante
Stimme 1
Stimme 2
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