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Mit Witz in die Katastrophe
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Forster Als opera semiseria, als halbernste Oper, hat Louise Bertin ihren 1831 uraufgeführten Fausto bezeichnet. Das mag zu einem Teil damit zu tun haben, dass sie den Konventionen des Pariser Théatre Italien folgen musste. Diese Bühne, die, der Name sagt's, das italienische Repertoire nach Paris brachte, hatte die Zusage gegeben, eine Faust-Oper von Bertin zur Aufführung zu bringen, nachdem die Komponistin bereits 1826 (also noch zu Goethes Lebzeiten) die "Letzte Szene aus Faust" vertont hatte. Aber anders als etliche Romantiker nach ihr, die dem Stoff zwischen Gelehrtendrama und Gretchentragödie mit hehrem Pathos begegneten, hört und liest man bei Bertin (die selbst das Libretto schrieb) die Nähe zu Mozarts Don Giovanni heraus, seinerseits ein dramma giocoso, also ein "lustiges Drama". Bereits die ersten Takte des Fausto scheinen mit statischen Moll-Akkorden eine Referenz daran zu sein. Bertin findet aber ganz eigene musikalische Wege und beschreitet den schmalen Grat zwischen Komödie und Tragödie ausgesprochen souverän. Dr. Faust, Chef der Pathologie, hat genug vom Leben.
Das jedenfalls ist der Eindruck, den man in dieser Essener Produktion gewinnt - die erste seit jener Uraufführung 1831 (die lange verschollene Partitur wurde erst vor Kurzem wiederentdeckt). Tatjana Gürbaca inszeniert die Oper als abgründige Gesellschaftssatire. Doktor Faust tritt als Pathologe beim Sezieren eines Leichnams auf, befindet sich aber offenbar in der Midlife-Crisis und mischt sich lebensmüde einen tödlichen Gift-Cocktail. Nicht zuletzt das unerwartete Auftreten Margaretes (die offenbar zum Klinikpersonal gehört) hält ihn vom Suizid ab. In Bertins Version ist es Faust selbst, der Mephistopheles herbeiruft, um mit dessen Hilfe (und um den Preis seiner Seele) die attraktive Frau für sich zu gewinnen. Und prompt richtet sich die eben noch aufgeschnittene Leiche auf und entpuppt sich als dieser Mephistopheles, der sich mit Anzug und Funktionärsbrille ausstaffiert und fortan zum Spielleiter wird. Almas Svilpa trifft stimmlich wie szenisch ganz ausgezeichnet den Tonfall zwischen teuflischer Dämonie und bürgerlicher Spießigkeit. Denn besonders starke Kräfte der Hölle braucht er gar nicht zu bemühen, denn für die Katastrophe sorgt die Gesellschaft schon selbst. Catarina und Mephistopheles dagegen finden das Leben durchaus lebenswert.
Diese ist in den pastellfarbenen, ganz sanft ironisch überzeichneten Kostümen von Silke Willrett in den 1960er-Jahren angesiedelt, noch bevor es die Anti-Baby-Pille gab (schließlich kommt es zur ungewollten Schwangerschaft). Und auch das Frauenbild mit liebestollen Krankenschwestern, die sich an die männlichen Ärzte heranmachen, entspringt dem damaligen Zeitgefühl und wird mit viel Witz persifliert (hinreißend: die auch stimmlich quirlig-agile Nataliia Kukhar als Catarina). Das ziemlich genau gezeichnete Klinik-Ambiente wird aber nach und nach abstrakter. Ein Baum wie aus einem Terrarium symbolisiert das biblische Paradies und den Sündenfall, und immer mehr wandelt sich der Chor zur allgegenwärtigen, alles genau beobachtenden Öffentlichkeit. Sündenfall: Faust und Margarete am domestizierten Baum der Erkenntnis, hinter dem Mephistopheles lauert.
Dem "komischen Paar" Mephistopheles und Catarina steht das "hohe Paar" Faust und Margarete entgegen. Ursprünglich hatte Bertin die Titelpartie als Hosenrolle für einen Mezzosopran konzipiert, musste diese aber wegen Besetzungsproblemen bei der Uraufführung für Tenor umschreiben - diese Fassung wird nun auch in Essen gespielt. Mirko Roschkowski singt einen lyrisch-geschmeidigen Faust mit nicht zu schwerer, elegant geführter Stimme. Das Interesse an Margarete hat er schnell verloren. Somit rückt Margarete durch ihre gesellschaftlich geächtete Schwangerschaft mehr und mehr ins Zentrum. So böse der Witz der Regie oft ist, so anrührend wird in einer kurzen pantomimischen Szene das Ertränken des Kindes durch die verzweifelte Mutter angedeutet. Jessica Muirhead singt die Partie mit apart timbrierten Sopran, den sie manchmal forciert und der vor allem in den leisen Passagen beeindruckt. Diese Margarete gibt sich selbstbestimmt bis in den Tod, der hier zum Selbstmord (statt der vorgesehenen Exekution) umgedeutet wird. Ganz im Sinne Goethes folgt auf das "sie ist gerichtet" ein himmlisches "gerettet", und zu Harfenklängen zündet Tatjana Gürbaca ein formidables Feuerwerk, während man noch betroffen auf die Deliquentin und den damit dem Teufel verfallenen Faust schaut. Die sehr genau gezeichnete Regie lässt hier noch ein letztes Mal mit schönem Knalleffekt die Ambivalenz von Ernst und Ironie aufblitzen. Das Ende: Margarete
Die Musik der bei der Uraufführung gerade einmal 26jährigen Komponistin erweist sich in ihrer abwechslungsreichen, schnell die Situation antizipierenden Gewandtheit als unbedingt hörenswerte Entdeckung. Die "moderne" Schauerromantik von Webers Freischütz greift sie kaum auf und die Instrumentation klingt ein wenig brav (die vom Hammerklavier begleiteten Rezitative wirken mitunter geradezu anachronistisch, ordnen das Werk andererseits eben in die Don Giovanni-Nachfolge ein), aber die Tonsprache ist in ihrer Melodik, die immer ein gewisses Maß an ironischer Distanz zu haben scheint, originell und nie anbiedernd. Andreas Spering am Pult der guten Essener Philharmoniker bleibt maßvoll in den "knalligen" Passagen und gestaltet sehr fein abgestufte Lautstärken. Phrasierungen dürften im Detail noch genauer durchgestaltet sein, weshalb die musikalische Interpretation mitunter ein wenig pauschal bleibt. Neugierig auf weitere Musik der Komponistin macht das allemal. Bertin nahm sich im Anschluss an den Fausto den Glöckner von Notre-Dame vor, mit Unterstützung des Verfassers Victor Hugo. Unter dem Titel Esmeralda wurde die Oper 1836 im Palais Garnier, dem führenden Opernhaus der Stadt (und vielleicht der Musikwelt dieser Zeit überhaupt) uraufgeführt, und Louise Bertin genoss die Bewunderung zahlreicher Komponistenkollegen wie Hector Berlioz. Der Erfolg rief auch Neider hervor, die einen Skandal entfachten - und die durch eine Polio-Erkrankung gelähmte Komponistin zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und entsagte fortan der Oper. Über die genauen Gründe wie auch die Rolle von Louise Bertin im Musikgeschehen ihrer Zeit ist sicher noch einige Forschungsarbeit zu erledigen. Gemäß dem (lesenswerten) Programmheft hatte das Aalto-Theater ursprünglich eben die Esmeralda auf dem Plan. Dieser Fausto, in der hier besprochenen Aufführung recht gut besucht und stehend beklatscht, liefert starke Argumente, auch Louise Bertins letzte Oper dem heutigen Publikum vorzustellen.
Spannende, mit hintergründigem Humor inszenierte Wiederentdeckung: Tatjana Gürbaca tariert diese lange verschollene Faust-Oper sehens- und hörenswert zwischen Satire und tieferer Bedeutung aus. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Kostüme (Mitarbeit)
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Fausto
Margarita
Mefistofele
Valentino
Catarina
Eine Hexe/Marta
Wagner
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