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Klassik trifft auf Spoken Words Art und Street Dance
Von Thomas Molke
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Fotos: © Matthias Jung
Mit dem Projekt Aalto:StartUp versucht die Intendantin des
Aalto Musiktheaters und der Essener Philharmoniker, Dr. Merle Fahrholz,
semiprofessionelle und professionelle Kunstschaffende mit Mitarbeitenden des
Aalto-Theaters auf Augenhöhe zusammenzuführen, um gemeinsam eine Produktion zu
erarbeiten, mit der eine "nachhaltige Verankerung von Diversität" im Sinne von
Vielfalt und Vielfältigkeit im Angebot angestrebt werden soll. Das klingt sehr
hehr. In dem neuen Opernabend werden nun ein völlig unbekanntes Werk der Klassik
mit Spoken Words Art und Street-Dance-Einlagen zusammengeführt, um das Stück aus
der Vergangenheit in unsere Gegenwart zu holen. Und um auch das Publikum in
diesen Abend richtig miteinzubeziehen, schließt sich an die Aufführung noch eine
ausgelassene halbe Stunde im Foyer an, bei der die Zuschauerinnen und Zuschauer
bei Speis und Trank und musikalischer Untermalung mit den
Künstlerinnen und Künstlern und den Mitarbeitenden des Hauses ins Gespräch
kommen können. Ob die verschiedenen Teile dabei aber wirklich zusammenfinden,
ist Ansichtssache. Näher kommt einem das klassische Werk durch den modernen
Transfer nicht. Valcour (George Vîrban,
rechts) liebt heimlich Léontine (Lisa Wittig). Ophémon (Tobias Greenhalgh,
Mitte) versucht zu vermitteln. Dabei ist die Stückauswahl durchaus interessant. Joseph
Bologne dürfte den meisten Besucherinnen und Besuchern nämlich absolut unbekannt
sein. Obwohl von den wahrscheinlich sechs Opern, die er komponiert
hat, nur L'amant anonyme vollständig erhalten ist, liest sich sein
Lebenslauf absolut spannend. So kam er als Kind mit seinen Eltern aus Guadeloupe
nach Paris und machte trotz seiner Herkunft und Hautfarbe dort eine beachtliche
sportliche und musikalische Karriere. Besonders bei den Damen soll er sich
großer Beliebtheit erfreut haben. 1779 wurde er Direktor des Privattheaters
von Madame de Montesson. Dort wurde 1780 L'amant anonyme uraufgeführt. Das
Libretto basiert auf dem gleichnamigen Stück, das die Nichte von Bolognes
Arbeitgeberin, Stéphanie-Félicité de Genlis, verfasst hat. Inhaltlich gibt es
zwar nicht viel her. Valcour liebt heimlich die junge Witwe Léontine, die
eigentlich noch nicht für eine neue Beziehung bereit ist, und überhäuft sie mit
anonymen Liebesbeweisen. Nach einigem Hin und Her erfährt sie, dass Valcour der
heimliche Verehrer ist und erhört sein Liebeswerben. Aber die Musik klingt
durchaus vielversprechend. Das scheint allerdings für eine Aufführung nicht zu
reichen, und deswegen hat man den in Düsseldorf lebenden Komponisten SJ Hanke
beauftragt, ergänzende Musik zu komponieren. Léontine (Lisa Wittig, rechts)
und ihr "Sprachrohr" (Jule Weber) Hanke konzentriert sich dabei auf die drei Arien der Léontine,
die für das Regie-Team um Zsófia Geréb und Alvaro Schoeck im Zentrum von
Bolognes Oper stehen und die Entwicklung der eigentlichen Hauptfigur des
Stückes zeigen, die nicht, wie der Titel es vermuten lässt, der heimliche Liebende
ist,
und führt sie in einer modernen Musiksprache von der Klassik in die
Gegenwart. Ob es wirklich erstrebenswert ist, Bolognes klassische Klänge auf
diese Weise zu zerlegen, ist Geschmacksache. Hanke findet zwar relativ glatte
Übergänge, die mal am Ende der Arie angelegt sind, mal mitten in die Arie eingefügt sind. Aus dem musikalischen Fluss wird man jedoch durch
Hankes Komposition stets aus dem Stück herausgerissen. Auch ob diese Einschübe
rechtfertigen, eine weitere Ebene unter dem Titel Unerwartete Wendungen
einzufügen, die dann auch noch mit Alvaro Schoeck einen eigenen Regisseur
erhält, ist fraglich. Jedenfalls wird das eigentliche Stück dadurch unnötig
aufgebläht, so dass kein kohärenter Abend entsteht. Um die Gefühle von Léontine
und Valcour nachvollziehen zu können, hätte es gewiss nicht der beiden Spoken
Word Artists Jan Seglitz und Jule Weber bedurft, deren Texte für einen Poetry
Slam Abend zwar sehr passend sein mögen, aber im musikalischen Ablauf des Abends
eher störend als erhellend wirken. Die Passagen sind zu lang und viel zu
statisch, was eine gewisse Länge entstehen lässt. Klassik (Léontine (Lisa Wittig,
rechts) mit dem Jungen Chor) trifft auf Street Dance (Ensemble). Auch über die Tanzeinlagen kann man geteilter Meinung sein.
Bolognes Stück an sich ist voller Balletteinlagen, die musikalisch natürlich
einen sehr klassischen Duktus haben und bei einer derartigen Umsetzung
vielleicht ein wenig museal wirken würden. Die Deutung der Tänzerinnen und
Tänzer mit unterschiedlichen Formen des Street Dance ist zwar artistisch
beeindruckend, aber zur Handlung trägt es genauso wenig bei wie wahrscheinlich
die ursprünglichen Tanzeinlagen und zieht somit ebenfalls den Abend unnötig in die Länge. Völlig unverständlich erweist sich auch die
Einführung der Zuschauerin (Christina Clark) und des Zuschauers (Rainer Maria
Röhr), die wohl eine Brücke zum Publikum schlagen sollen. Sie sitzen zunächst in
der ersten Reihe, und beginnen relativ überraschend, das Geschehen auf der Bühne
zu kommentieren. Wieso sie dann aber beschließen, sich auf die Bühne zu begeben,
erschließt sich nicht. Dabei fragt Clark sogar noch andere Menschen im Publikum,
ob sie nicht mitkommen wollen. Einen kleinen Moment fragt man sich vielleicht,
was passiert wäre, wenn wirklich jemand aufgestanden wäre und der Aufforderung
gefolgt wäre. Zwar ziehen Clark und Röhr darstellerisch eine komödiantische Show
auf der Bühne ab und brechen die Wand zum Saal im wahrsten Sinne des Wortes auf.
Für den Ablauf der Geschichte macht es allerdings überhaupt keinen Sinn und
rechtfertigt auch nicht den Titel eines weiteren Stückes, Unerwartete
Wendungen. Zuschauerin (Christina Clark,
rechts) und Zuschauer (Rainer Maria Röhr) werden Teil der Inszenierung: Léontine
(Lisa Wittig, links). So wird man durch diese Wendungen immer wieder aus der
eigenen Geschichte gerissen, die zwar selbst nicht viel hergibt. Aber die
zusätzlichen Regie-Einfälle machen es auch nicht besser. Immerhin gibt die
Ausstattung von Ivan Ivanov einiges her. Als Bühnenbild werden Teile
verwendet, die Frank Philipp Schlössmann für Mozarts La finta giardiniera
vor zwei Spielzeiten in Essen
verwendet hat, wobei die Wände neu strukturiert worden sind. Durch den Einsatz
der Drehbühne entsteht ein Labyrinth von Räumen, durch das Léontine und Valcour
auf ihrem Weg zueinander irren. Ein Raum ist mit zahlreichen Fotographien
ausgeschmückt, die auch im Rahmen des Workshops entstanden sind. Die Kostüme des
Personals von L'amant anonyme sind absolut klassisch gehalten und bilden
somit einen starken Kontrast zu den Figuren aus den Unerwarteten Wendungen,
die als Seniorinnenquartett in dunklen Tönen, Zuschauerin und Zuschauer in
feiner Abendgarderobe und Tänzerinnen und Tänzer in lockerer für den Street
Dance geeigneten Kleidung auftreten. Wenn dann nach dem glücklichen Ende die
Figuren des Stückes aus dem zurückgefahrenen Bühnenbild heraustreten und ins
Foyer einladen, wird ihr Weg durch das Foyer in einem Video auf der Leinwand
gezeigt. Hier findet die Inszenierung dann einige komische Momente, wenn die
Figuren des Stückes in den barocken Kostümen aus dem Theater auf die Straße
laufen und an der Bushaltestelle von einer Passantin kritisch gemustert werden,
oder Valcours Freund Ophémon im Foyer nichts zu Trinken bekommt und sich deshalb
mit einem Kameramann in eine Kneipe begibt. Durch diesen fließenden Übergang ins
Foyer wird der Schlussapplaus ein wenig ausgebremst. Den haben die Solistinnen und Solisten und die Essener
Philharmoniker unter der Leitung von Wolfram-Maria Märtig nämlich verdient. Lisa Wittig
punktet als Léontine mit strahlenden Höhen und sauber angesetzten Koloraturen.
George Vîrban verleiht dem schmachtenden Liebhaber Valcour zarten tenoralen
Schmelz und punktet mit komödiantischem Spiel. Gleiches gilt für Tobias
Greenhalgh, der als Ophémon seinen Freund zu überreden versucht, sich endlich
als Liebender erkennen zu geben. Greenhalgh gestaltet die Partie mit frischem
Bariton. Natalia Labourdette und Aljoscha Lennert runden als Hochzeitspaar
Jeannette und Colin die Riege der Solistinnen und Solisten wunderbar ab.
Wolfram-Maria Märtig führt die Essener Philharmoniker mit schlanker Hand durch
Bolognes Partitur und findet auch für Hankes moderne Ergänzungen einen guten
Zugang. FAZIT
Es lässt sich sicherlich diskutieren, ob Bolognes L'amant anonyme heute
noch auf die Opernbühne gebracht werden sollte. Die Kombination mit
Unerwartete Wendungen macht es jedoch auch nicht empfehlenswerter.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung (L'amant anonyme) Inszenierung (Unerwartete Wendungen) Ausstattung
Bühne nach
Dramaturgie
Solistinnen und Solisten
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E-Mail: oper@omm.de