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Musiktheater
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Last

Not me, but me

Ballett von Ben Van Cauwenbergh
Musik von Erwin Schulhoff (Streichquartett Nr. 1, Auszüge aus Fünf Stücke für Streichquartett, Streichquartett Nr.2)

Your attention, please

Ana Maria Lucaciu in Zusammenarbeit mit den Tänzer*innen
Musik von Marin Marais (Sonnerie de Sainte-Geneviève du Mont de Paris, Auszüge aus Improvisations Sur Les Folies d'Espagne Livre 5), Bill Evans (Peace Piece, Cover von Kronos Quartet) und John Cage (Ausschnitte aus 44 Harmonies from Apartment House 1776)
- Uraufführung -

In-Between

Ballett von Armen Hakobyan
Musik von Franz Schubert Auszüge aus dem Streichquartett Nr. 14 d-Moll D 810 Der Tod und das Mädchen) sowie Philip Glass (Auszüge aus dem Konzert für Violine und Orchester)

Last Taiko

Ballett von Ben Van Cauwenbergh und Armen Hakobyan
Musik von Joji Hirota and the Taiko Drummers (Harvest aus Japanese Taiko)



Aufführungsdauer: ca. 1h 50' (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 13. April 2024
(rezensierte Aufführung: 19. April 2024)


Logo:  Theater Essen

Theater und Philharmonie Essen
(Homepage)
Ein letzter Taiko von Ben Van Cauwenbergh für Essen

Von Stefan Schmöe / Fotos von Bettina Stöss

Der Titel Last weist auf einen Abschied hin: Dies ist der letzte große Ballettabend von Ben Van Cauwenbergh am Essener Aalto-Theater. Der 1958 in Antwerpen geborene Tänzer und Choreograph kam 2008 als Ballettdirektor hierher und wurde 2013 zum Intendanten des Aalto Balletts ernannt. Geprägt hat er das Haus einerseits mit den großen romantischen Handlungsballetten des Repertoires, bei denen er sich als Traditionalist gab wie zuletzt in Giselle, andererseits durch neue Kreationen mit populärem thematischem Rahmen wie die Tanzhommage an Queen oder das Charlie-Chaplin-Ballett Smile. Da mochten die Anhänger der Avantgarde die Nasen rümpfen - Van Cauwenbergh hat weit über die Stadtgrenzen hinaus eine große Fangemeinde, die seine Ästhetik und die unbeschwerte Freude an der Schönheit von klassisch-akademischem Tanz liebt. Seine Abschiedsvorstellungen im Juni und Juli, die unter dem Titel Bye, bye Ben eine Collage aus verschiedenen Stücken präsentieren, sind längst ausverkauft.

Szenenfoto

Not me, but me: Ensemble

"Ein Abend - zwei Uraufführungen - drei Choreograf*innen" steht ein wenig reißerisch über dieser Produktion, was auch daran liegen mag, dass eine zentrale Idee ganz offensichtlich fehlt. Dabei wird nicht einmal klar, welche beiden der vier angekündigten Ballette hier eigentlich uraufgeführt werden, und ob es überhaupt vier eigenständige Werke oder doch ein großes, irgendwie zusammenhängendes Stück sein soll. Durch den nahtlosen Übergang zwischen der ersten und zweiten Choreographie sowie (nach der Pause) der dritten und vierten wird ebenso der Eindruck vermittelt, es solle sich um ein irgendwie doch geschlossenes Werk handeln, wie durch die Angabe im Programmheft "Pause nach dem 1. Akt". Tatsächlich sind Querbezüge zwischen den vier jeweils rund 20-minütigen Arbeiten kaum zu erkennen, auch wenn Bühne und Licht (Kees Tjebbes) und Kostüme (Bregje van Balen) durchgehend vom gleichen Team stammen - was man nicht so leicht sieht, denn jede Choreographie hat ihre Ausstattung und damit auch eine eigene Ästhetik.

Vergrößerung in neuem Fenster Not me, but me: Marie Van Cauwenbergh, Benjamin Balazs

Den Auftakt macht Not me, but me vom Van Cauwenbergh selbst, der dabei auf eine alte Arbeit zurückgreift und hier unter dem Einfluss von Georges Balanchine steht. Zu Musik für Streichquartett von Erwin Schulhoff (das noch sehr junge Velvet-Quartett spielt nicht nur hier ganz ausgezeichnet) bildet ein Ensemble aus sechs Paaren in den "Ouvertüre" und " Finale" genannten Passagen den Rahmen für drei Pas de deux und einen Pas de Trois, bei denen viel auf Spitze getanzt wird. Die hier gezeigte Abstraktion ist eher untypisch für den Geschichtenerzähler Cauwenbergh, und so darf man wohl den Titel - in etwa: "Das bin ich nicht, das bin ich doch" - verstehen. Balanchines Strenge wird allerdings unterlaufen durch eine beinahe flapsige Ironie, die sich beispielsweise in nonchalanten Hüftwacklern ausdrückt, und insbesondere der Pas de Trois besitzt Momente von slapstickhafter Komik. Die müsste noch präziser ausgearbeitet sein, wie auch die Präzision in den auf neoklassische Eleganz getrimmten Ensembles größer sein dürfte. Gleichwohl ist Not me, but me ein schön anzusehendes virtuoses Warmlaufen, mit dem Van Cauwenbergh nicht ohne Selbstironie zum Abschluss seiner Intendanz zeigt, dass er auch anders hätte choreographieren können als in seinen Handlungsballetten.

Szenenfoto

Your attention, please: Yuki Kishimoto, Sena Shirae

Einen ziemlich starken Gegensatz bildet Your attention, please von Ana Maria Lucaciu (entwickelt gemeinsam mit den Tänzer*innen). Hier wird eine kleine Geschichte erzählt, die in etwa so geht: Die fünf Akteur*innen proben oder entwickeln ein Tanzstück, wobei es ein paar Störungen gibt: Erst beginnt eine Musikerin des Streichquartetts (das auf der Bühne sitzt) zu telefonieren und die Musik des Barockkomponisten Marin Marais stockt, dann unterbricht offenbar ein elektrischer Kurzschluss mit lautem Knall die Probe - was beides ziemlich aufgesetzt wirkt. Später erklingt vom band das jazzig-chillige Peace Piece von Bill Evans, und dann wieder live gespielte Musik für Streichquartett von John Cage (aus 44 Harmonies from Appartment House 1776). Die Leiterin der kleinen Truppe, Yuki Kishimoto (herrlich energisch mit schriller Pfeife, wenn sie die im Titel des Stücks erwähnte Aufmerksamkeit einfordert), zieht sich am Ende introvertiert an den Tisch, der bis dahin rätselhaft und bedeutungslos auf der Hinterbühne stand, zurück - das verortet die Szene im bürgerlichen Milieu wie auch die legere Freizeitkleidung. Die rumänische Choreographin sieht sich formal weniger im Ballett als im Bereich des Tanztheaters - wobei man nicht die in den 1980er-Jahren nebenan in Wuppertal von Pina Bausch entwickelte, zum Sprechtheater hin offene Form als Maßstab nehmen darf, da bleibt Lucaciu doch sehr viel näher beim modern dance. Getanzt wird auf flacher Sohle, der Spitzenschuh wird nicht benötigt. Neben Yuki Kishimoto tanzen Ana Maria Papaiakovou, Yuki Kishimoto, Sena Shirae, Julia Schalitz und Enrico Vanroose mit schöner Balance aus Individualität und Disziplin. Die im Titel geforderte Aufmerksamkeit zollt man für das unterhaltsame, souverän choreographierte 20-Minuten-Stück gerne.

Vergrößerung in neuem Fenster In-Between: Wataru Shimizu, Yuki Kishimoto, Yegor Hordiyenko und Enrico Vanroose

Zukünftig wird Armen Hakobyan (gemeinsam mit Marek Tůma) die Geschicke des Aalto Balletts leiten. Der Armenier war zuvor Solotänzer und Ballettmeister am Haus und hat auch choreographiert (etwa Moving Colours gemeinsam mit Denis Untila). In-Between kreist um den Zustand der Hypnagogie. Darunter versteht man eine Phase zwischen Wachen und Einschlafen, in der sich Bewusstsein und Halluzinationen überlagern. Auf der Bühne sieht man eine Reihe von Bilderrahmen, hinter denen Tänzerinnen und Tänzer stehen, zunächst starr, die sich dann bewegen und aus den Rahmen heraustreten. Ob damit eben dieser Zwischenzustand verbildlicht werden soll? Bei manchem Betrachter könnten vielmehr Assoziationen an die Harry-Potter-Welt ausgelöst werden, die von "lebenden Bildern" bevölkert ist, in denen die dargestellten Personen sich gerne gegenseitig besuchen - was dort zu den humoristischen Elementen gehört. Eingeplant ist diese Verbindung mit der ihr innewohnenden Komik sicher nicht. Bei Hakobyan tanzen Traumgestalten in schwarz ziemlich eindrucksvoll, und immer wieder sieht man tolle Hebefiguren.

Szenenfoto

In-Between: Wataru Shimizu und Sena Shirae; oben das Velvet Quartet

Das Streichquartett, das mit dem Variationssatz aus Schuberts Der Tod und das Mädchen beginnt (oberhalb der Bühne mit schöner Betonung der Mittelstimmen gespielt), wird irgendwann abgelöst durch das Violinkonzert von Philip Glass, das aus dem Lautsprecher ertönt: Dadurch ergibt sich ein Bruch, weil (von der dramaturgisch plausiblen Bill-Evans-Einspielung zuvor abgesehen) sonst alle Musik auf der Bühne live erklingt und die Musizierenden mindestens visuell in die Choreographien einbezogen sind. Auch dadurch neigt Hakobyans Choreographie zu einer unbestimmten Gefälligkeit. Thematisch wird das Motiv des Todes aus Schuberts Quartett nicht erkennbar aufgegriffen. Vielmehr wird abstrakter Tanz mit einem an neoklassischer Formensprache angelehnten Bewegungsvokabular mit großformatigen Bildern und eingängiger Musik kombiniert - das hat Charme und wird vom Publikum bejubelt.

Vergrößerung in neuem Fenster Last Taiko: Wataru Shimizu, hinten die Formation Feniks Taiko

Den Abschluss bildet Last Taiko, von Ben Van Cauwenbergh und Armen Hakobyan gemeinsam choreographiert. "Taiko" bezeichnet eine große japanische Trommel, und das Ensemble "Joji Hirota and the Taiko Drummers" spielen auf der Hinterbühne die Komposition Harvest - Van Cauwenbergh und Hakobyan haben dazu schon 2021 eine Choreographie unter dem Titel Percussion vorgestellt. Last Taiko ist letztendlich eine temporeiche Show, bei der eine Gruppe von kraftvoll tanzenden Männern in schwarzen Hosen und freiem Oberkörper auf eine Gruppe von Frauen treffen, die durch Tanz auf Spitze die schlanken Körper betonen. Das führt zu effektvollen Szenen, wobei (wie schon bei In-Between zuvor) mitunter eine gewisse Kollisionsgefahr in der Luft liegt. Ein paar akrobatische Einlagen runden das kurzweilige Stück ab, das aufgrund seiner Energie und einer gehörigen Prise Exotik das Publikum nach dem letzten Ton aus den Sitzen reißt. Ein Schlusspunkt, der mehr nach Aufbruch denn nach wehmütigem Abschied aussieht.


FAZIT
Ein etwas merkwürdiger Ballettabend, der sich nicht entscheiden will, ob die vier sehr unterschiedlichen Choreographien sich in einen größeren Zusammenhang stellen wollen oder nicht. Keine uninteressante Produktion, aber in ihrer Unbestimmtheit auch keine, die an die großen Erfolge Van Cauwenberghs in Essen heranreicht.


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Produktionsteam

Bühne und Licht
Kees Tjebbes

Kostüme
Bregje Van Balen

Dramaturgie
Laura Bruckner



Velvet-Quartett:
Ezgi Su Apaydin, Violine
Laura Muskare, Violine
Patricia Gómez Carretero, Bratsche
Anastasiia Averianova, Violoncello

Feniks Taiko

Not me, but me

Choreographie
Ben Van Cauwenbergh

Tänzerinnen und Tänzer

Ouvertüre (sechs Paare)
Marie Van Cauwenbergh
Benjamin Balazs
Yanelis Rodriguez
Joel Dichter

Enrico Vanroose
Anna Maria Papaiakovou

Maria Eduarda Horianski
William Emilio Castro Hechavarria

Julia Schalitz
Harry Simmons

Adrienn Tiszai
Dale Rhodes

Pas de deux LARA
Rosa Pierro
Artem Sorochan

Pas de Trois
Yanelis Rodriguez
Joel Dichter
Wataru Shimizu

Pas de deux EVA
Anna Maria Papaiakovou
Enrico Vanroose

Finale (sechs Paare)
Marie Van Cauwenbergh
Benjamin Balazs

Yanelis Rodriguez
Joel Dichter

Rosa Pierro
Artem Sorochan

Maria Eduarda Horianski
William Emilio Castro Hechavarria

Julia Schalitz
Harry Simmons

Adrienn Tiszai
Dale Rhodes

Your attention, please

Choreographie
Ana Maria Lucaciu
(mit den Tänzer*innen)

Tänzerinnen und Tänzer

Anna Maria Papaiakovou
Yuki Kishimoto
Sena Shirae
Julia Schalitz
Enrico Vanroose

In-Between

Choreographie
Armen Hakobyan

Tänzerinnen und Tänzer

Damen
Adrienn Tiszai
Anna Maria Papaiakovou
Isabell Bromm
Julia Schalitz
Maria Eduarda Horianski
Marie Van Cauwenbergh
Maryia Tyurina
Rosa Pierro
Sena Shirae
Yanelis Rodriguez
Yuki Kishimoto

Herren
David Jeyranyan
Enrico Vanroose
Joel Dichter
Moisés Léon Noriega
Wataru Shimizu
Yegor Hordiyenko

Last taiko

Choreographie
Ben Van Cauwenbergh
und Armen Hakobyan

Tänzerinnen und Tänzer

Pas de deux
Yanelis Rodriguez
Moisés Léon Noriega

Damen
Adrienn Tiszai
Anna Maria Papaiakovou
Isabell Bromm
Julia Schalitz
Maria Eduarda Horianski
Marie Van Cauwenbergh
Rosa Pierro
Sena Shirae
Yuki Kishimoto
Miyako Nakai

Herren
Benjamin Balazs
David Jeyranyan
Enrico Vanroose
Harry Simmons
Joel Dichter
Wataru Shimizu
William Emilio Castro Hechavarria
Yegor Hordiyenko







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